Christine Gess hat sich viel vorgenommen
Nach drei Meistertiteln in der Jugend schaffte 800-Meter-Läuferin Christine Gess (TSG Balingen) bei der Hallen-DM in Dortmund auch bei den Erwachsenen erstmals den Sprung aufs Treppchen. Die 19-Jährige ist über die doppelte Stadionrunde auf dem besten Weg in die deutsche Spitze.

Die 19-Jährige trainiert bei Jessen, seit sie zwölf Jahre alt ist. „Damals musste ich immer drei Schritte machen, um mit einem langen Schritt von ihm mitzuhalten“, erzählt sie und schmunzelt: „Vielleicht bin ich ja deshalb heute so schnell.“
Mit ihrem zweiten Platz über 800 Meter hinter Siegerin Sonja Mosler (TV Herkenrath) und noch vor Lokalmatadorin Jana Hartmann (LG Olympia Dortmund) hatte Christine Gess im Februar bei der Hallen-DM für eine große Überraschung gesorgt. Es war der bislang größte Erfolg für die junge Athletin von der TSG Balingen, die zuvor schon dreimal Erste bei Deutschen Jugendmeisterschaften geworden war, zuletzt Mitte Februar in Halle/Saale.
Frauenmedaille wertvoller
Im Ziel in Dortmund ballte sie die Fäuste, reckte die Arme empor und schrie ihre Freude aus sich heraus. „Die Silbermedaille bei den Frauen ist für mich noch wertvoller als der Jugendtitel. Sie fühlt sich an wie Gold“, sagt sie. In 2:05,97 Minuten stellte Gess in der Helmut-Körnig-Halle zudem eine neue Hallen-Bestleistung auf. Im Freien war sie vergangenes Jahr bei der U20-WM sogar 2:04,58 Minuten gelaufen.
„Es war in Dortmund ein perfektes Rennen. Ich bin die ersten 400 Meter in 61 Sekunden angegangen und dann in der dritten Runde drangeblieben“, erzählt sie. Dabei agierte sie in Dortmund abgebrüht wie ein Routinier. Selbst als sich der Startschuss zum Finale wegen der Ehrung der Leichtathleten des Jahres um einige Minuten verzögerte, ließ sich die 19-Jährige davon nicht aus der Ruhe bringen.
Für Christine Gess gilt es, sich in den kommenden Jahren über 800 Meter in der deutschen Spitze zu etablieren. Anders als auf den 1.500 Metern, wo sich mit Corinna Harrer (LG Telis Finanz Regensburg), Denise Krebs (TV Wattenscheid 01), Annett Horna (LC Rehlingen) und den Zwillingen Diana und Elina Sujew (LT Haspa Marathon Hamburg) gleich mehrere Asse tummeln, ist die Konkurrenz über die doppelte Stadionrunde überschaubar. Zumal Jana Hartmann nach den Titelkämpfen in Dortmund ihre Karriere beendet hat.
Am Laufstil wurde zuletzt viel gearbeitet (Foto: Gantenberg)
Mehr Zeit fürs TrainingDie jüngste Leistungssteigerung von Christine Gess ist dabei auch darauf zurückzuführen, dass sie nach ihrem Schulabschluss im vergangenen Sommer deutlich mehr Zeit fürs Training hatte. Erst zum Sommersemester 2013 hat sie nun ein Fernstudium im Fach „Internationales Management“ an der Hochschule Ansbach begonnen.
Dazwischen lagen einige Monate, in denen sie sich ganz auf den Sport konzentriert hat. „Ich konnte schon direkt nach dem Frühstück die erste Einheit absolvieren und brauchte mich nicht erst nach der Schule aufraffen, noch zu trainieren“, sagt sie.
Acht- bis zehnmal in der Woche stand sie in dieser Zeit auf dem Trainingsplatz – meist zu Hause in Balingen, manchmal aber auch in Saarbrücken mit Bundestrainer Adi Zaar oder in Berlin bei Mittelstrecklerin Caterina Granz (LG Nord Berlin), mit der sie gut befreundet ist.
Laufstil verbessert
Inhaltlich lag der Schwerpunkt in diesen Monaten vor allem in der Verbesserung ihres Laufstils. „Früher bin ich auf den letzten 100 Metern häufig in Vorlage geraten. Ich hatte keinen Kniehub mehr und bin mehr schlecht als recht ins Ziel gestolpert“, erzählt Christine Gess. Inzwischen aber laufe sie aufrechter und nehme die Arme mehr mit.
Kaum noch etwas verbessern kann sie hingegen an ihrem Zeitgefühl, das schon jetzt sehr gut ist. „Ich habe offenbar eine innere Uhr“, so die Läuferin
Mehr Schwierigkeiten bereitet ihr das Krafttraining. Zwar hat sie Spaß an den Übungen im Fitnessstudio, doch Christine Gess muss stets genau abwägen, wie viel Krafttraining es sein darf. „Ich bin sowieso schon sehr athletisch. Ich brauche eine Hantel bloß anzuschauen und schon lege ich zu“, sagt sie. „Deshalb muss ich aufpassen, dass ich nicht zu viele Muskeln aufbaue. Das muss ich sonst auf der Bahn bloß alles mit mir herumschleppen.“
Erkältung verhinderte Saisoneinstieg
Ihr erstes Saisonrennen wollte die DM-Silbermedaillengewinnerin eigentlich am vergangenen Sonntag beim Läufermeeting in Pliezhausen über die „krummen“ 600 Meter absolvieren. Doch eine Erkältung verhinderte kurzfristig den Start. Jetzt soll der Saisoneinstieg am Pfingstmontag in Rehlingen über ihre Spezialstrecke, die 800 Meter, erfolgen.
Die schmerzende Sehne am Fuß, mit der sie sich im Frühjahrstrainingslager auf Usedom noch herumgeplagt hatte, behindert sie inzwischen kaum noch. Schon in Rehlingen, spätestens aber bei der Sparkassen-Gala in Regensburg am 8. Juni, will sie die Norm für die U20-Europameisterschaften in Rieti (Italien) knacken.
2:06,50 Minuten sind gefordert, doch für Christine Gess soll diese Zeit nur eine Zwischenstation sein. Ihr Ziel ist „eine tiefe 2:03, vielleicht sogar eine hohe 2:02“, sagt sie. „Wenn ich das schaffe, wäre das Wahnsinn.“
Quelle: leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift