| Interview

Christoph Harting: „Robert ist ein Gegner wie jeder andere“

Am kommenden Samstag (13. Mai) startet Diskuswurf-Olympiasieger Christoph Harting (SCC Berlin) beim Diamond League-Meeting in Shanghai (China) in die WM-Saison. Im Interview gibt er Einblick in seine Pläne für das Jahr 2017, plaudert über ein Treffen mit Kai Pflaume und erklärt, warum die Aufregung um sein Verhalten bei der Siegerehrung in Rio im Nachhinein sogar etwas Positives hatte.
SID/mbn

Christoph Harting, wie ist Ihr Stand der Vorbereitung derzeit?

Christoph Harting:

Es ist bisher alles gut gelaufen, ich bin voll im Plan. Das nacholympische Jahr ist immer etwas ruhiger. Das heißt, dass wir die Trainingsumfänge ein bisschen heruntergeschraubt haben. Ich freue mich natürlich auf den ersten Wettkampf: Es ist immer ein bisschen das große Kribbeln. Man trainiert den ganzen Winter und will gucken, was man kann. Ich sehe das ganz entspannt, denn der Saisoneinstieg in Shanghai ist halt nur der Saisoneinstieg. Nicht mehr und nicht weniger. Wir kommen aus einer vollen Belastungsphase, und dann werden wir mal gucken, was dabei herauskommt.

Haben Sie in der Vorbereitung etwas verändert im Vergleich zur letzten Saison? Oder verfahren Sie nach dem Motto: Wir sind Olympiasieger geworden, wir ändern jetzt gar nichts?

Christoph Harting:

Wir haben ein neues Gerät geworfen: Die 2,5- und 3-kg-Scheibe. Da ist das Grundmaterial aus Stahl und hat den Vorteil: Sie ist schwerer als ein schwerer Diskus und geht wegen der Stahlplatte nicht kaputt, wenn sie aufkommt. Ansonsten ist aber alles beim Alten geblieben.

Fühlt es sich jetzt anders an, als Olympiasieger in die Saison zu gehen?

Christoph Harting:

Es ist absolut kein Unterschied. Es gibt keinen Druck, keinen Stress. Es geht um mich und meine Leistung. Ich habe einen Plan, mit dem ich noch ein bisschen weiter werfen und in drei Jahren wieder ganz oben sein will. Da bietet sich das Jahr jetzt als ein bisschen ruhigeres Jahr an. Ich würde jetzt nicht sagen, dass wir deutlich weniger trainieren, aber wir haben ungefähr 85 bis 90 Prozent der Umfänge aus dem letzten Jahr.

Wenn Sie 2017 selbst als „ruhiger“ bezeichnen, was sind Ihre Ziele in diesem Jahr?

Christoph Harting:

Eine Medaille bei der WM. Ansonsten habe ich mir darüber bisher aber keine Gedanken gemacht. Da gehe ich ganz entspannt heran.

Sie trainieren seit einiger Zeit allein bei Ihrem Trainer Torsten Lönnfors. Wie hat sich diese Zusammenarbeit inzwischen eingespielt?

Christoph Harting:

Ich denke, wir haben den Idealzustand in der Athletenbetreuung erreicht. Wir haben im Prinzip Einzelunterricht. Das ist das Beste, was einem passieren kann, weil man am meisten lernen, am meisten mitnehmen kann. Das macht ganz viel Spaß, und ich habe ganz großen Respekt vor diesem Menschen.

Was hat sich denn seit Ihrem Olympiasieg geändert? Sie hatten Fernsehauftritte, außersportliche Veranstaltungen, wie haben Sie das koordiniert?

Christoph Harting:

Das ist organisatorisch natürlich eine Herausforderung, Sport, Studium und außersportliche Aktivitäten unter einen Hut zu bringen. Aber es hat Spaß gemacht, sehr viel sogar. Ich habe ein paar nette Leute kennengelernt, daher: Bei Gelegenheit gerne wieder.

An welche Situationen erinnern Sie sich besonders gern?

Christoph Harting:

Ich habe an ein, zwei Quizsendungen teilgenommen, das war ganz lustig. Auch mal den ganzen Ablauf drumherum kennenzulernen: Wie ist die Vorbereitung? Wie viele Leute arbeiten hinter den Kulissen? Das war recht interessant. Ich durfte Kai Pflaume kennenlernen, von dem ich ganz viel halte.

Was mögen Sie an ihm besonders?

Christoph Harting:

Vor seiner Arbeit und Menschlichkeit habe ich ganz viel Respekt. Er ist ein sehr direkter Mensch, der sich sehr gut artikulieren kann. Und soweit ich feststellen konnte, immer ehrlich ist. Es ist schön, in der direkten Kommunikation ehrliches Feedback zu bekommen.

Sind diese außersportlichen Termine jetzt vorbei? Steht der Sport jetzt wieder im Vordergrund?

Christoph Harting:

Es ist natürlich schwer, von Show zu Show zu tingeln und dabei noch Leistung zu bringen. In dem Sinne habe ich diese öffentlichkeitswirksamen Auftritte auf die Zeit beschränkt, in der ich keinen Sport mache. Als die Saison wieder losging, habe ich das auf null gefahren.

Hat sich der Olympiasieg auch finanziell für Sie gelohnt?

Christoph Harting:

Ich sage mal: Ich verdiene mehr als vorher.

Wie sehr mussten Sie dabei selbst aktiv werden?

Christoph Harting:

Es ist ein Irrglauben zu denken: „Jetzt habe ich eine olympische Medaille, lege die Hände in den Schoß, und die Leute rennen mir mit ihrem Geld die Bude ein“. Natürlich muss man die Akquise von Sponsoren selbst betreiben.

Machen Sie das allein oder haben Sie dabei noch Unterstützung?

Christoph Harting:

Das mache ich in der Regel allein.

Wie viel Zeit haben Sie da hineingesteckt?

Christoph Harting:

Das hat sehr viel Zeit und Energie gekostet. Mehr als ich vermutet hätte. Es kommt immer oben darauf: Am Tag vielleicht abends zwei Stunden, wenn ich die Zeit hatte. Ich studiere ja auch noch neben dem Sport. Es war alles relativ umfangreich.

Haben Sie dabei noch negative Auswirkungen der Diskussion um die Siegerehrung in Rio erlebt?

Christoph Harting:

Das ist inzwischen so egal. Im Gegenteil: Die meisten - und das ist der lustige Schluss daran - können sich an das ganze Geschehen der Siegerehrung gar nicht mehr erinnern. Die wissen nur noch: „Ah, der ist Olympiasieger geworden. Lass uns doch mal mit dem quatschen'“ Dass sich dieser „Negativhype“ verläuft und man dadurch nur noch bekannter ist, nehme ich mit einem Schmunzeln zur Kenntnis.

Zuletzt hieß es in den Medien, ein Sponsor würde von Ihrem Bruder Robert zu Ihnen wechseln. Stimmt das?

Christoph Harting:

Dieser Sponsor hat uns beide gefördert. Aus Sicht des Unternehmens, das Leistung und Umsatz generieren will, stellt sich irgendwann die Frage: Wann kann ich einen Sportler noch halten und wann nicht? Nüchtern betrachtet ist es vielleicht der Entschluss des Unternehmens gewesen, zu sagen: Okay, aus unserer Sicht gibt es da keinen Profit mehr, und wir beenden die Zusammenarbeit mit ihm. Ich würde hier nicht von einem Wechsel sprechen, im Gegenteil: Über die Zeit hat sich der Sponsor den Leistungsstärkeren genommen. Es ist schwierig zu beschreiben: Das Unternehmen hat jahrelang mit uns beiden zusammengearbeitet, und irgendwann haben sie gesagt: Bei dir sehen wir noch Potenzial – und bei dir nicht mehr.

Kommen wir zurück auf Ihren Saisoneinstieg in Shanghai, was haben Sie sich für Samstag vorgenommen?

Christoph Harting:

Im letzten Jahr in Wiesbaden bin ich beim Saisonauftakt ohne gültigen Versuch gestartet. Von daher: Besser sein als letztes Jahr.

In Deutschland liegt oft das Hauptaugenmerk auf dem Duell mit Ihrem Bruder Robert. Ist das noch besonderer Ansporn, oder ist er ein Konkurrent wie jeder andere?

Christoph Harting:

Er ist ein Gegner wie jeder andere auch. Ob da jetzt meine Großmutter im Ring steht, mein Bruder oder mein bester Freund – das ist egal. Es geht darum, die optimale Leistung zu generieren.

Derzeit wird das Dopingproblem in Russland heftig diskutiert. Sollte Russland aus ihrer Sicht bei der WM teilnehmen?

Christoph Harting:

Eine schwierige Frage, ich bin da kein Fachmann. Ich denke nur, wenn Verstöße begangen wurden, sollten auch konsequente Strafen folgen. Deshalb ist wohl ein Ausschluss der Russen von der WM sehr wahrscheinlich.

Finden Sie, dass durch das Dopingproblem alles unter einem Generalverdacht steht?

Christoph Harting:

Wer sich selbst nichts anzulasten hat, warum sollte der einen Verdacht verspüren? Was natürlich darunter leidet, ist dieses sakrale Ansehen des Sports. Aber ich persönlich fühle mich jetzt nicht bedrängt. Was schade ist: Das Interesse nimmt aufgrund solcher Machenschaften weiter ab, weil der Zuschauer sich betrogen fühlt.

Blicken wir noch ein bisschen voraus: Im nächsten Jahr steht die Heim-EM in Berlin an, in drei Jahren Olympia in Tokio. Was haben Sie sich vorgenommen?

Christoph Harting:

Ich bin jemand, der eher langfristig plant. Unser Ziel ist Olympia 2020 – und ich will auf dem Weg dahin noch sehr weit werfen. Höhepunkte zu Hause sind immer etwas Besonderes, das steht außer Frage. Ich hoffe, dass die Organisatoren in Berlin diesen Wunschgedanken eines Sportlers gerecht werden und das wirklich zu einem Highlight machen. Womit ich ein bisschen Bauchschmerzen habe, ist die Siegerehrung auf dem Breitscheidplatz. Wenn man an den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt zurückdenkt, weiß ich nicht, ob das der günstigste Ort wäre. Andererseits ist es mit der Historie von Berlin wahrscheinlich schwierig, einen Ort zu finden, der 100-prozentig perfekt ist. Ich denke, es gibt geeignetere Plätze. Wie weit das realisierbar ist, vermag ich aber nicht zu beurteilen.

Quelle: Sport-Informations-Dienst SID

Mehr:

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