| Interview

Christopher Linke: "Ich traue mir den deutschen Rekord zu"

Erster Wettkampf – erstes Ausrufungszeichen. Beim "Erfurt Indoor" am Freitag erzielte Christopher Linke im 3.000 Meter Bahngehen in 10:49,33 Minuten die zweitbeste jemals gestoppte Zeit. Für Deutschlands besten Geher soll es nicht die einzige bemerkenswerte Marke dieser Saison bleiben. Im Interview sprach der 29-Jährige über die Saisonvorbereitung, den deutschen Rekord, die nationale Konkurrenz und den Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit.
Sandra Arm

Christopher Linke, die Organisatoren des "Erfurt Indoor" haben Ihnen die Chance gegeben, sich vor einer tollen Kulisse zu präsentieren. Keine alltägliche Situation für Sie als Geher.

Christopher Linke:

Das war etwas ganz Besonderes, unsere Disziplin ausnahmsweise vor solch einem Publikum präsentieren zu dürfen. Wir sind stolz und zugleich froh, dass wir zeigen konnten, was Gehen bedeutet und wie schnell man gehen kann. Das haben wir in dieser Form sonst gar nicht.

Vor wenigen Tagen sind Sie aus dem vierwöchigen Trainingslager in Dullstroom in Südafrika zurückgekehrt. In welchen Bereichen lag der Fokus?

Christopher Linke:

Im Grundlagen-Ausdauertraining. Die Geschwindigkeiten waren moderat. Es ging darum, Kilometer zu machen. Ich bin im Schnitt um die 170, 180 Kilometer gegangen. In Spitzenwochen waren es bis zu 200 Kilometer. Für meine Verhältnisse habe ich relativ viel trainiert, aber mit einem höheren Niveau als in den vergangenen Jahren. So konnte ich einen kleinen Schritt in die richtige Richtung machen.

Nach einer kurzen Stippvisite in Potsdam ging es für Sie am Sonntag ins zweite Trainingslager nach Chiclana in Spanien.

Christopher Linke:

Aber nicht mit dem kompletten Team. Wir sind zu dritt: Karl Junghannß, Jonathan Hilbert und ich. Das ist dem Umstand geschuldet, dass Jonathan seine Polizeiausbildung abgeschlossen hat und dadurch das erste Trainingslager verpasst hat. Ich habe die Möglichkeit für das zweite Trainingslager gern angenommen. Für mich besonders schön, weil ich beim Training im Winter öfters mit einer Erkältung und Gelenkproblemen aufgrund der Kälte zu tun habe.

Wo liegen für Sie in Chiclana die Schwerpunkte?

Christopher Linke:

Mir ist die Qualität des Trainings wichtig. Es werden im Vergleich zu Südafrika nicht mehr ganz so viele lange Strecken werden und das Tempo erhöht.

Bleibt im Trainingslager Zeit für gemeinsame Unternehmungen?

Christopher Linke:

Unternehmungen sind schwierig. Dullstroom liegt im Nirgendwo. Ein Ausflug bedeutet zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück. Ich war jetzt das zehnte Mal dort. Anfangs war ich bei den Ausflügen noch dabei. Mittlerweile steht der Sport im absoluten Fokus, dass ich gut trainiere und mich für den nächsten Tag so gut wie möglich erhole. Highlights sind an jedem Ruhetag die Fahrt nach Dullstroom zum Kaffeetrinken und nach jedem harten Block ein schönes Abendessen.

Wie vertreiben Sie sich sonst die trainingsfreie Zeit im Trainingslager?

Christopher Linke:

Mit Gesellschaftsspielen, oder einer hat die Playstation dabei, dann wird Fußball gespielt.

Und wer ist der absolute Crack?

Christopher Linke:

Ich bin eher der Schlechteste (lacht). Ich habe keine eigene Playstation, das ist der Nachteil. Karl Junghannß und Hagen Pohle liefern sich immer heiße Duelle, das sind unsere Fußballcracks.

National werden Sie nicht nur an der Playstation richtig gefordert. Wie beurteilen Sie die nationale Konkurrenz beim Gehen?

Christopher Linke:

Ich habe gemerkt, als mir die nationale Konkurrenz fehlte, habe ich mich nicht weiterentwickelt. Bis 2012 ging es steil bergauf, über 20 Kilometer habe ich mich stetig verbessert. Als André Höhne seine Laufbahn beendete, war ich plötzlich der schnellste Deutsche – und nach mir klaffte eine große Lücke. Ich wurde national nicht gefordert. Erst in Richtung 2014/2015, wo Nils Brembach, Hagen Pohle und Nils Gloger über 20 Kilometer aufgerückt sind, wurde ich auch im Training gefordert. Das Ergebnis in Peking (WM 2015; 38. Platz) hat mich dann richtig wachgerüttelt. Seither bin ich auf einem ganz anderen Niveau als die Jahre zuvor.

Wie sieht Ihr Fahrplan bis zur Heim-EM in Berlin aus?

Christopher Linke:

Ich werde am 7. März ins Trainingslager nach Mexiko fliegen und dort auf der extremen Höhe von knappen 2.600 Metern trainieren. Für mich eine ganz andere Höhe als zuletzt in Flagstaff (2017), ein neuer Reiz, den ich brauche – und auch suche. Nach unserer Rückkehr, Anfang April, geht es nach Podebrady (7. April) und anschließend zu den Deutschen Meisterschaften nach Naumburg (14. April).

Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund sind die Geher nicht dabei.

Christopher Linke:

Wir sind darüber sehr unglücklich. Die Meisterschaften sind für uns die einzige Grundlage, um der breiten Masse das Gehen zu präsentieren und um Nachwuchs zu gewinnen. Wir brauchen Nachwuchs, um unsere Disziplin zu entwickeln. Diese Bühne wird uns genommen. Wir bringen Jahr für Jahr Weltklasse-Leistungen, sind aber im EM-Jahr bei den Bahn-Meisterschaften nicht präsent.

Gibt es im Training für 2018 Veränderungen, die Sie vorgenommen haben?

Christopher Linke:

Ja, aber ich befinde mich noch im Aufbau, so dass wir sie noch nicht umsetzen konnten. Wir haben gerätselt, woran es liegt, dass ich zum Ende der 20 Kilometer nicht mehr die Kraft beziehungsweise die Schnelligkeit habe, um mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten. Es reicht nicht mehr aus, zwei konstant gut Hälften zu gehen. Die zweite ist deutlich schneller geworden. Bei der WM in London bin ich an der Konkurrenz drangeblieben und am Ende hat dann das eine Prozent gefehlt. Es wird nicht einfach, dieses eine Prozent herauszukitzeln.

Sie waren bei der WM in London hinter dem Russen Sergey Shirobokov zweitbester Europäer. Das verleitet dazu, mit Blick auf die Heim-EM, von einer Medaille zu sprechen.

Christopher Linke:

Ja natürlich. Der Laie würde jetzt sagen, du hast den Europa-Cup gewonnen, bist zweitbester Europäer bei einer WM, du musst jetzt eine Medaille holen. In London sind fünf Europäer, darunter drei Spanier, unter 1:20 Stunde geblieben. Aktuell haben wir in Europa ein super hohes Niveau. Die Spanier haben extrem aufgerüstet, sie haben ein starkes Team. Ich weiß nicht, welche Russen wiederkommen. Das wird in Berlin kein Selbstläufer. Ich werde alles dafür tun, eine Medaille zu gewinnen. Noch dazu traue ich mir in diesem Jahr den deutschen Rekord zu.

Dieser steht seit 2000 bei 1:18:42 Stunden, aufgestellt von Andreas Erm. Im vergangenen Jahr fehlten Ihnen 17 Sekunden an der Rekordmarke. Worauf wird es ankommen?

Christopher Linke:

Die aktuelle Tagesform, ich brauche gutes Wetter - ich muss einfach den perfekten Tag haben. Wenn das alles zusammenpasst, dann kann ich den Deutschen Rekord gehen. In Berlin wird es schwierig, es ist für mich nicht die perfekte Strecke. Es gibt Wenden, pro Wende verliert man als Geher eine Sekunde. In Podebrady gibt es Runden. Wenn ich gut durch das Trainingslager in Mexiko komme, dann will ich versuchen, den Deutschen Rekord in Podebrady anzugreifen. Oder beim Weltcup in Taicang (China). Ich war zwei Mal dort, bin zwei Mal Bestleistung gegangen.

Aktuell laufen die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Schaut man als "Sommersportler" auch mal dorthin?

Christopher Linke:

Wenn ich die Möglichkeit und die Zeit habe, dann schaue ich mir auch gern Biathlon oder Langlauf an. Wir sind während der Spiele im Trainingslager in Spanien. Ich hoffe, es gibt dort deutsches Fernsehen. Im Bett liegen und Fernsehen schauen, das kann man auch nach der härtesten Einheit (lacht).

Angenommen Sie hätten einen Wunsch frei, mit welcher Wintersportart würden Sie gern tauschen?

Christopher Linke:

Ganz klar Biathlon. Das ist schon krass, wie stark beim Biathlon das mediale Interesse ist. In meiner Disziplin ist das Problem, du kannst noch so gut sein, jeder andere ist mehr wert. Das ist schade. Dennoch bin ich gern Geher. Es erfüllt mich ein Stück weit mit stolz, dass ich in der Weltklasse angekommen bin.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024