Christopher Linke ist ein Grenzgänger
Sie sind mit ihren Rennen über 50 Kilometer am längsten unterwegs und drehen dafür im Training hunderte Runden - auf der anderen Seite haben sie die wenigsten Wettkampf-Möglichkeiten, kämpfen um Anerkennung und werden sogar oft belächelt: Als Geher kommt es nicht nur darauf an, sich auf der Strecke zu beweisen. Das weiß Christopher Linke (SC Potsdam) ganz genau. Dennoch arbeitet er täglich an sich, denn er hat ein Ziel: Eine vordere Platzierung bei Olympia 2016, manche trauen ihm sogar zu, bald für Medaillen gut zu sein.
Christopher Linke gehört zu denen, die sich über den milden Winter in den vergangenen Wochen freuen. Denn ausbleibender Schnee und Plusgrade haben Training im Freien möglich gemacht. Bei vereisten Wegen heißt es ab in die Halle - und das ist bei Einheiten von 30 Kilometern am Stück, also 150 Hallenrunden, alles andere als angenehm. „Das dreimal die Woche wird schnell langweilig, wenn nicht sogar stupide“, erklärte der 24-Jährige, für den die lange Vorbereitungszeit ohne Wettkämpfe von Oktober bis April nicht einfach ist, da ihn besonders die Rennen mit starker Konkurrenz reizen.Abhilfe schafft da die Trainingsgruppe mit weiteren Nachwuchshoffnungen um Hagen Pohle, Nils Gloger und Nils Brembach (alle SC Potsdam), die drei sind noch jünger als Christopher Linke. „Die Gruppe kann noch jahrelang bestehen und wir uns gegenseitig hochziehen.“ Allerdings weiß der Deutsche Meister über 20 Kilometer auch, „dass kaum einer eine Chance hat, wenn ich durchziehe.“ Deshalb bemüht sich Trainer Ronald Weigel um internationale Mitstreiter für Trainingslager. In den kommenden vier Wochen wird zum Beispiel in Spanien mit Bertrand Moulinet (Frankreich) trainiert, dem Olympia-Achten von London (Großbritannien) über 20 Kilometer, also einem für Christopher Linke mindestens ebenbürtigen Trainingspartner.
Kampf um Anerkennung
Dass sich der Potsdamer auf das Gehen konzentrieren kann, macht die Bundeswehr möglich. „Ohne die könnte ich mir den Sport nicht leisten.“ Von Startgeldern im vierstelligen Bereich, wie sie für deutsche Spitzenathleten in anderen Disziplinen durchaus zur Tagesordnung gehören, kann der Geher nur träumen. Wirklich Geld lässt sich nur in der Geher-Challenge des Weltverbandes IAAF verdienen. Da nicht viele Starts pro Jahr möglich sind und die Konkurrenz hart ist, kommt dabei finanziell aber bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein heraus.
Auch an Anerkennung mangelt es. „Wenn ich erzähle, dass ich Geher bin, schmunzeln alle. Wenn jemand erzählt, dass er läuft, zum Beispiel einen Marathon, dann bekommt er Respekt.“ Dabei sind die Geher mit ihren 50 Kilometern noch länger unterwegs und allemal schneller, als ambitionierte Hobbyläufer.
Beeindruckende Umfänge
Von den Trainingsumfängen der Geher beeindruckt, waren Läufer wie André Pollmächer (Rhein-Marathon Düsseldorf) oder Sabrina Mockenhaupt (LG Sieg), mit denen Christopher Linke schon im Trainingslager war. „Die haben hinterher gesagt, dass wir Geher verrückt sind.“ Sie gehen an Grenzen und darüber hinaus.
Nicht verstehen kann der ehemalige Läufer, warum das Gehen aus dem Programm der Deutschen Meisterschaften gestrichen wurde und die Titel bei einem separaten Wettkampf vergeben werden. „International gesehen sind wir nicht die schwächste Disziplin im DLV. Theoretisch müssten demnach eher andere Disziplinen aus dem Programm fallen. Aber danach geht es nicht.“ Auch um sich möglichem Nachwuchs präsentieren zu können wünscht sich der Geher, dass seine Disziplin 2014 wieder im DM-Programm auftaucht. „Viele wissen gar nicht genau, was Gehen überhaupt ist.“ Auf seiner Homepage stellt Christopher Linke seine Disziplin deshalb genauer vor.
Potential noch nicht ausgeschöpft
Bei all den Schwierigkeiten ist es kein Wunder, dass die Motivation des hoch aufgeschlossenen Athleten manchmal begrenzt ist . „Ich bin ein Mensch, der gerne Spaß hat und Gehen ist nicht immer Spaß. Man muss mental stark sein und einfach den Willen haben. Daran arbeite ich.“ Großes Ziel und die wichtigste Motivationshilfe ist Olympia in Rio de Janeiro (Brasilien) im Jahr 2016. „Da werde ich für eine vordere Platzierung gut sein.“
Einer, der etwas davon versteht, glaubt an diese Prognose: Peter Frenkel, der bisher einzige deutsche Olympiasieger im 20 Kilometer Gehen von 1972 in München. Der mittlerweile 73-Jährige kommt immer noch ab und zu beim Training vorbei und sagte dabei über Christopher Linke: „Er ist eines der größten, wenn nicht das größte Talent im Gehen in Deutschland, das wir je hatten.“
Moskau als Zwischenstation
Solche Momente sind es, die dem 24. von Olympia in London über 50 Kilometer Kraft geben, seinen Weg weiter zu gehen. Bei allen internationalen Großereignissen, also EM, WM und Olympia, sind erste Erfahrungen gemacht - das hat Lust auf mehr gemacht. In den kommenden drei Jahren gilt es, sich Stück für Stück weiterzuentwickeln. Der nächste Schritt soll bei der WM in Moskau (Russland; 10. bis 18. August) getan werden. Die Top-Zwölf sind das Ziel - über 20 Kilometer, die in diesem Jahr im Vordergrund stehen werden.
„In Moskau werden die Geher gefeiert werden. Ich freue mich jetzt schon. In Russland ist Gehen populär.“ Etwas mehr von dieser Begeisterung erhofft sich der 24-Jährige auch national - für die will er gemeinsam mit seinen Trainingskollegen sorgen. „Wir wollen den Gehsport in Deutschland wieder nach vorne bringen.“