Christopher Linke - „Nicht auf Talent ausruhen“
Für Christopher Linke ist ein Doppelstart bei den Olympischen Spielen in London (Großbritannien) zum Greifen nah. Der Potsdamer Geher hat seit der letzten Woche nach der 50 Kilometer- auch die 20 Kilometer-Norm in der Tasche. Über die Ausgangsposition, die Verteidigung seines Startplatzes und seinen Quervergleich mit dem Berliner Routinier André Höhne spricht der 23-Jährige im Interview.
Christopher Linke, herzlichen Glückwunsch zur Olympianorm über 20 Kilometer. Damit haben Sie jetzt schon zwei Normen in der Tasche. Wird das die Qual der Wahl für London oder zeichnet sich der Doppelstart ab?Christopher Linke:
Ich hatte Ende letzten Jahres gesagt, es wäre für mich ein Traum, in London einen Doppelstart zu machen. Das war mein Ziel. Anfang des Jahres hatte ich aber massive Probleme mit dem Knie. Kein Arzt konnte mir sagen, was ich habe. Die Schmerzen sind nicht weggegangen. Ich wurde mit Cortison gespritzt. Mein Traum vom Doppelstart wurde immer geringer. Dass es jetzt doch [mit der zweiten Norm] geklappt hat, macht mich super zufrieden.
Wie schätzen Sie die neue Bestzeit über 20 Kilometer von 1:20:41 Stunden, die sie am Freitag in Taicang (China) gegangen sind, ein?
Christopher Linke:
Ich habe schon mit einer Bestzeit geliebäugelt. Wenn die Bestzeit aber so viel besser ist als die Zeiten davor, ich habe mich letztes Jahr um drei Minuten gesteigert, dann ist es schwer wieder daran anzuknüpfen. Dass es jetzt eine Bestzeit geworden ist, hat mich selbst ein bisschen überrascht. Es hat mich sehr motiviert. Ich hoffe, dass ich jetzt gut und ohne Probleme mit meinem Knie weiter trainieren kann. Die Beschwerden sind deutlich besser geworden.
Worauf wird es jetzt ankommen, damit der Traum vom Doppelstart am Ende in Erfüllung gehen kann?
Christopher Linke:
Den Traum kann ich noch nicht träumen. Wir haben vier Leute, die über 50 Kilometer in den Bereich der Norm gehen können. Ich kann mir deshalb noch nicht sicher sein, über 50 Kilometer bei Olympia dabei zu sein. Es gibt noch eine Möglichkeit beim Weltcup. Es wird jetzt darauf hinauslaufen, dass ich dort auch die 50 Kilometer gehe. Ich möchte es nicht darauf ankommen lassen, dass mich noch jemand im letzten Wettkampf raushaut, sondern selbst eingreifen können, um auf jeden Fall der drittbeste Deutsche zu werden.
Worin begründet sich diese neue Stärke im deutschen Männergehen, dass vier Athleten Aussicht auf ein Olympiaticket haben?
Christopher Linke:
Wir haben mit André Höhne ein Vorbild, an dem wir uns hochziehen können. Das klappt ganz gut. Wir haben jedes Jahr aufs Neue gesehen, dass wir immer ein Stückchen rankommen. Das motiviert einen natürlich. Wir haben auch gute Nachwuchsathleten, die immer noch interessiert sind zum Gehen zu kommen. Wir sind zur Zeit fünf, sechs Athleten, die in den nächsten Jahren - auch wenn André aufhört - nachrücken können.
Im letzten Jahr war schon von der Wachablösung die Rede. Wie stehen die Vorzeichen für dieses Jahr im Kräftemessen mit André Höhne?
Christopher Linke:
Ich hatte nicht direkt von Wachablösung gesprochen. Für mich persönlich ist es aber ein bisschen schade, wenn der Beste aufhört und man als Zweitbester dann Bester wird. Deshalb ist es mein großes Ziel, André zu schlagen und ihn als bester Geher abzulösen. Dafür wird alles getan.
Wie fällt denn der unmittelbare Vergleich mit André Höhne aus?
Christopher Linke:
Ich bin aufgrund meiner körperlichen Statur noch nicht so leistungsfähig. Ich bin sehr schlank, ich habe gerne Probleme mit der Muskulatur. Deshalb kann ich nicht so hohe Belastungen trainieren. Mittlerweile trainiere ich aber auch sehr hart und viel. Ich habe öfters Ausfälle, das ist mein großes Manko.
Gibt es im Training noch einen Abstand zu André Höhne?
Christopher Linke:
Ja, auf jeden Fall. André trainiert in einer anderen Liga als ich. In Phasen, in denen ich hart trainiere, machen wir gleich viel. Ich habe viele Wochen, in denen ich deutlich weniger trainiere. Ich kann zwei Wochen hart trainieren, dann brauche ich eine Woche, in der ich weniger trainiere und mich erhole. André kann unglaublich gut konstant trainieren. Das ist seine große Stärke. André ist ein Arbeiter.
Ist dagegen das Talent das Erfolgsgeheimnis von Christopher Linke?
Christopher Linke:
Ich darf mich nicht auf meinem Talent ausruhen. Ich könnte viel, viel mehr, wenn ich mir im Kopf klar werden würde, dass ich deutlich mehr trainieren müsste, um noch viel besser zu werden. Das ist meine große Schwäche, dass ich das noch nicht verstanden habe. Ich habe das Potenzial, das kann ich aber noch nicht ausschöpfen.
Trotzdem konnten Sie sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessern und auch international in Erscheinung treten. Gab es einen Knackpunkt in Ihrer noch jungen Karriere?
Christopher Linke:
Ich denke, der Knackpunkt war Barcelona [EM 2010]. Als ich auf den 50 Kilometern aussteigen musste, habe ich mir gedacht: Es kann nicht so weitergehen. Aussteigen ist das Schlimmste für einen Sportler. Danach musste ich auch mit meinem Trainer Tacheles reden und er hat mir wirklich den Kopf gewaschen. Ich war viel zu lässig an die Sache herangegangen, ich war mir des Ernstes der Lage nicht bewusst. Da habe ich mich jetzt schon gesteigert.
Wenn man die internationale Konkurrenz und die Weltspitze betrachtet: Wo sehen Sie sich momentan?
Christopher Linke:
Nur die Chinesen oder Russen können mit 22 oder 23 Jahren Spitzenzeiten gehen. Die anderen Länder kommen mit 26 oder 27 Jahren. Ich bin mit meinen 23 Jahren noch relativ jung im Geschäft. Ich würde sagen, ich gehöre zur zweiten Garde der Weltspitze, zum Verfolgerfeld. Ich entwickle mich noch und kann irgendwann auch da oben angreifen.
Wie würden Sie die Zielsetzung für Olympia formulieren?
Christopher Linke:
Die 20 Kilometer als eine gute Vorbelastung nutzen und die 50 Kilometer durchziehen. Ich will auf den 50 Kilometern gut aussehen und einen guten Platz machen. Ein guter Platz heißt für mich: zwischen Zehn und 15.
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