Citylauf in Oelde - Luminita Zaituc ist nicht zu bremsen
Der Mann hätte vor Schreck fast in sein Mikro gebissen. "Mein lieber Scholli", entfuhr es Winfried Aufenanger, "die Frau haut mich um." Mit riesig langen Schritten, als habe sie Sieben-Meilen-Stiefel an den Füßen, stürmte Luminita Zaituc leichtfüßig über das Kopfsteinpflaster. "Das ist ja der helle Wahnsinn", tönte Aufenangers aufgeregte Stimme aus den Boxen, "Luminita, du bist Spitze!" Der Marathon-Mann staunte über die Marathon-Spezialistin und meinte nach kurzem Blick auf die Digitaluhr über dem Ziel: "Neue deutsche Bestzeit!" Luminita Zaituc, die Hauptdarstellerin beim Sparkassen-Citylauf in Oelde, hatte im 10-Kilometer-Rennen allen die Show gestohlen. 31 Minuten und 58 Sekunden war sie unterwegs gewesen. So flott wie noch nie in ihrer Karriere.
Bogen überspannt? Weit gefehlt!
Die neugierigen Zuschauer wunderten sich, dass ein so zierliches Persönchen so schnell laufen kann. Nicht wenige hatten in der turbulenten Schlussphase befürchtet, dass Luminita Zaituc in der letzten Runde, als sie die führende Kenianerin Jane Kiptoo energisch attackierte, den Bogen überspannen würde. Aber weit gefehlt! Wer so klein ist wie sie, nämlich 1,65 Meter, und so leicht, 47 Kilo, dem mag der Gedanke nicht kommen, er verfüge über unerschöpfliche Energien. Solche Typen schießen selten übers Ziel hinaus. Wenn schon, dann treffen sie meist haargenau ins Schwarze wie Luminita Zaituc.
Sie war glücklich. Überglücklich. "Ich wusste, dass ich prima in Form bin", erzählte die gebürtige Rumänin, die 1990 im westfälischen Hamm Asyl angemeldet und 1993 die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat, "dass es aber so gut laufen würde, damit hatte ich nicht gerechnet." Sie begründete ihre ausgezeichnete Verfassung auch damit, dass sie sich von dem reichen und lukrativen Angebot an Straßenrennen nicht verführen lasse.
Volle Konzentration auf München
Die ganze Konzentration gilt den Europameisterschaften in München. Dafür trainiert sie bei Wind und Wetter. "Allwöchentlich kommen 170 Kilometer zusammen. Mal mehr, mal weniger", berichtete Luminita Zaituc, "ich laufe meist im Wald, weil das für die Gelenke schonender ist." Daher saust sie auf leisen Sohlen durchs Unterholz von Hamm-Heesen, einem Waldgebiet mit ausgedehntem Wegenetz, wo sie nach Lust und Laune ihre täglichen Kilometer-Rationen bewältigt.
Nach einer Entdeckungsreise, die sie zunächst auf die Mittelstrecke, dann auf die Langstrecke führte, wo ihr stets der große Coup verwehrt wurde, ist Luminita Zaituc mittlerweile beim Marathon gelandet. Mit 33 hat sie den Absprung erfolgreich geschafft. "In München", sagte Zaituc, die für die LG Braunschweig startet, "möchte ich meine Bestzeit angreifen." Im vergangenen Oktober erreichte sie im zweiten Marathon ihres Lebens ein vorzügliches Resultat. Mit 2:26:01 Stunden ist sie seither die drittbeste deutsche Läuferin hinter Uta Pippig (2:21:45 h in Boston 1994) und Katrin Dörre-Heinig (2:25:15 h in Berlin 1994). In der Main-Metropole gewann sie übrigens ihren fünften DM-Titel in einem Jahr! "Wenn ich meine Frankfurt-Zeit toppen kann", verkündete sie in Oelde zuversichtlich, "bin ich in München bestimmt vorn mit dabei." Luminta ("die Erleuchtete") Zaituc steckt voller Selbstbewusstsein. Und voller Tatendrang. Auch Dobre Dumitru, Freund und Trainer in einem, traut ihr weitere Steigerungsraten zu.
Warum nicht auch bei EM Erste?
Winfried Aufenanger war noch bei der Siegerehrung total begeistert von ihrer grandiosen Vorstellung. "Heute auf Platz eins, damals in Frankfurt Erste", meinte er und blickte optimistisch voraus, "warum nicht auch in München." Aufenanger ist kein Patentschwätzer, nein, nein, er kennt sich aus. Als ehemaliger Bundestrainer hat der Hauptkommissar aus Kassel den nötigen Durchblick. Luminta Zaituc ist für ihn eine Geheimfavoritin beim "Run" auf die begehrten EM-Medaillen.
Eine hat die Europameisterschaften bereits abgeschrieben: Kathrin Weßel, die mit ihrer Entscheidung bei den DLV-Oberen einigen Unmut erzeugt hat. "Ich plane lieber für Berlin", wiederholte die Berlinerin noch einmal, "da bleibt mir eine längere Vorbereitungsphase." Die Seriensiegerin, die zuvor in Berlin, Borgholzhausen und Cuxhaven kräftig abgeräumt hatte, sah diesmal nur die Absätze ihrer Konkurrentinnen. "Mir fehlte die Frische", entschuldigte sich Weßel, Gesamtfünfte in 33:19 Minuten, "ich muss jetzt regenerieren."
Kathrin Weßel nach Sankt Moritz
Nach dem City-Lauf in Darmstadt sei sie nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. "Das war ein Wettkampf zuviel", betonte die 35-jährige Berlinern, die in Begleitung von Ehemann Andreas und Töchterchen Nele ins Münsterland gereist war, "jetzt geht's nach St. Moritz." Endlich mal kein Wettkampf, dafür Training in leistungsfördernder Höhenluft, um für den Berlin-Marathon Ende September hundertprozentig fit zu sein.
Sammy Kipruto strahlender Männer-Sieger
Sammy Kipruto, der strahlende Sieger bei den Männern, hat ebenfalls Marathon-Ambitionen. "Kann durchaus sein, dass Sammy bei einem der Herbstläufe sein Debüt gibt", ließ Volker Wagner verlauten, "ich denke da an Köln." Wagner, der ihn in seiner Trainingsgruppe in Detmold betreut, hält große Stücke auf seinen ehrgeizigen Schützling. "Sammy ist ein vielseitiger Läufer", lobte er den 23-jährigen Tempobolzer, der erst vor sechs Wochen aus Kenia in Deutschland eingeflogen ist, "er ist die 1500 Meter schon in 3:35 gelaufen und den Halbmarathon in 1:01."
In Oelde vertraute Sammy Kipruto auf sein bärenstarkes Finish. Andreas Bucholz, ein enger Mitarbeiter von Volker Wagner, hatte während des Rennens, als ihn Winfried Aufenanger nach seinem Tipp befragte, das richtige Näschen bewiesen: "Sammy gewinnt vor Rodgers Rop und Tendai Chimusasa." Kipruto, der zu den Nandis zählt, dem Stamm der Läufer, löste sich wie bereits in Darmstadt auf den letzten Metern von seinen Begleitern, dominierte in 28:44 Minuten und verpasste den zwei Jahre alten Streckenrekord von seinem Landsmann Wilson Kibet (28:39 min) lediglich um fünf Sekunden.
Boston-Marathon-Sieger nur Dritter
Allerdings irrte Bucholz in der weiteren Rangfolge. Rodgers Rop, der Triumphator beim traditionellen Boston-Marathon, musste sich Tendai Chimusasa beugen und belegte den dritten Rang in 28:49 Minuten. "Im Spurt waren die anderen beiden stärker", sagte Rop, der in Kenia als Polizist sein Geld verdient hat, doch nun als Laufprofi durch die Weltgeschichte tingelt, "die Strecke war für mich etwas kurz." Er hat bereits den New York-Marathon im Hinterkopf, um dort das begehrte Double, Boston und New York, zu realisieren.
Tendai Chimusasa war ein wenig traurig, dass er "nur" Zweiter war in 28:46 Minuten. "Ich konnte leider nicht mein Maximum geben", meinte er und deutete auf seinen geschwollenen Enkel, "in Darmstadt habe ich mir eine Verletzung eingefangen, die immer noch nicht ausgeheilt ist." Humpelnd schlich der Sonnyboy aus Simbabwe zum Interview mit Winfried Aufenanger und kündigte eine Revanche fürs nächste Jahr an: "Dann komme ich wieder, um erneut zu gewinnen." Sprach's und grinste wie ein Gute-Laune-Onkel, der weiß, wie er das interessierte Publikum bei Laune hält.
Carsten Eich bester Deutscher
Carsten Eich, sein Freund und Stallgefährte beim Sportausrüster "asics", war als Sechster in 29:08 Minuten bester Deutscher in einem Feld von über 500 Teilnehmern. "Das ist eindeutig zuviel", übte Eich leise Kritik, "denn bei den vielen Überrundungen ist kein vernünftiges Laufen möglich. Sonst wären die Endzeiten noch besser." Nachdem er bald den Kontakt zur Spitzengruppe eingebüßt hatte, tauchte der Neu-Braunschweiger, der weiter in Fürth wohnt und dort einen Halbtagsjob ausübt, vor der Schlussrunde überraschend wieder in vorderster Front auf. "Tja, die Kenianer hatten den Fuß vom Gas genommen, weil ihnen die überrundeten Läufer den Weg versperrten", präsentierte Eich des Rätsels Lösung, wieso er in Windeseile seinen Rückstand wettgemacht hatte, "als die Jungs dann wieder Druck gemacht haben, bin ich gleich wieder zurückgefallen." Mit 29:08 Minuten erzielte er dennoch eine ordentliche Zeit und bereitet sich jetzt auf seinen nächsten Marathon vor. "So wie's aussieht, werde ich wohl in Berlin starten", erzählte er, "mein Manager klärt gerade die letzten Einzelheiten." Bei Deutschlands bedeutendster Laufveranstaltung werden zugleich die nationalen Titelträger gekürt. "Deshalb", so Eich, "ist es natürlich besonders reizvoll, in Berlin live dabei zu sein." Dann gibt es auch ein Wiedersehen mit Kathrin Weßel, aber nicht mit Luminita Zaituc, denn die setzt ganz auf die EM in München.
5. Oelder Sparkassen-Citylauf:
Männer, 10 Kilometer:
1. Sammy Kipruto KEN 28:44
2. Tendai Chimusasa ZIM 28:46
3. Rodgers Rop KEN 28:49
4. Daniel Rono KEN 28:57
5. Wilson Kipkosgei Chemweno KEN 29:06
6. Carsten Eich GER 29:08
7. Paul Lorika KEN 29:08
8. Joel Kiplimo KEN 29:09
9. Charles Omwoyo KEN 29:10
10. Hamid Maabchour MAR 29 :31
Frauen, 10 Kilometer:
1. Luminita Zaituc GER 31:58
2. Jane Kiptoo KEN 32:07
3. Petra Kaminkova CZE 33:12
4. Christine Chepkonga KEN 33:16
5. Kathrin Weßel GER 33:19
6. Mary Ptikany KEN 33:33
7. Doroto Ustianowska POL 34:41
8. Jitka Belohlavkova CZE 37:14
9. Barbara Thiel GER 38:52
10.Jutta Rahms GER 38:57