Claudia Rath - Kämpferherz und Stehvermögen
Claudia Rath hat bei den Weltmeisterschaften in Moskau (Russland) 145 Punkte mehr gesammelt als je zuvor. Doch für die neunte deutsche Siebenkampf-Medaille in der WM-Geschichte sollte es nicht reichen. Am Ende fehlten der Frankfurterin lediglich 15 Punkte zur bronzenen Plakette - die noch vor den Titelkämpfen ein fernes Ziel schien.
"Ich habe Muskelkater in den Armen, im Rücken, in den Beinen, sogar in den Füßen.“ So ein Siebenkampf schlaucht, und Claudia Rath wollte am Tag danach eigentlich nur noch schlafen. Ihren tollen vierten Platz hatte sie noch ein wenig im DLV-WM-Club gefeiert. „Mehr als ein Radler ging aber nicht rein“, erzählte die Frankfurterin.Pressetermine trieben sie am nächsten Morgen schon wieder um acht Uhr aus dem Bett. Ins Hotelzimmer zog es die 27-Jährige später aber doch noch nicht, stattdessen gemeinsam mit Siebenkampf-Kollegin Kira Biesenbach (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Weitspringerin Lena Malkus (SC Preußen Münster) vor die Tür – schließlich ist man nicht jeden Tag in der russischen Hauptstadt. Wie schon am Vorabend bei den abschließenden 800 Metern gab Claudia Rath das Tempo vor, für ihre Begleiterinnen hieß das: langsam machen.
Dafne Schippers verteidigt Podiumsplatz
Ganz anders sah das in der letzten Disziplin im Wettkampf aus. Da zeigte sie den Gegnerinnen die Hacken. In 2:06,43 Minuten drückte die EM-Siebte ihre 800-Meter Bestzeit noch einmal um zwei Sekunden, in der Hoffnung, damit noch vom sechsten auf den Bronzerang vorpreschen zu können.
Doch hinter ihr zeigte sich, dass auch die Niederländerin Dafne Schippers über sich hinauswachsen kann, gerade, wenn es um eine Medaille geht. Sie pulverisierte ihre Bestleistung von Olympia in London (Großbritannien) um sieben Sekunden auf 2:08,62 Minuten und rettete 15 Punkte Vorsprung auf die Deutsche ins Ziel. „Jetzt fühle ich mich mehr wie eine Mehrkämpferin als eine Sprinterin“, erklärte die 21-Jährige, die ihre 100-Meter-Bestzeit in diesem Jahr auf 11,09 Sekunden gesteigert hatte.
Gold ging an Hanna Melnychenko – und das, obwohl die Ukrainerin in keiner der sieben Disziplinen die Beste war. Konstant gute Leistungen brachten ihr am Ende 6.586 Punkte ein. Eine Steigerung ihrer Bestleistung um 141 Punkte.
Gestärktes Selbstvertrauen
Nach den Europameisterschaften 2010 und 2012 gelang es Claudia Rath zum dritten Mal bei einer großen Meisterschaft, eine neuen Hausrekord aufzustellen. Wie sie das macht? „Da müssen Sie meinen Trainer fragen, ich vertraue ihm blind“, meinte die 27-Jährige in der Mixed Zone von Moskau zu den Journalisten.
Vertrauen ist genau das entscheidende Stichwort im Erfolgsrezept von Jürgen Sammert: „Vertrauen in die eigene Leistung.“ Das sollen seine Athleten in Wettkämpfen auch außerhalb der Mehrkämpfe gewinnen. Claudia Rath tat das zum Beispiel bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm als jeweils Sechste über die Hürden und im Weitsprung. Ein Flug auf 6,62 Meter beim WM-Testwettkampf von Weinheim gab noch einmal Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten für Moskau, wo sie diese Leistung sogar noch einmal um fünf Zentimeter überbot und auch noch im Hochsprung (1,83 m) eine neue Bestleistung aufstellte.
Endlich schmerzfrei
Dass die Stärken in den Sprint- und Sprungdisziplinen weiter ausgebaut werden konnten, ist vor allem damit zu erklären, dass eine leichte Verletzung am Sitzbein im Frühjahr endlich abgeklungen war, die sie zuvor zwei Jahre lang behindert hatte. Dazu beigetragen hat die Behandlung der Physiotherapeuten am Olympia-Stützpunkt Hessen. „Ich darf da jeden Tag auftauchen“, erzählte Claudia Rath, die seit 2010 zur Sportfördergruppe der Bundeswehr gehört und zweimal am Tag trainieren kann.
Mit den Siebenkämpferinnen Carolin Schäfer (LG Eintracht Frankfurt) und Christina Kiffe (ASC Darmstadt) sowie den Zehnkämpfern Jan Felix Knobel (LG Eintracht Frankfurt) und Simon Hechler (LA-Team Saar) hat sie starke Trainingspartner, die sie jeden Tag anspornen.
Fast schon aussortiert
Der Weg in das professionelle sportliche Umfeld war steinig. 2007 sollte die damalige Weitspringerin aus dem 1.600-Seelen-Ort Langendernbach im Westerwald schon als „für den Leistungssport ungeeignet“ aussortiert werden. Doch Jürgen Sammert nahm Claudia Rath in seine Trainingsgruppe auf. „Vielleicht liegt darin auch der Ursprung des großen Vertrauens“, vermutet er.
Die heutige WM-Vierte fuhr von da an dreimal in der Woche zum Training die 100 Kilometer nach Frankfurt hin und zurück. Als Erzieherin mit Halbtagsjob konnte sie es sich nicht leisten, umzuziehen. Der deutsche Juniorenmeistertitel 2008 in Hannover verdrängte erneute Gedanken ans Aufhören.
6.600 Punkte möglich
„Claudia ist ein unglaublicher Kämpfer-Typ.“ Bei all den Schwierigkeiten ist diese Aussage von Jürgen Sammert keine Überraschung. Seiner Athletin traut er weitere Steigerungen zu. „6.600 Punkte, bis Rio 2016 dürfte diese Punktzahl drin sein.“
Reserven gibt es natürlich noch in den Würfen. 14 Meter mit der Kugel und 45 Meter mit dem Speer, das sind Marken, die sich die 27-Jährige wünscht. Mit diesen Leistungen kämen 200 Punkte mehr zusammen. Viel haben Trainer und Athletin schon an der Technik gefeilt. „Aber sie will einfach nicht in meinen Kopf.“
Statt wie bisher häufig einen Ball, soll die Frankfurterin im kommenden Winter zweimal in der Woche einen Speer in die Hand nehmen. Geplant ist auch, sich Unterstützung von Speerwurf-Experte Werner Daniels zu holen, der Christina Obergföll betreut. Eins hilft jedenfalls nicht: Es mit Gewalt zu probieren. „Dann werfe ich nur noch 32 Meter“, berichtete Claudia Rath.
Trainer spricht Mut zu
Lockerheit und das viel zitierte Vertrauen in die – wenn auch nicht herausragende – Leistungsfähigkeit ist auch beim Werfen der beste Weg. Das zeigte sich auch im Kugelstoßen in Moskau, als beim Einstoßen dreimal nur etwa elf Meter herauskamen. „Die Versuche waren total schlecht“, erklärte Jürgen Sammert, der Claudia Rath so weit beruhigte, dass ihren Möglichkeiten entsprechende 12,88 Meter herauskamen.
Dieser Moment im Wettkampf war nur einer, der unterstreicht, wie wichtig die Anwesenheit von Jürgen Sammert war. „Ohne ihn hätte ich bestimmt ein paar Punkte weniger gemacht“, meinte die Athletin.
Mächtig enttäuscht
So mächtig stolz die eine deutsche Siebenkämpferin Moskau verließ, so ratlos war die zweite. Julia Mächtig kam wie schon bei der WM in Daegu (Südkorea) vor zwei Jahren nur auf Rang 17. Im nächsten Jahr will es die Neubrandenburgerin besser machen.
Kehren dann auch noch die verletzten Lilli Schwarzkopf (LG Rhein-Wied) und Jennifer Oeser (TSV Bayer 04 Leverkusen) zurück, steht ein spannender Kampf um die Startplätze für die EM in Zürich an. Auch die mit muskulären Problemen in Moskau ausgestiegene Kira Biesenbach wird alles für ein Ticket zum internationalen Highlight geben.
„Es kann sein, dass 6.300 Punkte nicht reichen“, blickt Claudia Rath voraus. Dabei schließt sie nicht aus, dass es über die abschließenden 800 Meter noch schneller geht als jene 2:06,43 Minuten von Moskau. Denn an die eigenen Grenzen zu stoßen, das hat Rath noch nie erfahren.
Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift