Claudia Tonn – ein bittersüßer Sommer
Wenn Siebenkämpferin Claudia Tonn (LC Paderborn) die vergangene Saison resümiert, dann tut sie dies mit gemischten Gefühlen. In Ratingen hat sie ihre Bestleistung um über 200 Punkte auf 6.373 Zähler gesteigert – unter anderem mit sprunggewaltigen 6,75 Meter im Weitsprung. Dennoch, beim Jahreshöhepunkt der europäischen Leichtathleten in Göteborg (Schweden) saß die Paderbornerin als passive Zuschauerin traurig auf der Tribüne.
Claudia Tonn schaut auf ein bittersüßes Jahr zurück (Foto: Gantenberg)
Was in diesem Moment mehr schmerzte, der verletzte Oberschenkel oder die lange hinaus gezögerte Absage des Weitsprungwettkampfes – nachdem bereits der Siebenkampf gestrichen worden war - ist wohl unschwer nachzuvollziehen. "Ich war einfach wahnsinnig enttäuscht", beschreibt Claudia Tonn ihre damalige Gefühlslage.Dabei hatte das Leichtathletikjahr gut angefangen. Im Februar gewann die sympathische Blondine in der Halle die Deutschen Meisterschaften im Weitsprung (6,54 Meter). Der Trainerwechsel im vorangegangenen Herbst zu Uwe Florczak ging auf. "Eigentlich wollten wir das erste gemeinsame Jahr locker angehen, die Leistungen waren so gar nicht geplant", beschreibt die Studentin (Master of Health) ihre unerwartet starken Auftritte in der Halle. Aus einem anfänglichen "mal sehen" entstanden schnell konkrete Zielstellungen für den Sommer.
Beim Mehrkampf-Meeting in Ratingen wurden Trainer und Athletin in ihren Vorgaben bestätigt. Nach dem abschließenden 800-Meter-Lauf stand fest, sie hatte sich als zweitbeste Deutsche mit neuer Bestleistung für die EM qualifiziert. Erst als die Olympiateilnehmerin von 2004 erschöpft auf der Bahn lag, wurde ihr ein weiteres Highlight während ihres Siebenkampfes bewusst. Claudia Tonn war 6,75 Meter weitgesprungen, ebenfalls DLV-Norm. Auf einmal stand ein aussichtsreicher, nicht völlig unerwarteter Doppelstart in Göteborg in Aussicht.
Bittere Erkenntnis
Doch es kam anders. Nach der Freude begann der bittere Teil der Sportgeschichte Claudia Tonns im Jahr 2006 ("Es war ein schöner Anfang und dann kam ein bitteres Ende"). Bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm wollte sie aus dem vollen Training heraus, beim Weitsprung noch einmal ihre Ambitionen für die anstehende EM unterstreichen. Beim Aufwärmen schmerzte bereits die ungewohnt feste Muskulatur und beim Einspringen passierte es schließlich. "Ich hatte noch nie eine muskuläre Verletzung und konnte es zunächst gar nicht einordnen – Krampf oder Zerrung", erinnert sie sich an den Moment des Gefühlswandels.
Die Diagnose war schließlich Muskelfaserriss. Claudia Tonn ignorierte die Verletzung zunächst - "Ich wollte es einfach nicht wahrhaben" - und gönnte ihrem Oberschenkel keine zwei Tage Ruhe. Drei Wochen versuchte sie mit aller Macht gegen die Verletzung anzukämpfen, dann die Erkenntnis, ein Siebenkampf ist nicht machbar. In Göteborg schließlich holte die 25-Jährige die Realität ein zweites Mal ein, auch Weitsprung funktionierte unter diesen Umständen nicht.
Fehlersuche
Heute gesteht die ehrgeizige Sportlerin Fehler ein, da weder ihr Trainer noch sie Erfahrungen mit solch einer Verletzung hatten. Weiterer Fehler waren wohl die zu kurzen Regenerationsphasen nach einem Wettkampf. So lagen zwischen Ratingen und dem Europacup in Malaga gerade einmal drei Tage. Das Ergebnis war entsprechend unbefriedigend (6,19 m).
Dennoch erscheint für Claudia Tonn die Verbindung Mehrkampf und Weitsprung logisch und nicht konfliktreich. "Ich muss einfach weit springen, um im Mehrkampf meine schwächeren Disziplinen auszugleichen." Das Training gestaltet sich sowieso ähnlich, problematisch sind eher die notwendigen Erholungsphasen zwischen Mehrkampf und Weitsprung-Wettkampf. Dennoch bleibt sie vordergründig Mehrkämpferin, die die erreichte Punktzahl mehr interessiert, als die Weite im Sand – eben eine weitspringende.
Urlaub vom Gefühlswandel
Nach Göteborg standen erst mal drei Wochen Urlaub auf dem Programm, um das sportliche Wechselbad der Gefühle zu verarbeiten. Seit dem 10. Oktober steht die Neunte der Hallen-EM 2005 im Fünfkampf wieder im Training, um im Freien voll durchzustarten. Die Hallensaison wird für einen langfristigen Aufbau statt Wettkämpfen genutzt.
"Ein schönes Gefühl, wieder alles, was auf dem Trainingsplan steht, auch machen zu können", beantwortet sie aufkommende Fragen nach ihrem Oberschenkel. Dennoch soll diesmal nichts überstürzt werden, denn aus Fehlern lernt man ja bekanntlich. So sieht es auch ihre Familie, welche die Tochter mit der Beschreibung der Verletzung als eine Art sinnvolles Schicksal zu trösten versuchte.
Doppelstart nicht ausgeschlossen
Die Ziele für den Sommer stehen bereits fest, im Siebenkampf sollte es bei der WM in Osaka (Japan) ein Platz unter den ersten sechs sein – mit mindestens 6.400 Punkten und im Weitsprung will sie sich im Bereich von 6,70 Meter stabilisieren. Ein Doppelstart ist also nicht ausgeschlossen.
Und so bleibt vor allem die Erkenntnis eines bittersüßen Sommers – für sie und ihren Trainer, "dadurch werden wir nur noch stärker". Schließlich weiß Claudia Tonn, zu welchen Leistungen sie fähig ist. Deshalb wird man in Osaka auf der Tribüne wohl vergeblich nach ihr Ausschau halten – beziehungsweise im Publikum auf eine gut gelaunte Athletin treffen.