Cleverer Trainieren
Fehler macht jeder Läufer. Es müssen ja nicht zu viele sein. Wir haben einen „Laufexperten“ ins Trainingslager geschickt, der über Lust und Leiden im Laufcamp schreibt und sechs Lektionen gelernt hat.
Es ist 4 Uhr, der Wecker klingelt. Der große Tag: Abreise zum ersten Laufcamp in meinem Leben! Nie hätte ich gedacht, bei einem solch „animierten“ Laufen einmal mitzumachen, aber der Marathon in einem halben Jahr schwebt drohend wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf.Als ich mich zum Marathon von meinen Laufkollegen hatte überreden lassen, war ich als schon immer sportlicher Typ davon ausgegangen, dass es mit ein bisschen mehr Training und längeren Läufen getan wäre. Woher hätte ich wissen sollen, dass ich mir erst einmal fundiertes Wissen über Sporternährung, Trainingslehre und Sportmedizin aneignen, dringend meine – ach-so-fürchterliche – Lauftechnik verbessern, meine völlig unterentwickelte Schnelligkeit und meine natürlich noch katastrophalere Grundlagenausdauer systematisch aufbauen sollte? Ernährungsumstellung inklusive versteht sich. Und das alles neben der Arbeit? Unmöglich!
Marathon kompakt?
Da kam die Ausschreibung für dieses Marathon-Kompakt-Trainingslager gerade recht! Zwei Wochen lang theoretisches und praktisches „Tuning“ für den Marathon und das unter der warmen Sonne Lanzarotes, wo hierzulande gerade die Schneeglöckchen vorsichtig aus der Erde lugen.
Nach dem Flug geht die Reise zum Hotel weiter mit dem Bus, in dem wir Campteilnehmer das erste Mal aufeinandertreffen. Die Meisten sehen erschreckend fit und durchtrainiert aus. Einige haben schon Laufkleidung an, weil sie gleich nach Ankunft schon einmal ein kleines Läufchen absolvieren wollen. Ob ich nicht mitkommen mag, fragt einer aus der Funktionskleidungs-Fraktion? Natürlich sage ich erfreut zu...
Zwei Stunden nach Ankunft starten wir unser erstes „Läufchen“: Eineinhalb Stunden in einem für mich mörderischen Tempo: Das akustische Signal meiner Pulsuhr, das mir die Obergrenze meines lockeren Dauerlaufbereichs angibt, schalte ich nach drei Minuten wegen Dauerpiepsens vorsorglich ab.
Mithalten um jeden Preis
Wie ich aus den Gesprächen der anderen entnehme – ich brauche allen Sauerstoff für meine Muskeln –, sind die meisten der Gruppe schon mehrere Marathons gelaufen und dies zwischen 3:30 und 4:00 Stunden! Und ich hatte mitgehalten, wenn das nicht der erste Erfolg war! Ziemlich groggy, aber zufrieden kehre ich auf mein Zimmer zurück.
Lektion 1: Lassen Sie es ruhig angehen! Sich am neuen Trainingsort zu akklimatisieren, braucht seine Zeit. Sofern Sie am Nachmittag oder später ankommen, lassen Sie Ihre Laufschuhe mal Laufschuhe sein. Wollen Sie sich nach der Reise noch etwas bewegen, gehen Sie spazieren, oder nutzen Sie das Schwimmbad oder den Wellnessbereich für aktive Entspannung. |
Am Abend nach der Begrüßung dann die erste Ernüchterung: „Speedy“, wie unser Laufmentor genannt wird, gibt uns erste Tipps, wie ein Laufcamp zum vollen Erfolg wird – und ich muss mir meinen ersten „Patzer“ eingestehen.
Hüpfen am Strand
Ich gelobe also Besserung, lasse mich am nächsten morgen brav in die Gruppe der angehenden Marathonis einteilen und los geht es. Wir wollen an den Strand. Laufen natürlich! Das hört sich gut an, finde ich. Dort angekommen, gehen allerdings seltsame Dinge vor sich: Wir entledigen uns unserer Laufschuhe und sollen auf verschiedene Arten durch den Sand gehen, hüpfen, laufen. Das ist zwar anstrengend, nur sehe ich den Sinn für mein 42-Kilometer-Abenteuer (ganz ohne Sand) nicht.
Lektion 2: Achtung Gruppendynamik! Gerade bei den lockeren Dauerläufen sollte das Tempo der Gruppe dem eigenen Leistungsvermögen entsprechen. Laufen Sie im Zweifelsfall lieber mit einer etwas leistungsschwächeren Gruppe mit, als Ihren Motor zu überdrehen! Auch Zwischen- oder Endspurts der Laufpartner sollten Sie kaltlassen. Laufen Sie gleichmäßig Ihr Tempo, es werden sich hierfür weitere vernünftige Mitstreiter finden. |
Nach dem „Herumgehüpfe“ laufen wir schon zurück, dehnen uns vor dem Hotel noch eine gefühlte Ewigkeit und damit ist die Trainingseinheit auch beendet. Gelaufen sind wir gerade mal 20 Minuten. Dafür ziehe ich zu Hause nicht mal meine Laufschuhe an! Also beschließe ich, dass das viel zu wenig ist und hänge noch ein lockeres – ich habe ja gelernt – Stündchen an die Einheit dran!
Heimliches Training
Diese Regel kenne ich aber noch nicht, also ziehe ich meine Extra-Einheiten angesichts des Gefühls, dass mich meine Laufgruppe unterfordert, heimlich weiter durch. Angeblich muss ich nur noch mal kurz zum Supermarkt...
Nicht, dass ich „Abmeldepflicht“ hätte, aber wie ich feststelle, beäugt man sich doch kritisch und komischerweise habe ich auch so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Den Pausentag am vierten Tag lasse ich selbstverständlich auch weg, mache mich stattdessen auf, um den Klippenweg in den nächsten Ort zu erkunden, im Laufschritt versteht sich.
Nach einer Stunde verspüre ich plötzlich einen stechenden Schmerz in der Wade, dehne kurz und versuche weiterzulaufen. Doch nach wenigen Schritten ist mein Training beendet. Humpelnd gelange ich schließlich in den kleinen Ort, nehme einen Kaffee und lasse mich mit dem Landbus auf einer abenteuerlichen Fahrt zurück in die Nähe des Hotels chauffieren. Dort angekommen, berichte ich „Speedy“ zähneknirschend von meinem Malheur. Er bringt mir die „Regenerationsregel“ näher und schickt mich zum Arzt.
Bleiernde Ganzkörpermüdigkeit Glücklicherweise scheine ich keinen Faserriss zu haben, wohl aber eine leichte Zerrung und bekomme erst einmal zwei Tage Laufpause verschrieben. Komischerweise bin ich über die ärztlich verordnete Ruhe sogar froh, denn plötzlich macht sich eine bleierne Ganzkörpermüdigkeit breit.
Lektion 3: Seien Sie offen für Neues! Schnell laufen kommt nicht nur vom Laufen! Nutzen Sie gerade Gelegenheiten wie ein Laufcamp dazu, an Ihrer Laufkoordination (Lauf ABC) zu feilen und nehmen Sie sich ausgiebig Zeit für Kraft und Dehnübungen .Denn gerade diese Dinge kommen bei Ihrem Training zu Hause meist viel zu kurz! Ein kräftiger Rumpf, geschmeidige Muskeln und eine effektive Lauftechnik bringen Sie einer guten Wettkampfzeit näher als ein paar Laufkilometer mehr pro Woche. |
Ich beschließe also, mich ganz ausgiebig der Regeneration zu widmen und komme über das „Beichten“ meiner Verletzung mit meinen Laufpartnern in lehrreiche und witzige Gespräche, denn offensichtlich scheint jeder ein paar „Anfängerfehler“ gemacht zu haben.
Nachschlag am Nachtischbuffet
Endlich darf ich wieder auf die „Piste“. Dank physiotherapeutischer Behandlung und Ruhe geht es der Wade wieder passabel, lockeres Laufen und sämtliches Ergänzungstraining sind wieder machbar.
Lektion 4: Jedes Training ist nur so gut, wie die es die Regeneration zulässt! Gerade für ein Laufcamp gilt: Geben Sie Ihrem Körper hinreichend Zeit, die Trainingsreize zu verarbeiten. Natürlich können Sie auch mehr Kilometer laufen als zu Hause, aber eine plötzliche Verdoppelung der Laufkilometer ist sicherlich zu viel für Ihre Muskeln und Gelenke. Nutzen Sie die zusätzliche Zeit lieber für ein leichtes Ergänzungstraining wie Lauf-ABC sowie zur aktiven und passiven Regeneration, wie beispielsweise einen Whirlpoolbesuch, einen Saunabad, „Wassertreten“ im Meer oder Massage, Mittagsruhe und ausreichend Schlaf. |
Dank meiner kleinen Zwangspause habe ich inzwischen sehr nette Kontakte geknüpft, was dazu führt, dass das Abendessen mit meinen neuen Lauffreunden von Tag zu Tag länger und damit verbunden auch ausgiebiger ausfällt.
Habe ich mir zunächst noch den Nachtisch in Form von Tiramisu zugunsten einer Orange verkniffen, beschränkt sich meine Enthaltsamkeit inzwischen darauf, nicht ein drittes Mal zum Nachtischbuffet zu gehen. Rotwein und Käse (schließen ja den Magen) passen sowieso immer – meine Jeans erstaunlicherweise nicht mehr. Es muss sich wohl um Muskeln handeln. Immerhin trainiere ich hier doch eine Unmenge.
Lektion 5: Ihre Ernährung muss zum Training passen! Bei einer Stunde Lauftraining verbrennen Sie etwa 500 bis 600 kcal zusätzlich, je nach Körpergewicht. Also übertreiben Sie es nicht mit ihrem Einsatz am Buffet! Außerdem dürfen Sie Ihren Energieumsatz nicht überschätzen. Immerhin haben Sie auch weniger Stress als zu Hause oder bei der Arbeit. Neben der Energiemenge beherzigen Sie folgende Tipps: • Nehmen Sie eine kleine Zwischenmahlzeit in der ersten Stunde nach dem Training ein • Trinken Sie viel Wasser, Mineralgetränke und Saftschorle, mäßigen Sie Ihren Alkoholkonsum • Nutzen Sie das Buffet für eine hochwertige, frische Nahrungszufuhr mit viel Fisch, Kartoffeln, Reis, Vollkornbrot- /nudeln, viel Obst und Gemüse, Salate mit hochwertigen Ölen, Quark- /Joghurtnachspeisen. Natürlich gehören auch kleine „Sünden“ dazu, sollten aber nicht den Großteil des Speiseplans ausmachen. |
Kaum zu glauben: Nach zwei Wochen steht die Abreise an und ich bin in keine weitere Falle getappt. Selbst der Versuchung, am Tag vor der Abreise noch einmal eine richtig ausgiebige Trainingseinheit hinzulegen – denn wer weiß, wann man dazu zu Hause wieder Zeit hat – kann ich widerstehen, denn diesmal hat uns „Speedy“ rechtzeitig gewarnt:
Auf dem Rückflug kehre ich in mich und lasse die schönen und lehrreichen zwei Wochen Revue passieren.
Lektion 6: Keinen intensiven Lauf an den letzten Tagen! Je länger und je intensiver eine Belastung ist, desto angegriffener ist das Immunsystem nach einem solchen Training. Der Körper ist dann besonders anfällig für Infekte. Fahren Sie Ihr Immunsystem also kurz vor der Abreise in den Keller, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie sich begünstigt durch die Klimaanlage im Flugzeug, Menschenmassen auf Bahnhöfen, Klimawechsel, gegebenenfalls sogar Zeitumstellung einen Infekt einfangen, der Ihren guten Trainingsfortschritt möglicherweise wieder zunichte macht. |
Was habe ich im Camp gelernt? Im Wesentlichen, dass ein Lauftraining doch viel komplexer ist als das pure „Kilometerfressen“. Das macht alles komplizierter, aber auch wesentlich interessanter!