Corinna Harrer - Die junge Frontläuferin
Vergleiche sind oft schwer zu ziehen, meistens sind sie schlichtweg ungerecht. Hin und wieder drängt sich ein solcher Vergleich aber auf. Im Fall von Corinna Harrer ist das so. So wie die junge Läuferin aus der Oberpfalz redet, wie sie läuft und wie sie auftritt - die Parallelen zu der früheren Deutschen Meisterin und WM-Finalistin Claudia Gesell sind zum Greifen nah.
Kurt Ring, der Macher und ihr Trainer bei der LG TelisFinanz Regensburg, geht diesem spannenden Vergleich auch gar nicht aus dem Weg. Das ist ungewöhnlich für einen, der auf seine jungen Athletinnen achtet, sie nicht zu früh zu großem Druck aussetzen will. In dem Fall kommt er aber nicht umhin, sich darauf einzulassen.„Es gibt bei Corinna Parallelen im Wesen zu Claudia“, sagt er. Auf der Bahn seien sie beide wiederum „keine großen Taktikerinnen“, sondern „Frontläuferinnen“ - ganz nach dem Motto „Ich will“. Und: „Corinna hat ein ähnliches Profil, das Claudia in dem Alter auch hatte.“
Wir reden von einem Profil einer 18-Jährigen, das deutschlandweit momentan ihresgleichen sucht. Corinna Harrer ist in diesem und dem letzten Jahr die verschiedensten Strecken gelaufen. 400, 800, 1.500, 5.000 Meter? Alles kein Problem. Cross wie jetzt bei der bevorstehenden EM in Dublin (Irland; 13. Dezember)? Dort fühlt sie sich im Winter am wohlsten und so ist es für sie kein Nachteil, dass es in ihrer Leichtathletik-Heimat Regensburg keine Halle gibt, in der man vernünftig trainieren kann.
Erfolgsbilanz
Die Erfolgsbilanz der hoffnungsvollen Athletin in diesem Jahr ist beeindruckend. Im U20-Bereich hat sie ihre nationalen Titel wie selbstverständlich abgeräumt. Bei den U23-Juniorinnen wurde sie Deutsche Meisterin über 800 Meter und in der Frauenklasse forderte sie bei den Titelkämpfen in Ulm auf den 1.500 Metern die Wattenscheiderin Denise Krebs bereits empfindlich.
Höhepunkt des Sommers war für Corinna Harrer schließlich der unerwartete Gewinn der 800-Meter-Silbermedaille bei der U20-EM in Novi Sad. Dabei tat sich gerade dort ein für sie ungewohnt steiniger Weg auf, an dessen Ende sie das Treppchen erklimmen konnte. „Schwierige Umstände“ seien es gewesen in Serbien, sagt sie. „Ich war am Abend vorher schon total aufgeregt.“ Dann kam im Finale auch noch die ungünstige Bahn eins dazu.
Doch die ostbayrische Athletin, die für die Karibik und Bali als Reiseziele schwärmt, löste diese schwierige Aufgabe auf ihre Art. „Ich bin um mein Leben gelaufen“, erinnert sie sich. Aber alles schien umsonst gewesen zu sein: „Ich dachte im Ziel, ich bin Vierte.“ Die Erlösung kam erst nach bangen Minuten. „Danach war ich voll überfordert“, blickt sie zurück auf all das, was auf sie einstürzte in dem Moment des silbernen Erfolges.
Medaillen glitzern
Dieser glänzt und glitzert nun zuhause über ihrem Bett. Dort hat nämlich ihre bislang bedeutendste Medaille ihren Ehrenplatz. Noch eine hängt dort, die schon zwei Jahre alt, aber nicht weniger wichtig ist. Die wiederum schimmert golden und stammt von der Jugend-DM. Ein ganz besonders wertvolles Stück, steht sie doch für den Augenblick, ohne den Corinna Harrer jetzt vielleicht gar nicht soviel erreicht hätte.
Dieser Überraschungscoup auf den 400 Metern seinerzeit im Ulmer Donaustadion hat ihr plötzlich die Augen geöffnet, was denn so alles möglich sein könnte. „Damals, vor zwei Jahren, kam bei mir dann erst der Leistungssportgedanke. Vorher war es mir nur um den Spaß und um die Leute gegangen. Ich dachte nie, dass ich so gut werden würde. Aber es ging steil nach oben.“ In Zahlen lässt sich dieses „Steil nach oben“ inzwischen auf den 800 Metern in einer Steigerung um mehr als 15 Sekunden auf jetzt 2:04,14 Minuten innerhalb der letzten 24 Monate ausdrücken.
Wer sich so rasant wie Corinna Harrer entwickelt, der kann mit den Hoffnungen und Erwartungen, die gerade von außen herangetragen werden, oft nur schwerlich Schritt halten. Aus ihrem gefestigten Umfeld heraus versucht sie aber, den Realitätssinn nicht zu verlieren und ist gut darin.
U20-WM oder vielleicht gar EM?
Wenn sie an das nächste Jahr denkt, dann geht es natürlich um die U20-WM, die in Kanada laufen wird und ihr auf den Leib geschneidert zu sein scheint. Aber auch mit der EM in Barcelona (Spanien) könnte sie sich dann beschäftigen dürfen, wenn es ihr gelingt, die anvisierte Schallmauer von unter 2:02 Minuten (800 m) bzw. 4:10 Minuten (1.500 m) zu durchbrechen und in Reichweite einer Nominierung zu kommen.
Es ist ein Gedanke, den Corinna Harrer, die bereits mit einem Mentaltrainer arbeitet und sich auch einen Manager gesucht hat, noch möglichst auf Distanz hält, wenn sie sagt: „Die EM ist schon noch weit weg. Vorher will ich mein Abitur machen.“
Es klingt in diesem Moment eine gewisse Bodenständigkeit heraus. Sie passt zu einer, wenn auch erst 18 Jahre alten Athletin, die in Wenzenbach ländlich wohnt, froh ist, wenn sie sich dorthin zurückziehen kann und die auch nach dem Schulabschluss in Regensburg bleiben, dort studieren möchte: „Ich bin hier verwurzelt. Mir ist mein soziales Umfeld, das Leben neben dem Sport wichtig.“
"Niete" im Weitsprung
Dass sie sich zu einer hoffnungsvollen Leistungssportlerin entwickeln könnte, blieb jedoch gerade dort lange Zeit verborgen. Aber doch blitzte ihr Talent auf, als sie in der fünften Klasse über 50 Meter schneller war als die Jungs und von einer Lehrerin auf die Leichtathletik angesprochen wurde. Im Weitsprung versuchte sie sich trotzdem vergeblich („Da habe ich mich schnell als Niete herausgestellt“).
Ihre Begabung für das Laufen musste sich anschließend erst recht mühsam herausschälen, zumal sie in der Jugend mit eigenartigen, möglicherweise wachstumsbedingten Atmungsproblemen zu kämpfen hatte, die dann plötzlich verschwanden und sie seither nicht mehr einschränken.
Der These, dass zum eigentlichen Talent viel mehr Arbeit gehört, darf Corinna Harrer wahrscheinlich auch deshalb uneingeschränkt zustimmen. Zwei Eigenschaften könnten ihr dabei ganz besonders geholfen haben. Neben dem Ehrgeiz, der bei einer erfolgreichen Athletin Grundvoraussetzung ist, macht sie auch für sich aus: „Ich suche die Herausforderung und Rückschläge motivieren mich erst recht.“
"Rustikal-bayrisch"
Gerade das spiegelt sich auch in ihrer Art zu laufen wider. „Ich verlasse mich ungern auf mein Glück. Ich habe kein Problem damit, nach vorne zu gehen und durchzuziehen.“ Und gerade dann, wenn Corinna Harrer diese Worte wählt, um sich selbst als die robuste Frontläuferin zu skizzieren, ist er wieder ganz nah, der Vergleich.
Wenn sie schließlich aber sagt, „Claudia Gesell ist für mich schon eine Art Vorbild“, spätestens dann kommt man daran gar nicht mehr vorbei. In diesem Moment wird der Vergleich sogar legitim. Trotzdem kann Corinna Harrer, die eine Zwillingsschwester und einen hochbegabten Bruder hat, ihren eigenen Weg gehen. Dass dieser „rustikal-bayrisch“, wie das Nachwuchs-Ass in Bundestrainer-Kreisen bereits charakterisiert wird, sein dürfte, steht dabei eigentlich schon jetzt völlig außer Frage.
Mehr:
Entwicklung einer jugendlichen Mittelstrecklerin
(la-coaching-academy.de)