| Interview

Corinna Harrer: „Hey, ich bin wieder da“

Mittelfußbruch, schwere Achillessehnenverletzung, Bandscheibenvorfall: Corinna Harrer hat eine Leidensgeschichte hinter sich. Mit dem Wechsel von den 1.500 Metern, auf denen sie dreimal Deutsche Meisterin wurde, auf die 10.000 Meter greift die Regensburgerin wieder an und zwar geduldiger, nachdenklicher und mit mehr Abstand als je zuvor. Im Interview nach dem Gewinn des süddeutschen Meistertitels am Wochenende spricht sie über ihre Entwicklung, sportlich wie persönlich.
Christian Fuchs

Corinna Harrer, Glückwunsch zum süddeutschen Meistertitel. Sie haben damit am Samstag die 10.000 Meter souverän gemeistert. Wie fällt Ihre Bilanz des Rennens aus?

Corinna Harrer:

Ich wäre schon gerne einen kleinen Tick schneller gelaufen. Aber der Wind war ein bisschen mein Feind. Es war für mich wieder schön, eine Meisterschaft zu gewinnen und gegen meine Teammädels zu laufen, um im Verhältnis zu sehen, wo ich stehe. Es stimmt schon ganz gut. Ich bin aber noch nicht ganz in der Form, in der ich schon einmal war. Es geht deutlich vorwärts und das jetzt hoffentlich ohne Ausfall, um am Ende der Saison anzukommen. Das ist das Wichtigste.

Sind die 10.000 Meter jetzt die Strecke, auf der Sie angekommen sind?

Corinna Harrer:

Das Training fällt mir leichter. Nach den vielen Jahren auf der Mittelstrecke fehlt mir dort der Punch, um mich dafür im Training noch richtig hart zu quälen. Mir haben die langen Läufe schon immer Spaß gemacht. Nach der schweren Verletzung ist es gut, die Spikes so gut es geht zu meiden. Das ist mir jetzt mit dem neuen Training ganz gut gelungen.

Wie sind Sie letztlich zu der Entscheidung gekommen zu sagen: Mittelstrecke ade, 10.000 Meter hurra…?

Corinna Harrer:

Ich hatte das schon 2014 im Kopf, als ich die EM-Norm für Zürich, aber dann einen Mittelfuß-Bruch hatte. Durch meine Achillessehnen-Verletzung und einen Bandscheibenvorfall war es mir im letzten Jahr einfach schier unmöglich, die 10.000 Meter zu rennen, weil ich keine Grundlage hatte. Jetzt ist die Entscheidung aber umso mehr gereift.

Wenn Sie auf das letzte Jahr schauen, das nicht einfach war, wie bewerten Sie es?

Corinna Harrer:

Ich muss rückblickend sagen, dass es ein Lehrjahr gewesen ist. Natürlich wünscht man so ein Jahr keinem und vor allem nicht sich selbst. Es gehört aber auch dazu, dass man schlechte Jahre hat. Es ist wichtig, wieder aufzustehen und weiterzumachen. Ich wollte so nicht aufhören, sondern es noch einmal probieren, wenn der Fuß es hergibt.

Wie ist Ihre Ausgangsposition im Moment, auch finanziell?

Corinna Harrer:

Meine Situation ist aktuell nicht leicht. Die Sponsoren klopfen jetzt gerade nicht an die Tür und sagen: „Hey, du bist top drauf, wir wollen dich sponsern.“ Trotzdem muss ich den Sport finanzieren. Ich gehe inzwischen drei Tage in der Woche zur Arbeit. Mein Leben ist einfach doch anders geworden. Ich bin aber auch froh darum. Ich habe nicht mehr nur das tagtägliche Training, sondern ich habe 15 Stunden in der Woche eine Beschäftigung, die mich auch gut ablenkt.

In welchem Job arbeiten Sie aktuell, nachdem Sie eine Ausbildung bei der Sparkasse gemacht hatten?

Corinna Harrer:

Ich bin in der Stadt Regensburg gelandet, im Amt für Sport und Freizeit. Ich mache dort querbeet alles, aber vor allem ein bisschen Sportförderung, ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit und Marketing. Es macht mir Spaß. Es ist auch gut, um den Sport in Regensburg voranzubringen und im Amt auch von Leistungssportler-Seite Meinungen abzugeben und Entscheidungen mitzutreffen. Das ist die eine Seite. Ich bin außerdem noch zwei Tage in der Woche für den Bayerischen Leichtathletik-Verband unterwegs. Dort habe ich für Niederbayern und Oberpfalz ein Kinderprojekt „Lauf dich fit“. Es ist schön, dafür an die Schulen zu gehen, die Kinder zu motivieren und mit ihnen das Laufabzeichen zu machen. Das ist eine schöne Mischung und Leistungssport von einer ganz anderen Seite.

Die Corinna Harrer jetzt ist offenbar eine ganz andere Corinna Harrer als 2012. Wie würden Sie sich selbst vergleichen?

Corinna Harrer:

Mein Trainer sagt immer, ich bin gelassener. Das stimmt wirklich. Wenn jetzt ein Training nicht so toll war, weiß ich damit umzugehen. Ich bin dann froh, dass ich gesund bin. Ich sehe den Sport jetzt ein bisschen mehr mit Abstand. Aber die Motivation Erfolge zu feiern, ist definitiv noch genauso groß. Ich hatte schon letztes Jahr gesagt, dass es schade wäre, wenn es jetzt zu Ende wäre. Aber ich habe schon so viel erreicht, dass es auch okay wäre. Jetzt ist alles, was kommt, die Zugabe. Mit dieser Motivation geht es ganz gut.

Sie haben schon angedeutet, dass die WM-Qualifikation in diesem Jahr schön wäre, aber kein Muss ist. Sind Sie geduldiger geworden?

Corinna Harrer:

Ich habe gelernt, dass man gewisse Prozesse nicht beschleunigen kann. Wenn der Körper will, dann will er. Und wenn er nicht will, dann eben nicht. Man muss ihm die Zeit geben und ihn wieder behutsam aufbauen. Ich kam jetzt seit Januar, seit ich wieder im regelmäßigen Training bin, echt Woche für Woche vorwärts. Ich war zum ersten Mal in Südafrika und konnte dort einen guten Trainingsblock setzen. Natürlich würde ich gerne nach London, das ist kein Geheimnis. Damit würde sich für mich nach Olympia 2012 auch wieder ein Kreis schließen. Wenn es nicht klappt, dann gibt es eine Straßenlauf-Saison. 32:15 Minuten sind als Norm schon eine Ansage.

Wie stehen die Chancen?

Corinna Harrer:

Auf den 10.000 Metern hat man auf der Bahn das Problem, wo man die Norm rennen kann. Es gibt im Nominierungszeitraum faktisch nur drei Rennen. Es ist deshalb schwierig, das passende Rennen in dem Zeitraum zu finden. Es müssen viele Sachen stimmen und es liegt nicht nur an der Form. Die 10.000 Meter kann man auch nicht alle drei Tage laufen. Wahrscheinlich gibt es nur eine oder zwei Chancen. Stanford wäre Anfang Mai eine Möglichkeit. Für mich wäre es finanziell aber gar nicht zu machen, im Mai einfach mal nach Stanford zu fliegen. In Europa wüsste ich nicht, wo es viele vergleichbare Rennen gibt. Deshalb ist die Ausgangsposition eher schlecht, was die guten Rennen betrifft.

Im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen hatten Sie einige Interviews gegeben im Zusammenhang mit den zahlreichen nachträglichen Dopingfällen. Würde das die Vorfreude auf eine WM in London schmälern?

Corinna Harrer:

Grundsätzlich sehe ich es positiv. Es würde sich für mich dort ein Kreis schließen. Alles andere war ja auch im Nachgang. Die Athletinnen, die bei der WM 10.000 Meter laufen, können nichts dafür, was damals passiert ist. Mich ärgert eher, wie man mit uns Athleten manchmal umgeht. Ich hatte mir für meine Verletzungszeit schon mehr Unterstützung erhofft. Das interessiert leider keinen. Das ändert aber nichts an dem Erlebnis in London. Es ist jetzt bei mir die „Jetzt erst recht“-Methode. Man kann den Leuten eigentlich nur beweisen, dass man weitermacht, nicht den Kopf in den Sand steckt und auch wieder stärker zurückkommt. Das ist das beste Mittel, um zu zeigen, dass man sauber ist und dass man den Sport aus Liebe macht und nicht unbedingt nur, um Geld zu verdienen und Bestzeiten zu rennen. Es ist der Leichtathletik leider abhanden gekommen. Ich habe gelernt, dass für mich nicht mehr nur unbedingt die Bestzeit das Wichtigste ist, sondern einfach wie bei den Süddeutschen Meisterschaften wieder ein Rennen zu gewinnen und zu sagen: Hey, ich bin wieder da. Das ist vielleicht sogar mehr wert, als immer schneller, schneller und schneller zu rennen.

„Ich bin wieder da“, ist das der Satz des Tages?

Corinna Harrer:

Ich denke schon. Für mich geht es jetzt nach Hannover [Halbmarathon-DM]. Das wird die nächste Standortbestimmung, mein zweiter Halbmarathon und mein erster richtiger. Ich habe aktuell keine Vorstellung, welche Zeit ich mit dem Training laufen kann. Aber das ist das Schöne, jetzt mit einer Gelassenheit reinzugehen und zu sehen, was kommt.

Ihr Vereinskollege Philipp Pflieger dachte früher als Bahnläufer auch schon ans Karriere-Ende, hat dann den Durchbruch im Marathon geschafft. Ist er ein Stück weit eine Art Vorbild?

Corinna Harrer:

Philipp hat es geschafft, seine Strecke gefunden und die Liebe Marathon entdeckt. Das lebt er tagtäglich. Philipp zeigt uns allen, dass man auch dann immer wieder einen Weg findet, wenn man im Moment kein Land mehr sieht. Unsere Leistungssport-Wege waren sehr unterschiedlich, aber sich dann auch wieder sehr ähnlich. Er ist der Ältere und man nimmt von jedem Trainingspartner etwas mit. Ich werde nicht so schnell meinen Weg zum Marathon finden wie er. Er hat mich aber immer auch für die Langstrecke motiviert.

Aber gerade das Beispiel Philipp Pflieger zeigt, dass man im Marathon schon mehr Geld verdienen kann, wenn es um die Finanzierung des Leistungssports geht.

Corinna Harrer:

Klar, im Marathon liegt das allermeiste Geld. Aber das ist für mich nicht der Anreiz, um Marathon zu laufen. Ich renne das, was mir in erster Linie Spaß macht. Aktuell kann ich mir den Marathon nicht vorstellen, will es aber auch nicht ganz ausschließen. Man weiß nicht, was in fünf oder sechs Jahren ist. Jetzt haben die 10.000 Meter Priorität. An der Langstrecke ist gut, dass man gediegen 10.000 Meter und dann auch einen Halbmarathon laufen kann. Das werde ich jetzt auch bei den Deutschen Halbmarathon-Meisterschaften in Hannover machen. Das geht jetzt schon leichter, weil man nicht mehr nur komplett auf der Bahn zuhause ist.

Die EM 2018 in Berlin spielt in Ihrer Planung bereits eine große Rolle. Wie sieht Ihr Kopfkino aus?

Corinna Harrer:

Ich denke, das wird ein geiles Erlebnis, im eigenen Land. Davon träumt jeder Athlet, sozusagen „dahoam“, wie wir Bayern sagen, zu laufen. 2009 war ich noch zu jung für die Weltmeisterschaft. Ich kenne nur die Jugend-Meisterschaften 2008, die der Probelauf für die WM waren. Damals war es für mich eine Runde, jetzt wären es 25 Runden. Damals dachte ich, eine Runde wäre schon viel. So sind die Werdegänge. Es ist auch für mich eine schöne Geschichte zu sagen: Zehn Jahre, 24 Runden mehr. Das ist eine schöne Entwicklung. Man sagt von Null auf Hundert. Bei mir war es von einer auf 25 Runden. Ich hatte eine furiose Jugendzeit. Die EM ist für mich jetzt ein versöhnliches Nahziel.

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