Dahm träumt trotz Vollzeit-Job von der EM
Kugelstoßer Tobias Dahm zählt zur deutschen Spitze im Kugelstoßen und ist voll berufstätig. Der Mann vom VfL Sindelfingen, 2013 DM-Zweiter, arbeitet 35 Stunden in der Woche und muss Urlaub einreichen, um ins Trainingslager zu fahren. Trotzdem hat der 26-Jährige eine Bestleistung von 19,96 Metern. Nun will er die 20-Meter-Marke knacken.
In den vergangenen Monaten war Kugelstoßer Tobias Dahm beruflich stark ausgelastet. Der 26-Jährige vom VfL Sindelfingen arbeitet bei Mercedes-Benz und kümmert sich bei dem Automobilhersteller um die Elektronik der „Erlkönige“ – Prototypen, die noch geheim getestet werden, ehe sie auf den Markt kommen.Dahm ist einer der wenigen deutschen Topathleten, der voll berufstätig ist. Seine Arbeitswoche hat normalerweise 35 Stunden, doch in der wettkampffreien Zeit macht er meist noch Überstunden, die er später abbummeln kann, wenn die Saison in die heiße Phase geht.
Aufstehen um fünf Uhr morgens
Zuletzt klingelte der Wecker regelmäßig um 5 Uhr, damit Dahm um 6 Uhr bei der Arbeit war. Seine Schicht dauerte bis kurz nach 15 Uhr. Danach ging es zum Training nach Stuttgart.
Trotz hoher Belastung im Job kratzte der Sindelfinger 2013 an der 20-Meter-Marke. Bei der DM in Ulm steigerte er seine Bestleistung um satte 40 Zentimeter auf 19,96 Meter. Dahm gewann Silber, seine zweite Medaille nach DM-Bronze ein Jahr zuvor. Dabei war er in Ulm zunächst schwer in den Wettkampf gekommen. In den ersten beiden Versuchen schlug die 7,257-Kilogramm-Kugel schon vor der 19-Meter-Linie ein.
Kopf frei, Weite da
Auf den Rat seines Trainers Peter Salzer legte sich Dahm hinter die Hochsprungmatte, um für einen Moment Ruhe zu haben und den Kopf freizubekommen. Es funktionierte. Im dritten Durchgang übertraf er die 19 Meter, im vierten kam er mit 19,54 Metern bis auf zwei Zentimeter an seine Bestleistung heran, im fünften schließlich steigerte er sich auf 19,96 Meter. Dass es noch nicht ganz für die 20-Meter-Marke reichte, störte ihn nicht: „Jetzt habe ich wenigstens ein Ziel für 2014.“
Jetzt im Winter werden die 20 Meter aber wahrscheinlich noch nicht fallen. „Die Halle liegt mir einfach nicht so“, sagt Tobias Dahm. Seine Bestleistung unter dem Dach steht bei 19,07 Metern. „Ich brauche immer vier, fünf Wettkämpfe, um sicher zu stoßen, aber so viele Wettkämpfe gibt es ja im Winter gar nicht“, erklärt er.
Ein weiterer Grund: Dahm nutzt die kalte Jahreszeit vor allem, um die Grundlagen für den Sommer zu legen, und trainiert mit entsprechend hohen Umfängen. „Da fehlt dann einfach noch die Spritzigkeit, das ist ganz normal“, meint er. An einen Start bei der Hallen-WM in Sopot (Polen; 7. bis 9. März) denkt Dahm deshalb nicht. Bei seinem ersten Auftritt erzielte er am Sonntag im schwäbischen Gammertingen 18,95 Metern. Damit belegte er Rang drei hinter Weltmeister David Storl (LAC Erdgas Chemnitz; 20,37 m) und Marco Schmidt (SR Yburg Steinbach; 19,43 m).
Lange Einheiten
Dahm trainiert beim VfL Sindelfingen in einer Gruppe mit der früheren U18-Weltmeisterin Lena Urbaniak (LG Filstal), Diskuswerfer Michael Salzer und Artur Hoppe (beide VfL Sindelfingen), dem Hallen-DM-Dritten von 2012. Er trainiert täglich, Ruhetage gibt es keine.
Auch das ist eine Folge seines Jobs: Während andere Athleten, die beruflich weniger oder gar nicht eingespannt sind, zweimal am Tag trainieren und danach auch mal einen Tag aussetzen, muss Tobias Dahm die Zeit nutzen, die ihm bleibt. Oft steht er drei Stunden oder länger im Ring.
In den vergangenen zwei Jahren hat er mit seinen beiden Trainern Peter Salzer und Joachim Lange vor allem an seiner Technik gearbeitet. Er stößt nun viel mehr aus den Beinen anstatt wie früher nur aus den Armen und dem Oberkörper. Mit Erfolg: Von 2011 bis 2013 hat der 26-Jährige seinen Hausrekord um stolze 133 Zentimeter gesteigert, von 18,63 auf 19,96 Meter. Joachim Lange ist dabei jedoch nicht bloß der Coach des deutschen Vizemeisters, sondern zugleich dessen Onkel.
Kein Urlaub mehr seit vier Jahren
Er war es auch, der Dahm im Alter von 15 Jahren überzeugte, sich aufs Kugelstoßen zu konzentrieren. Bis dahin hatte er Fußball gespielt und Mehrkampf betrieben, wobei er im Ring die meisten Punkte sammelte. „Es fasziniert mich, wie man in so kurzer Zeit so viel Energie aufbringen kann, dass die Kugel weit fliegt“, erklärt Dahm.
Der Sport bedeutet ihm viel. Seit vier Jahren ist Dahm nicht mehr richtig in den Urlaub gefahren. Seine freien Tage steckt er in Trainingslager. „Freigestellt werde ich von meinem Arbeitgeber nur für Deutsche Meisterschaften und internationale Wettkämpfe“, erzählt er. Umso größer ist der Anreiz, im Sommer nicht bloß die 20-Meter-Marke zu knacken, sondern sogar 20,30 Meter zu stoßen und damit auch die EM-Norm zu überbieten. „Wenn alles optimal läuft, kann ich das schaffen“, sagt Dahm. Für einen Start im Letzigrund müsste er dann ausnahmsweise mal keinen Urlaub nehmen.
Quelle: leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift