Das Ende der Stuttgarter Tradition
Namen hatte das Stuttgarter Stadion schon viele. Als Adolf-Hitler-Kampfbahn 1933 in Betrieb genommen, firmiert es inzwischen als Mercedes-Benz Arena. Mit dem Mitte des Jahres in Kraft getretenen neuen Titelsponsoring wurde gewissermaßen auch das Aus der Leichtathletik-Bahn im vorher Neckar- bzw. Gottlieb-Daimler-Stadion genannten Rund besiegelt. Das Weltfinale am Wochenende (13./14. September) bringt das Ende der Leichtathletik-Tradition in Stuttgart.
Der frühere Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Prof. Dr. Helmut Digel (Tübingen), sagt vor dem Hintergrund des Umbaus in eine reine Fußball-Arena: „Aus Sicht der Leichtathletik, aber auch aus Sicht vieler Bürger ist es eine Schande, dass man ein hochmodernes Stadion zerstört. Später werden das viele bedauern, da bin ich mir sicher.“Die bemerkenswerte Stuttgarter Leichtathletik-Tradition ist vor allem mit den Europameisterschaften 1986 und den unvergessenen Weltmeisterschaften 1993 verknüpft. Insgesamt 300.000 bzw. 585.000 Zuschauer machten diese beiden Veranstaltungen zu einem Highlight. Für die Austragungen gab es im Nachgang Preise des Internationalen Olympischen Komitees und der UNESCO.
Erinnerungen
„Bei der EM wurde zum ersten Mal gezeigt, dass Leichtathletik hoch attraktiv veranstaltet werden kann. 1993 war es die erste Weltmeisterschaft für mich als DLV-Präsident, insofern war es die schönste Weltmeisterschaft, gerade in meiner Heimatstadt, mit einem begeisterungsfähigen, weltoffenen, fairen und fachkundigen Publikum. Die ganze Stadt hat die Weltmeisterschaft mitgelebt“, erinnert sich Prof. Dr. Helmut Digel, der schon als Junge die Leichtathletik-Länderkämpfe in Stuttgart besuchte und damit einen Großteil der Wegstrecke selbst miterleben konnte.
In der Historie findet sich auch der Erdteilkampf Europa gegen Amerika 1969 und ein erster Europacup-Endkampf 1965. Seit 1946 waren in Stuttgart sieben Deutsche Meisterschaften ausgetragen worden, die letzte davon 2001.
Erbaut wurde das Stadion nach den Vorgaben von Architekt Paul Bonatz von 1929 bis 1933 für das Deutsche Turnfest. Nach dem Krieg gab es immer wieder Um- und Ausbaumaßnahmen, die meistens vor dem Hintergrund neuer Großereignisse standen. Auch zu mehreren Namensänderungen kam es. Zwischenzeitlich fasste die Arena sogar mehr als 100.000 Zuschauer. Aktuell liegt das Fassungsvermögen bei 55.896 Plätzen.
Erfolgloses „Ja zur Bahn“
Als der VfB Stuttgart vor zwei Jahren die Offensive für ein reines Fußballstadion startete, kämpfte die Leichtathletik-Familie in Württemberg und ganz Deutschland unter dem Motto „Ja zur Bahn“ vergeblich gegen die Pläne an. Seit dem vergangenen Mai steht unumstößlich fest, dass das Weltfinale am Samstag und Sonntag zugleich die letzte Leichtathletik-Großveranstaltung sein wird, die in dem Stuttgarter Stadion ausgetragen wird.
Prof. Dr. Helmut Digel hofft dabei nun auf einen möglichst lauten Abschied: „Ich glaube schon, dass wir den Fußballern noch einmal ein Ei ins Nest legen sollten. Sie sollten zumindest ein schlechtes Gewissen bekommen. Das kann man dadurch erreichen, dass sich viele Zuschauer durchaus mit Trauer, aber auch mit Begeisterung für die Athleten verabschieden.“
Saisonabschluss mit Trauer
Er meint aber auch: „Wir, die Leichtathletik, sollten uns dennoch bedanken, dass wir über mehr als fünfzig Jahre in diesem wunderbaren Stadion herausragende Wettkämpfe veranstalten haben dürfen.“
An dem bevorstehenden Wochenende werden sich viele internationale Top-Stars die Klinke in die Hand geben, die gute Erinnerungen an ihre Wettkämpfe in Stuttgart haben und auf ihre Weise auch Trauer tragen werden.
Prof. Dr. Helmut Digel ist sich umso mehr sicher: „Wir können uns alle auf dieses Ereignis freuen. Dies wird ein wunderbarer Saisonabschluss.“ Zugleich ist es ein Abschiedsspiel, ohne Ball.
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