Dawn Harper hat noch einiges vor
Die Favoritenliste für den 100 Meter Hürden-Sprint der Frauen bei den Olympischen Spielen in Peking (China) war lang. Michelle Perry, Joanna Hayes, Lolo Jones (alle USA) und Susanna Kallur (Schweden) waren die heißesten Anwärterinnen auf die Gold-Medaille. Gewonnen hat am Ende jedoch eine, die kaum jemand auf der Rechnung hatte. Die 24-jährige Dawn Harper (USA) lief im Finale 12,54 Sekunden, verbesserte ihre Bestleistung und wurde Olympiasiegerin.
Als Dawn Harper bei den Olympischen Spielen in Peking (China) die Ziellinie überquert hatte und gebannt auf die Anzeigetafel schaute, konnte sie es nicht glauben. Hinter ihrem Namen leuchtete die eins auf. "Ich war Außenseiterin, kaum einer kannte mich, dennoch habe ich gewonnen", sagte Dawn Harper gegenüber iaaf.org rückblickend.Bis kurz vor dem Ziel lag Dawn Harper noch auf dem Silberrang, ehe ihrer in Führung liegenden Teamkollegin Lolo Jones ein Missgeschick passierte. Die Hallen-Weltmeisterin trat in die neunte Hürde, geriet ins Stolpern und machte somit den Weg frei für Dawn Harper. Lolo Jones blieb am Ende nur Rang sieben.
Nicht nur für die Experten, auch für Dawn Harper kam der Olympiasieg überraschend. Am 29. Februar 2008 hatte sich die 1,61 Meter große Hürdensprinterin noch einer Knieoperation unterziehen müssen. Die zweite nach 2000. An Training war in den folgenden zwei Monaten nicht zu denken. Als Dawn Harper wieder mit dem Laufen begann, blieben ihr gerade mal noch sechs Wochen bis zu den US-Trials, wo sie sich unter den ersten Drei platzieren musste um in Peking dabei zu sein. Eigentlich unmöglich.
Sieben Tausendstel Sekunden machen den Unterschied
Doch am Tag der US-Trials in Eugene (USA; Oregon) war Dawn Harper top fit und hatte das nötige Glück auf ihrer Seite. In 12,62 Sekunden lief sie auf Platz drei und qualifizierte sich damit als Letzte für die Olympischen Spiele in Peking. Die Winzigkeit von sieben Tausendstel Sekunden machte am Ende den Ausschlag zu Gunsten Dawn Harpers. "Wenn ich überlege, dass ich sechs Wochen davor noch rumgehumpelt bin, frage ich mich, was erst möglich gewesen wäre, wenn ich keine Operation gehabt hätte", sagte Dawn Harper.
Vier Jahre zuvor war die 61 Kilogramm schwere Hürdensprinterin noch als 18. der US-Trials chancenlos, als es um die Tickets für die Olympischen Spiele in Athen (Griechenland) gegangen war. Dementsprechend groß war auch die Freude bei Dawn Harper, ihrem Vater Henry und ihrem Ehemann Craig Everhart, der einst selbst als 400 Meter-Läufer erfolgreich war. "Ich bin einfach nur glücklich, dass ich mich für Peking qualifizieren konnte", sagte Dawn Harper nach den US-Trials.
Tägliches Training mit den Besten
Nach dem Abschluss ihres Psychologiestudiums im Jahr 2006 entschied sich Dawn Harper nach Los Angeles (USA; Kalifornien) zu ziehen um dort unter Bobby Kersee, der unter anderem Gail Devers zu drei Weltmeistertiteln führte, zu trainieren. Das Training in der kalifornischen Sonne trug bald erste Früchte. Dawn Harper verbesserte ihre Bestzeiten von 12,91 Sekunden (2005), über 12,80 Sekunden (2006), 12,67 Sekunden (2007) bis auf 12,54 Sekunden im Jahr 2008, jener Zeit, die ihr den Olympiasieg einbrachte.
In Los Angeles fand Dawn Harper eine starke Trainingsgruppe, zu der unter anderem die zweimalige Weltmeisterin Michelle Perry, die WM-Fünfte Virginia Powell und die Olympiasiegerin von 2004, Joana Hayes, zählen. "Jedes Training ist wie ein Wettkampf. Jeder in der Gruppe ist immer bereit alles zu geben", sagte Dawn Harper, die jedoch auch oft alleine trainieren muss, da Bobby Kersee hohen Wert auf individuelles Training legt um an den Schwächen der einzelnen Athletinnen gezielt zu arbeiten.
Materielle und psychische Unterstützung von den Trainingskolleginnen
Auf dem Weg zum Olympiasieg konnte sich Dawn Harper immer auf eines verlassen: Die Unterstützung ihrer Trainingskolleginnen, ihrem Mann und der Weltrekordhalterin im Siebenkampf, Jackie Joyner-Kersee. "Dadurch, dass mein Mann früher selber trainiert hat, versteht er mich und weiß, wie ich mich nach einem harten Training fühle", sagte Dawn Harper.
Aber nicht nur ihr Ehemann, auch ihre Trainingskolleginnen standen ihr stets rat gebend zur Seite. Joanna Hayes erzählte ihr wie es ist bei Olympischen Spielen zu starten. Jackie Joyner-Kersee, die wie Dawn Harper aus East St. Louis (USA; Illinois) stammt, riet ihr "nur von Rennen zu Rennen zu denken". Michelle Perry gab ihr den Ratschlag einfach "ihr Rennen zu laufen". Zudem schenkte die Doppel-Weltmeisterin ihr noch ein Paar goldene Spikes, da Dawn Harper keinen Sponsor hatte. "Für mich war es komisch, aber auch motivierend keinen Sponsor zu haben. Aber ich wusste, dass meine Zeit kommen würde", sagte Dawn Harper.
Weltrekord im Visier
Nach dem Ende der Saison 2008 nahm sich Dawn Harper erst einmal eine acht-wöchige Auszeit vom Sport und nahm währenddessen einige Medien- und PR-Termine wahr, bevor sie im November dann wieder ins Training einstieg.
Die Außenseiterrolle wird Dawn Harper 2009 jedoch abgeben müssen: "Der Druck wird größer werden, aber ich konzentriere mich auf mich." Die Hallensaison wird sie wahrscheinlich auslassen um sich voll und ganz auf die Weltmeisterschaften in Berlin (Deutschland; 15. bis 23. August) zu konzentrieren.
Und dann hat die 100 Meter-Olympiasiegerin auch noch ein anderes Ziel: den Weltrekord. Der steht momentan bei 12,21 Sekunden, wird von der Bulgarin Yordanka Donkova gehalten und datiert aus dem Jahr 1988. "Ich habe noch nicht das Gefühl, dass ich an meine Leistungsgrenze gekommen bin. Es ist nicht schwer sich zu motivieren. Ich höre nicht auf, bis ich weiß, dass ich mein Potenzial ausgeschöpft habe", sagte Dawn Harper.