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Der große Disziplin-Check 2016 – Marathon Frauen

Das Leichtathletik-Jahr 2016 mit dem Höhepunkt der Olympischen Spiele in Rio ist fast Geschichte. Athleten, Trainer und Fans haben Monate mit großen Erfolgen, aber auch Enttäuschungen hinter sich. Neben dem bunten Sportereignis in Brasilien fanden auch die Europameisterschaften in Amsterdam, die U20-WM in Bydgoszcz sowie die U18-EM in Tiflis mit starker DLV-Beteiligung statt. In unseren rückblickenden Disziplin-Analysen nehmen wir das Abschneiden der verschiedenen Disziplingruppen unter die Lupe. Heute: der Marathon der Frauen.
Silke Bernhart

Der Moment des Jahres 2016

Anja wer? Dachten sich wohl noch vor diesem Jahr selbst viele Lauf-Experten, wenn der Name auf Anja Scherl fiel. Spätestens nach dem Hamburg Marathon war die Regensburgerin dann aber in aller Munde, denn dort sorgte sie für die größte Überraschung des Jahres: Mutig nahm sie von Beginn an Kurs auf die Olympia-Norm, konnte das hohe Tempo halten und überquerte nach 2:27:50 Stunden die Ziellinie. Die alte Bestzeit? Um fast neun Minuten unterboten. Die Olympia-Norm? Souverän in der Tasche. Und das alles trotz 40-Stunden-Job – bemerkenswert!

Bei ihren ersten beiden Starts im Nationaltrikot überzeugte Anja Scherl im weiteren Saisonverlauf jeweils als beste Deutsche, auch wenn es für vordere Plätze nicht reichte. Hinter der Regensburgerin klaffte allerdings sowohl bei den Europameisterschaften in Amsterdam (Halbmarathon) als auch bei den Olympischen Spielen in Rio (Marathon) eine große Lücke. Viele Athletinnen präsentierten sich hier aus unterschiedlichen Gründen unter Wert, besonders die gemeinsame Zielankunft der Hahner-Zwillinge Anna und Lisa (run2sky.com; 2:45:32 und 2:45:33 h) auf den Rängen 81 und 82 sorgte für viel Gesprächsstoff und spaltete die Gemüter.

Für einen erfreulichen Jahresausklang sorgten bei den Herbstmarathons diejenigen Läuferinnen, die Olympia in Rio verpasst hatten. Fate Tola (LG Braunschweig) überzeugte beim Frankfurt Marathon in ihrem ersten Rennen mit deutschem Pass als Deutsche Meisterin. In 2:25:42 Stunden rannte sie vor bis auf Platz zwei in Europa. Katharina Heinig (LG Eintracht Frankfurt) zeigte beim Berlin Marathon in 2:28:34 Stunden, was in ihr steckt. Beide haben damit die WM-Norm für London (Großbritannien) bereits abgehakt.

Unsere Top Drei

Fate Tola

LG Braunschweig, 29 Jahre
PB: 2:25:14 h  | SB: 2:25:14 h (2012)
DLV-Jahresbestenliste: 1.
Europäische Bestenliste: 2.
Welt-Jahresbestenliste: 46.

Anja Scherl

LG Telis Finanz Regensburg, 30 Jahre
PB/SB: 2:27:50 h
EM (Halbmarathon): 17.
Olympia (Marathon): 44.
DLV-Jahresbestenliste: 2.
Europäische Bestenliste: 4.
Welt-Jahresbestenliste: 77.

<link http: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail sabrina-mockenhaupt _blank zum athletenporträt von katharina>Katharina Heinig

LG Eintracht Frankfurt, 27 Jahre
PB/SB: 2:28:34 h
EM (Halbmarathon): 55.
DLV-Jahresbestenliste: 3.
Europäische Bestenliste: 6.
Welt-Jahresbestenliste: 85.

Unsere Hoffnungsträgerin

<link https: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail franziska-reng _blank zum athletenporträt von franziska>Franziska Reng

LG Telis Finanz Regensburg, 20 Jahre
SB/PB (Halbmarathon): 1:12:33 h

Einfach mal loslaufen und schauen, was passiert: So das Motto von Franziska Reng bei ihrem ersten Halbmarathon im Februar in Barcelona (Spanien). Das Resultat: Platz drei im deutschen Frauen-Ranking in ihrem ersten Jahr in der Aktivenklasse und die Qualifikation für die EM in Amsterdam! Dass die junge Regensburgerin im weiteren Saisonverlauf aufgrund von Verletzungen nicht mehr an diese Leistung anknüpfen konnte, steht auf einem anderen Blatt. Geht sie kontinuierlich und behutsam weiter ihren Weg, könnten wir in Zukunft noch viel von ihr hören – ebenso wie von Sarah Kistner (MTV Kronberg), frischgebackene Deutsche U20-Rekordlerin.

Der Pechvogel

<link http: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail katharina-heinig zum athletenporträt von corinna>Katharina Heinig

LG Eintracht Frankfurt, 27 Jahre

Das wohl wichtigste Rennen der Saison, Olympia-Qualifikation beim Zürich Marathon, und dann? Temperaturen um den Gefrierpunkt und Schneeregen. Katharina Heinig hatte den wohl schlechtesten Tag für ihr Unternehmen Olympia-Norm erwischt und an dem Aus nach Unterkühlung noch lange zu knabbern. Beim EM-Halbmarathon in Amsterdam lief es auch nicht besser: Ein verdorbener Magen bremste sie aus. Dass sie bereit ist für große internationale Aufgaben, bewies die Frankfurterin im Herbst beim Marathon in Berlin – ein unheimlich wichtiges Erfolgserlebnis, das Auftrieb geben wird für die kommenden Jahre.

Das sagt die Bundestrainerin

Frau Dörre-Heinig, wie fällt Ihre Bilanz für das Olympia-Jahr 2016 aus?

Katrin Dörre-Heinig:

Mit den Olympischen Spielen und den Europameisterschaften standen für die Langstrecklerinnen zwei Meisterschaften im Fokus. Für den Halbmarathon in Amsterdam konnten sich erfreulich viele junge Athletinnen empfehlen. Leider lagen die meisten Endresultate ähnlich wie bei den Männern aus unterschiedlichen Gründen – Erkrankung, Verletzungen – unter den Erwartungen. Beim olympischen Marathon von Rio konnte Anja Scherl mit Platz 44 überzeugen, nicht zufrieden sein dürfen Anna und Lisa Hahner mit ihrem Auftreten bei den Spielen.

Insgesamt kann ich jedoch eine positive Bilanz ziehen, denn bei den Frauen sind in diesem Jahr erstmals seit vielen Jahren wieder drei Athletinnen deutlich unter 2:30 Stunden geblieben: Anja Scherl in Hamburg, Katharina Heinig in Berlin und schließlich Fate Tola in Frankfurt. Lässt man die Leistungen von Fate Tola vor ihrer Babypause außen vor, so haben sich alle drei Läuferinnen im Vergleich zu ihren Vorleistungen um mehrere Minuten gesteigert. 

Was oder wer war für Sie das ganz persönliche Highlight der vergangenen Monate?

Katrin Dörre-Heinig:

Der olympische Marathon zählte leider nicht dazu. Aber bei den Marathons davor und danach haben mich die Leistungen von Anja Scherl, Katharina Heinig und Fate Tola fasziniert. Diese Leistungen machen deutlich, dass in nächster Zeit international – vor allem auf europäischer Ebene – mit deutschen Läuferinnen zu rechnen sein wird. Mit den Plätzen zwei, vier und sechs der europäischen Bestenliste sind wir da richtig gut aufgestellt. Alle Drei wollen weiter ziehen und stehen uns in den kommenden Jahren für internationale Einsätze zur Verfügung, darauf lässt sich aufbauen.

Mit welchen Aufgaben und Zielen gehen Sie in die WM-Saison 2017?

Katrin Dörre-Heinig:

Fate Tola und Katharina Heinig haben die WM-Norm 2016 schon erfüllt, sie müssen 2017 noch einen Leistungsnachweis erbringen. Beide wollen in London starten, es ist auch für uns als Verband schön, dass sie sich bei diesen Meisterschaften präsentieren wollen. Viele Läufer blicken schon jetzt voraus auf die EM 2018 in Berlin und konzentrieren sich darauf, auch das ist verständlich, aber ich bin umso glücklicher, dass sich zwei Athletinnen schon jetzt für London ausgesprochen haben. Für die Nachwuchs-Athletinnen ist es wichtig, sie nach und nach an höhere Belastungen zu gewöhnen, damit sie den Anschluss an die deutsche Spitze im Aktivenbereich erreichen können.

Zahlen und Fakten

Die Jahresbesten

Halbmarathon
1:09:48 h – Fate Tola Geleto (LG Braunschweig)
1:11:17 h – Anja Scherl (LG Telis Finanz Regensburg)
1:12:33 h – Franziska Reng (LG Telis Finanz Regensburg)
1:12:41 h – Sabrina Mockenhaupt (LG Sieg)
1:12:55 h – Katharina Heinig (LG Eintracht Frankfurt)
1:13:41 h – Sarah Kistner (MTV Kronberg)
1:13:48 h – Anna Hahner (run2sky.com)
1:13:52 h – Isabell Teegen (SC Rönnau 74)
1:14:07 h – Melina Tränkle (LG Region Karlsruhe)
1:14:20 h – Mona Stockhecke (LT Haspa Marathon Hamburg)

Marathon 
2:25:42 h – Fate Tola Geleto (LG Braunschweig)
2:27:50 h – Anja Scherl (LG Telis Finanz Regensburg)
2:28:34 h – Katharina Heinig (LG Eintracht Frankfurt)
2:30:35 h – Anna Hahner (run2sky.com)
2:31:30 h – Mona Stockhecke (LT Haspa Marathon Hamburg)
2:34:56 h – Lisa Hahner (run2sky.com)
2:36:13 h – Anne Haug (LAZ Saar 05 Saarbrücken)
2:40:41 h – Julia Viellehner (TSV Altenmarkt/Alz)
2:41:35 h – Tinka Uphoff (Spiridon Frankfurt)
2:43:02 h – Julia Galuschka (LG Telis Finanz Regensburg)

Internationale Top-Acht-Platzierungen 2016

Olympia (Marathon): keine
EM (Halbmarathon): keine

Entwicklung des Spitzenniveaus

JahrAthleten < 2:28,00Schnitt Top Ten
2005 Luminita Zaituc (2:26:44) 2:39:35
2006 keine 2:37:32
2007 Irina Mikitenko (2:24:51)2:34:08
2008 Irina Mikitenko (2:19:19), Sabrina Mockenhaupt (2:26:26) 2:33:13
2009 Irina Mikitenko (2:22:11) 2:35:23
2010 Sabrina Mockenhaupt (2:26:21), Irina Mikitenko (2:26:40) 2:39:01
2011 Irina Mikitenko (2:22:18) 2:37:55
2012 Irina Mikitenko (2:24:54)2:35:47
2013Irina Mikitenko (2:24:53), Anna Hahner (2:27:55)2:33:32
2014 Anna Hahner (2:26:44) 2:41:02
2015 keine 2:36:19
2016 Fate Tola (2:25:42 h), Anja Scherl (2:27:50 h) 2:34:04
  • Der Top-Ten-Schnitt 2016 zählt zu den drei stärksten der vergangenen zehn Jahre.
  • Seit Irina Mikitenko war keine Deutsche mehr schneller als die gebürtige Äthiopierin Fate Tola, die nach ihrer Einbürgerung in diesem Sommer für Deutschland startberechtigt ist.
  • Es zeichnet sich ab, dass der DLV im kommenden Jahr erstmals seit der WM in Berlin 2009 wieder bei einer Weltmeisterschaft mit drei Athletinnen an den Start gehen könnte.

Entwicklung Jahresbestleistungen

JahrDeutschlandEuropaDiff.WeltDiff.
2005 2:26:44 (L. Zaituc) 2:17:42 (Radcliffe/GBR) 9:02 2:17:42 (Radcliffe/GBR) 9:02
2006 2:28:30 (L. Zaituc) 2:20:47 (Bogomolova/RUS) 7:43 2:19:36 (Kastor/USA) 8:54
2007 2:24:51 (I. Mikitenko) 2:23:09 (Radcliffe/GBR) 1:42 2:20:38 (Zhou/CHN)4:13
2008 2:19:19 (I. Mikitenko)2:19:19 (I. Mikitenko) 0:00 2:19:19 (I. Mikitenko) 0:00
2009 2:22:11 (I. Mikitenko)2:22:11 (I. Mikitenko) 0:00 2:22:11 (I. Mikitenko) 0:00
2010 2:26:21 (S. Mockenhaupt)2:23:50 (Konovalova/RUS) 2:31 2:22:04 (Baysa/ETH)

4:17

2011 2:22:18 (I. Mikitenko)2:22:18 (I. Mikitenko) 0:00 2:22:18 (I. Mikitenko) 0:00
2012 2:24:53 (I. Mikitenko)2:23:29 (Arkhipova/RUS) 1:24 2:18:37 (Keitany/KEN) 6:16
2013 2:24:54 (I. Mikitenko)2:22:46 (Konovalova/RUS) 2:08 2:19:57 (Jeptoo/KEN) 4:47
2014 2:26:44 (A. Hahner) 2:21:29 (Duliba/BLR) 5:37 2:18:57 h (Jeptoo/KEN)7:47
2015 2:28:39 (L. Hahner) 2:22:09 (Gamera/UKR) 6:30 2:19:25 (Cherono/KEN)9:14
2016 2:25:42 (F. Tola) 2:23:54 (Mazuronak/BLR) 1:48 2:19:41 (Tsegaye/ETH)6:01
  • Der Abstand zur europäischen Spitze ist aufgrund der Top-Zeit von Fate Tola in Frankfurt so gering wie seit vier Jahren nicht mehr.
  • Auf internationalem Parkett liegt die Spitzenzeit seit 2011 konstant unter 2:20 Stunden.
  • Die schnellste Zeit des Jahres stammt aus dem Januar: Tirfi Tsegaye hat in Dubai vorgelegt, keine Athletin konnte vorbei ziehen.
  • Olympiasiegerin Jemima Jelagat Sumgong (Kenia) hat 2016 "nur" die elftschnellste Zeit der Welt erreicht.

Video-Clips

<link video:15387>Marathon: Die Highlights aus Frankfurt
<link video:15381>Marathon: Zieleinlauf der Deutschen Meisterin Fate Tola
<link video:13928>Halbmarathon: Sabrina Mockenhaupt knackt EM-Norm

 

Die Disziplin-Checks 2016 im Überblick:

<link http: www.leichtathletik.de news detail der-grosse-disziplin-check-2016-sprint-maenner _blank>Männer – Sprint<link http: www.leichtathletik.de news detail der-grosse-disziplin-check-2016-sprint-frauen _blank>
Frauen – Sprint<link http: www.leichtathletik.de news detail der-grosse-disziplin-check-langsprint-maenner _blank>
Männer – Langsprint<link http: www.leichtathletik.de news detail der-grosse-disziplin-check-langsprint-frauen _blank>
Frauen – Langsprint<link http: www.leichtathletik.de news detail der-grosse-disziplin-check-2016-mittelstrecke-maenner _blank>
Männer – Mittelstrecke
<link http: www.leichtathletik.de news detail der-grosse-disziplin-check-langstrecke-maenner>Frauen – Mittelstrecke
Männer – Langstrecke
<link news:50879>Frauen – Langstrecke
<link news:50853>Männer – Hürdensprint
<link news:51009>Frauen – Hürdensprint
<link news:50841>Männer – 400 Meter Hürden
<link news:50847>Frauen – 400 Meter Hürden
<link news:50610>Männer – 3.000 Meter Hindernis
<link news:50613>Frauen – 3.000 Meter Hindernis
<link news:51349>Männer/Frauen – Gehen
<link news:51129>Männer – Marathon

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