
Die deutschen Farben hätte der Jahresschnellste Hendrik Pfeiffer auch gerne in Rio vertreten, aber es kam eine Verletzung dazwischen.
Der große Disziplin-Check 2016 – Marathon Männer
Das Leichtathletik-Jahr 2016 mit dem Höhepunkt der Olympischen Spiele in Rio ist fast Geschichte. Athleten, Trainer und Fans haben Monate mit großen Erfolgen, aber auch Enttäuschungen hinter sich. Neben dem bunten Sportereignis in Brasilien fanden auch die Europameisterschaften in Amsterdam, die U20-WM in Bydgoszcz sowie die U18-EM in Tiflis mit starker DLV-Beteiligung statt. In unseren rückblickenden Disziplin-Analysen nehmen wir das Abschneiden der verschiedenen Disziplingruppen unter die Lupe. Heute: der Marathon der Männer.
Der Moment des Jahres 2016
Als am 24. April der Startschuss für den Düsseldorf Marathon fiel, war noch nicht abzusehen, dass sich im Feld der schnellste Deutsche des Jahres tummelte: Hendrik Pfeiffer (TV Wattenscheid 01) lieferte ein hervorragendes Marathon-Debüt ab und empfahl sich mit 2:13:09 Stunden für einen Olympia-Start. Er hatte nach Absenkung der Normen alles auf die Karte Marathon gesetzt – und schien damit alles richtig gemacht zu haben. Doch dann zwickte die Achillessehne. Der 23-Jährige verzichtete auf seinen Startplatz in Rio, unterzog sich einer Fuß-Operation und will 2017 zunächst auf der Bahn wieder für schnelle Zeiten sorgen.
Leider war Hendrik Pfeiffers Verletzung nicht die Ausnahme, sondern die Regel im Lager der deutschen Marathonis. Besonders hart traf es den Deutschen Rekordler Arne Gabius (LT Haspa Marathon Hamburg), der im Frühjahr zwar noch einen ordentlichen Halbmarathon absolvierte, dann aber zwei Rennen vorzeitig beenden und schließlich aufgrund einer Schambein-Entzündung den Olympia-Traum von Rio begraben musste.
Philipp Pflieger (LG Telis Finanz Regensburg) kämpfte sich mit Knieproblemen durch die Saisonvorbereitung, beim EM-Halbmarathon fehlten doch einige Körner, im Marathon von Rio hielt er als 55. und bester DLV-Athlet die deutschen Fahnen hoch. Auch Julian Flügel (noch Team Memmert), nachgerückt nach den Absagen von Gabius und Pfeiffer, belohnte sich für eine kontinuierliche Leistungsentwicklung mit dem Start am Zuckerhut, der für ihn auf Rang 71 von 140 Finishern endete. Ex-Hindernisläufer Steffen Uliczka (SG TSV Kronshagen/Kieler TB) deutete beim Berlin Marathon in 2:15:02 Stunden sein Potenzial an.
Unsere Top Drei
Hendrik Pfeiffer
TV Wattenscheid 01, 23 Jahre
Marathon: SB/PB 2:13:09 h
Halbmarathon: SB 64:06 min | PB 63:42 min (2015)
DM: – | EM: – | Olympia: –
DLV-Jahresbestenliste: 1. (Marathon)
Europäische Bestenliste: 16. (Marathon)
Welt-Jahresbestenliste: 271. (Marathon)
Philipp Pflieger
LG Telis Finanz Regensburg, 29 Jahre
Marathon: SB 2:18:56 h | PB 2:12:50 h
Halbmarathon: SB 64:58 min | PB 63:51 min (2015)
DM: – | Olympia: Platz 55
DLV-Jahresbestenliste: 4. (Marathon)
Europäische Bestenliste: 76. (Marathon)
Welt-Jahresbestenliste: 759. (Marathon)
Steffen Uliczka
SG TSV Kronshagen/Kieler TB, 32 Jahre
Marathon: SB/PB 2:15:02 h (2016)
Halbarathon: SB 65:23 min | PB 64:16 min (2015)
DM: – | EM: – | Olympia: –
DLV-Jahresbestenliste: 2. (Marathon)
Europäische Bestenliste: 25. (Marathon)
Welt-Jahresbestenliste: 403. (Marathon)
Unser Hoffnungsträger
Hendrik Pfeiffer
TV Wattenscheid 01, 23 Jahre
Marathon: SB/PB 2:13:09 h
Nach dem Olympia-Verzicht hätte auch das Label "Pechvogel" gepasst, aber wir wollen den Blick in die Zukunft richten. Das Marathon-Debüt von Hendrik Pfeiffer hat gezeigt: Es wächst ein talentierter Läufer nach, der nach auskurierter Verletzung und bei entsprechender Trainings- und Wettkampf-Steuerung noch viele Jahre auf der Straße vor sich hat und die Lücke zur europäischen Spitze schließen könnte.
Der Pechvogel
Arne Gabius
LT Haspa Marathon Hamburg, 35 Jahre
SB: – / PB: 2:08:33 h (DR; 2015)
Es war alles ausgerichtet auf den Olympia-Marathon von Rio. Mit einem neuen deutschen Rekord hatte Arne Gabius 2015 in Frankfurt den Weg zu den Spielen eingeschlagen, der Leistungsnachweis im Halbmarathon war nur Formsache, die Ausgangslage vielversprechend. Doch dann geriet Sand ins Getriebe: Zwei Rennen musste er abbrechen, eine Schambein-Entzündung verursachte so starke Schmerzen, dass ein Start in Rio – das große Ziel des 35-Jährigen – unmöglich wurde.
Das sagt die Bundestrainerin
Frau Dörre-Heinig, wie fällt Ihre Bilanz für das Olympia-Jahr 2016 aus?
Katrin Dörre-Heinig:
Das Jahr 2016 hatte zwei sportliche Höhepunkte, natürlich zuvorderst die Olympischen Spiele, aber vorgelagert auch die Europameisterschaften, bei denen erstmals der Halbmarathon ausgetragen wurde. Diese Strecke hat vielen Läufern die Möglichkeit eröffnet, sich zu profilieren und ins Gespräch zu bringen. Leider muss das Abschneiden in Amsterdam aufgrund vieler Erkrankungen im Vorfeld und verletzungsbedingter Ausfälle als sehr enttäuschend betrachtet werden.
In Rio hätten wir aufgrund der veränderten Normen sogar ein optimales Team von drei Athleten an der Startlinie sehen können, das gab es seit vielen Jahren nicht mehr. Leider fiel unser stärkster Läufer Arne Gabius aus, seine gesamte Saison war durchzogen von Verletzungen. Auch Hendrik Pfeiffer musste seinen Olympia-Start kurzfristig mit Achillessehnen-Beschwerden absagen, was für ihn sehr bitter war. Philipp Pflieger und Julian Flügel, der für Hendrik Pfeiffer einspringen konnte, haben in Rio persönlich gute Leistungen gebracht. Es machte sich jedoch bemerkbar, dass uns gerade im Marathon der Männer die Breite fehlt.
Was oder wer war für Sie das ganz persönliche Highlight der vergangenen Monate?
Katrin Dörre-Heinig:
Die Olympischen Spiele von Rio kann ich leider nicht als Highlight einordnen. Aber das Marathon-Debüt von Hendrik Pfeiffer war schon eine kleine Sensation und richtungsweisend. Er ist mit seinen 23 Jahren noch sehr jung und hat mit seiner Zeit von 2:13:09 in Düsseldorf wirklich ein Achtungszeichen gesetzt.
Mit welchen Aufgaben und Zielen gehen Sie in die WM-Saison 2017?
Katrin Dörre-Heinig:
In erster Linie gilt es für die bisherigen Leistungsträger, ihre Verletzungen auszukurieren, um wieder schmerzfrei ins Training einsteigen und ihr altes Leistungspotenzial abrufen zu können. Dies trifft natürlich vor allem auf Arne Gabius als Deutschen Rekordhalter zu, aber auch auf Hendrik Pfeiffer. Wir sind bemüht, die leistungsstärksten Athleten in Trainingslagern zusammenzuführen, um sie mit gemeinsamem Training voranzubringen. Es hat sich schon in den Vorjahren gezeigt, dass diejenigen Athleten, die sich hier anschließen – als Beispiel sei Hendrik Pfeiffer genannt – gute Fortschritte machen.
Statistik – Das sagen die Zahlen
Die Jahresbesten
Halbmarathon
1:02:45 h – Arne Gabius (LT Haspa Marathon Hamburg)
1:03:57 h – Manuel Stöckert (SC Ostheim/Rhön)
1:04:06 h – Hendrik Pfeiffer (TV Wattenscheid 01)
1:04:06 h – Jens Nerkamp (PSV GW Kassel)
1:04:17 h – Julian Flügel (Team Memmert)
1:04:46 h – Nico Sonnenberg (LG Eintracht Frankfurt)
1:04:49 h – Tom Gröschel (TC Fiko Rostock)
1:04:57 h – Eyob Solomun (ERI/SG Wenden)
1:04:58 h – Philipp Pflieger (LG Telis Finanz Regensburg)
1:05:03 h – Mitku Seboka (ETH/LAC Quelle Fürth)
Marathon
2:13:09 h – Hendrik Pfeiffer (TV Wattenscheid 01)
2:15:02 h – Steffen Uliczka (SG TSV Kronshagen/Kieler TB)
2:17:10 h – Julian Flügel (Team Memmert)
2:18:56 h – Philipp Pflieger (LG Telis Finanz Regensburg)
2:19:25 h – Geronimo von Wartburg (LG Kreis Verden)
2:20:08 h – Marcus Schöfisch (SC DHfK Leipzig)
2:20:38 h – Tobias Schreindl (LG Passau)
2:21:14 h – Jannik Ernst (TV Waldstraße Wiesbaden)
2:21:35 h – Andreas Strassner (Team Memmert)
2:21:40 h – Benedikt Hoffmann (TSG Heilbronn)
Internationale Top-Acht-Platzierungen 2016
Olympische Spiele (Marathon): keine
EM (Halbmarathon): keine
Entwicklung des deutschen Spitzenniveaus
Jahr | Athleten < 2:14,00 | Schnitt Top Ten |
---|---|---|
2005 | Keiner | 2:24:33 |
2006 | Keiner | 2:21:43 |
2007 | Keiner | 2:19:44 |
2008 | Falk Cierpinski (2:13:30) | 2:17:48 |
2009 | André Pollmächer (2:13:09), Martin Beckmann (2:13:42) | 2:17:52 |
2010 | Keiner | 2:22:06 |
2011 | Keiner | 2:19:37 |
2012 | Jan Fitschen (2:13:10) | 2:18:12 |
2013 | André Pollmächer (2:13:05) | 2:18:11 |
2014 | Arne Gabius (2:09:32), André Pollmächer (2:13:58) | 2:17:48 |
2015 | Arne Gabius (2:08:33), Philipp Pflieger (2:12:50), Julian Flügel (2:13:57) | 2:16:40 |
2016 | Hendrik Pfeiffer (2:13:09) | 2:18:53 |
- Der Aufwärts-Trend der Vorjahre ist gestoppt – unter anderem, weil die Topläufer im Olympia-Jahr keinen schnellen Herbst- oder Frühjahrsmarathon absolviert haben.
- Mit Hendrik Pfeiffer steht ein Marathon-Debütant an der Spitze der deutschen Bestenliste, mit Steffen Uliczka an Position zwei ein ehemaliger Hindernisläufer, der den Umstieg auf die Straße erfolgreich vollzogen hat.
- Je erfahrener, umso besser? Das Durchschnittsalter der Top Ten im Marathon ist mit 26,4 Jahren vergleichsweise hoch: Nur Hendrik Pfeiffer (1) und Jannik Ernst (8) sind in den 90er Jahren geboren.
Entwicklung der internationalen Jahresbestleistungen
Jahr | Deutschland | Europa | Diff. | Welt | Diff. |
---|---|---|---|---|---|
2005 | 2:18:43 (U. Steidl) | 2:07:38 (Rey/ESP) | 11:05 | 2:06:20 (Gebrselassie/ETH) | 12:23 |
2006 | 2:16:02 (U. Steidl | 2:06:52 (Rey/ESP) | 9:10 | 2:05:56 (Gebrselassie/ETH) | 10:06 |
2007 | 2:15:22 (M. Beckmann) | 2:07:33 (Kuzin/UKR) | 7:49 | 2:04:26 (Gebrselassie/ETH) | 10:56 |
2008 | 2:13:30 (F. Cierpinski) | 2:07:33 (Röthlin/SUI) | 5:57 | 2:03:59 (Gebrselassie/ETH) | 9:31 |
2009 | 2:13:09 (A. Pollmächer | 2:09:53 (Pertile/ITA) | 3:16 | 2:04:27 (Kibet/KEN) | 8:42 |
2010 | 2:17:18 (F. Cierpinski) | 2:08:32 (Musinschi/MDA) | 8:46 | 2:04:48 (Makau/KEN) | 12:30 |
2011 | 2:15:40 (J. Fitschen) | 2:09:26 (Sitkovskyy) | 6:14 | 2:03:38 (Makau/KEN) | 12:02 |
2012 | 2:13:10 (J. Fitschen) | 2:07:30 (Tambwé/FRA) | 5:40 | 2:04:16 (Mutai/KEN) | 8:55 |
2013 | 2:13:05 (A. Pollmächer) | 2:08:33 (A. Kiprotich/FRA) | 4:32 | 2:03:23 (Kipsang/KEN) | 9:42 |
2014 | 2:09:32 (A. Gabius) | 2:08:21 (Farah/GBR) | 1:11 | 2:02:57 (Kimetto / KEN) | 7:35 |
2015 | 2:08:33 (A. Gabius) | 2:08:33 (Gabius/GER) | 0:00 | 2:04:00 (Kipchoge / KEN) | 4:33 |
2016 | 2:13:09 (H. Pfeiffer) | 2:06:10 (Özbilen/TUR) | 6:49 | 2:03:03 (Bekele/ETH) | 10:06 |
- Ohne Arne Gabius an der Spitze der deutschen Marathonis ist der Abstand zur europäischen und zur Weltspitze wieder deutlich angewachsen.
- Mit Kenenisa Bekele führt ein Läufer die Weltjahres-Bestenliste an, der aufgrund starker nationaler Konkurrenz nicht für die Olympischen Spiele nominiert wurde. So konnte er im September auf der schnellen Strecke in Berlin mit der zweitstärksten je gelaufenen Zeit seine Extraklasse demonstrieren.
- In den Top 38 der Welt finden sich genau zwei Athleten, die nicht für Kenia oder Äthiopien starten: Ilham Tanui Özbilen (Türkei) und Tadesse Abraham (Schweiz) – der eine geboren in Kenia, der andere geboren in Eritrea.
Video-Clips
Marathon: Die Highlights aus Frankfurt
Marathon: Marcus Schöfisch wird in Frankfurt Deutscher Meister
Halbmarathon: Mitku Seboka ist Halbmarathon-Meister
Porträt: "Road to Rio" – Philipp Pflieger
Die Disziplin-Checks 2016 im Überblick:
Männer – Sprint
Frauen – Sprint
Männer – Langsprint
Frauen – Langsprint
Männer – Mittelstrecke
Frauen – Mittelstrecke
Männer – Langstrecke
Frauen – Langstrecke
Männer – Hürdensprint
Frauen – Hürdensprint
Männer – 400 Meter Hürden
Frauen – 400 Meter Hürden
Männer – 3.000 Meter Hindernis
Frauen – 3.000 Meter Hindernis
Männer/Frauen – Gehen