Der Kater danach: Ursachen und Hilfe
Sportnovizen kennen ihn besonders gut, aber auch gut trainierten Langstrecklern läuft er häufig über den Weg: der Muskelkater. Seine Ursachen waren lange umstritten und unklar. Hier lesen Sie, was ihn auslöst und was die Schmerzen lindert.
Jeder, der sich irgendwann einmal sportlich betätigt hat, kennt ihn – und keiner weiß ein hundertprozentig zuverlässiges Mittel, um ihn zu bekämpfen. Die Rede ist vom „angriffslustigen“ Muskelkater, der wohl schon jedem nach ungewohnter oder besonders intensiver Belastung manch schmerzhafte Stunden und Tage beschert hat.Die Metapher vom wenig freundschaftlichen „Katz- und Maus-Spiel“ scheint hierbei gar nicht so unangebracht – ist die Bezeichnung Muskel doch vom lateinischen „musculus“ (=Mäuschen) abgeleitet. Die Herkunft des Namens „Kater“ hat allerdings mit dieser tierischen Analogie eher nichts zu tun. Dass ein Kater im medizinischen Sinne mit wenig angenehmen Empfindungen verbunden ist, hat der eine oder andere nach überreichlichem Alkoholgenuss schon reumütig erfahren müssen. Demnach könnte man meinen, ein Muskelkater sei die Quittung für sportliches Fehlverhalten.
Diskussion um die Begriffsherkunft
Offensichtlich liefert also schon die Frage nach der Begriffsherkunft einiges Diskussionsmaterial. Doch mittlerweile ist es gelungen, einen einheitlichen Konsens zu finden. Demnach ist der Begriff des muskulären Katers von „Katarrh“ abgeleitet, was im Griechischen soviel wie „herabfließen“ bedeutet. In der Medizin bezeichnet man mit Katarrh eine Schleimhautentzündung. Die Namensgebung beruht auf der antiken Annahme, der Schleim würde – etwa bei Erkältungen – aus dem Gehirn herabfließen. Was aber hat eine solche Entzündung mit Muskelkater zu tun? Sie erfahren es gleich.
Der Begriff Muskelkater hat nichts mit männlichen Katzen zu tun. Er leitet sich vielmehr von dem medizinischen Begriff Katarrh ab (Foto: Fotolia)
Die meisten Wissenschaftler glaubten bis in die 80er-Jahre hinein, Hauptverursacher der schmerzhaften Muskelschwere sei die vermehrte Ablagerung von Milchsäuresalz (Laktat), das während der Muskelarbeit unter ungenügender Sauerstoffversorgung als Stoffwechselprodukt gebildet wird.
Ist das Laktat schuld?
Diese Annahme lässt sich jedoch mit einer Reihe entscheidender Erkenntnisse nicht in Einklang bringen:
>>> Die absolut höchsten Laktatwerte werden bei 400-Meter-Läufern gemessen. Muskelkater wird aber weit häufiger im Kraftsport und bei extensiven Ausdauerbelastungen wie z.B. dem Marathonlauf angetroffen. Im Krafttraining erfolgt die schnelle Energiebereitstellung vorwiegend durch Spaltung energiereicher Phosphate (ATP), beim Langstreckenlauf durch vollständigen aeroben Nährstoffabbau. In beiden Fällen wird also nur wenig Laktat gebildet.
>>> Muskelkater ereilt vor allem ungeübte Sportler oder tritt generell bei ungewohnten Belastungen auf. Zur Laktatproduktion kommt es aber bei entsprechender Belastungshöhe bei allen Aktiven vom Anfänger bis zum Profi.
>>> Die so genannte Halbwertzeit des Laktats – das ist jene Zeitspanne, die vergeht, bis jeweils die Hälfte des noch vorhandenen Laktats abgebaut ist – beträgt etwa 20 Minuten. Muskelkater wird bekanntermaßen erst 12 bis 24 Stunden nach einer Belastung „spürbar“. Zu diesem Zeitpunkt hat sich auch beim Ungeübten der Lactatspiegel längst wieder normalisiert.
Wenngleich eine Laktatübersäuerung des Muskels durchaus zum leistungsbegrenzenden Faktor während des Trainings werden kann – für das typische Phänomen des Muskelkaters scheint sie lange zu Unrecht beschuldigt.
Mikrotraumen als Auslöser
Durch die oben beschriebenen Erkenntnisse gewann Mitte der 80er-Jahre zunehmend eine Konkurrenztheorie die Oberhand, die heute durch moderne experimentelle Verfahren und bildgebende Belege (Elektronenmikroskopie) Unterstützung erhält. Der Schlüsselbegriff lautet „Mikrotraumen“ – das sind kleine Verletzungen mit entzündlichen Folgen.
Was passiert während einer ungewohnten oder außergewöhnlich hohen Muskelbelastung? Für bekannte Bewegungsabläufe wird die Kraft, die der Körper dazu benötigt, vom Gehirn koordiniert und ökonomisiert. Man spricht hierbei auch von einer erfolgten Reflexbahnung. Ist aber eine Bewegung ganz neu oder ungewöhnlich intensiv, reagieren viele Muskeln mit einem aus physiologischer Sicht unangemessen hohen Kraftaufwand. Die für diese Bewegung unausgereifte Hirn-Muskel-Koordination – die fehlende Reflexbahnung – wird quasi durch erhöhten Krafteinsatz zu kompensieren versucht.
Bergablaufen verursacht Schmerzen
Besonders hoch sind solche Kraftspitzen bei so genannter exzentrischer Arbeit, d.h. wenn ein Muskel passiv einer äußeren Belastung standhalten muss. Im Krafttraining ist dies z.B. der Fall, wenn ein gestemmtes Gewicht gehalten bzw. langsam gegen den muskulären Widerstand herabgesenkt wird. Bei solchen, durch das Einwirken äußerer Kräfte bewirkten Dehnungen entwickeln die Muskelfasern größere Kräfte als bei aktiven Verkürzungen.
Hierfür ist das längere Bergabgehen geradezu ein Paradebeispiel. Ein wenig geübter Bergwanderer „verdankt“ seine am Folgetag schmerzenden Waden und Oberschenkel keinesfalls dem so anstrengenden Aufstieg (der lässt eher das Herz schneller schlagen), sondern dem vermeintlich leichteren mehrstündigen Abstieg, der den Muskeln ein ungewohntes koordinatives Zusammenspiel abverlangt, das mit zu hohem Kraftaufwand „erkauft“ wird.
Da zudem innerhalb des Muskels die Kontraktionen der einzelnen Fasern aufgrund der fehlenden Übung schlecht synchronisiert sind, werden einzelne Fasern so hohen Spannungsspitzen ausgesetzt, dass es zu kleinsten Einrissen (Mikrotraumen) in bestimmten Strukturen der Muskelfasern – den so genannten Z-Scheiben – kommt. Diese Miniaturverletzungen konnten mittlerweile im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden.
Feine Einrisse
Warum schmerzt der verletze Muskel aber nicht sofort, sondern erst nach Stunden? Offensichtlich sind die Einrisse so fein, dass die außerhalb der Muskelzellen im Bindegewebe liegenden Nervenendigungen gar nicht gereizt werden.
Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass als Folge der Mikrotraumenbildung spezielle Entzündungsprozesse ausgelöst werden, die aber nicht mit den uns allen bekannten klassischen Entzündungen – z.B. bei offenen Wunden – gleichzusetzen sind. Letztere werden nämlich durch Bakterien oder Viren verursacht, die bei den posttraumatischen Entzündungen im Muskel nicht beteiligt sind.
Man spricht hier von aseptischen (keimfreien) Entzündungen, die aber ansonsten alle typischen Kennzeichen des klassisch septischen Gegenparts aufweisen. Und eben diese Reaktionen sind es, die mit mehrstündiger Zeitverzögerung den Muskelkater auslösen.
Welche Vorgänge spielen dabei eine Rolle? Zum einen induzieren die entzündlichen Minirisse eine Ödembildung, also ein Eindringen von Gewebewasser in den Muskel, der dadurch anschwillt und so die im Bindegewebe liegenden Nervenendigungen (Schmerzrezeptoren) reizt. Man spricht dabei auch vom Dehnungsschmerz. Darüber hinaus werden die geschädigten Strukturen abgebaut und aus den Muskelzellen transportiert, wo sie direkt auf die Schmerznerven „treffen“.
Gefäßverengung verstärkt Schmerzen
Damit nicht genug: Die kleinen Verletzungen bewirken auch eine Gefäßverengung, die den Schmerz zusätzlich verstärkt. Dies wiederum lässt den Muskel reflektorisch verspannen, es kommt zur tastbaren Muskelhärte, die ihrerseits verstärkend auf die Gefäßverengung und damit auch die Schmerzintensität zurückwirkt. Ein kleiner Teufelskreis hat sich geschlossen, der den Betroffenen für einige Tage die Lust auf erneute „Höchstleistung“ raubt.
Jeder Langstreckenläufer, der am Tag nach einem langen Lauf seine schmerzenden Beine pflegt, wird sich nun fragen: Wenn das alles stimmt mit den kleinen Faserverletzungen, die durch schlecht koordinierte, passive Maximalkraftbelastung einzelner Muskelfasern entstehen, warum kriecht man als trainierter Läufer trotzdem immer mal wieder auf dem Zahnfleisch?
Die Beinmuskeln haben zwar einen sehr hohen Energieumsatz, sind also äußerst stoffwechselaktiv. Aber großen Krafteinsatz benötigt man beim Laufen nicht, selbst die Muskelkoordination läuft bei Kilometer 35 nicht aus dem Ruder. Und die Laktathypothese wird allein durch die Messung des Blutlaktats nach einem langen Lauf bei trainierten Sportlern widerlegt.
Hochtourig und lange laufender Stoffwechsel ist schuld
Lange hat die Wissenschaft gerätselt. Mittlerweile scheinen die Forschungsbemühungen eine plausible, wenn auch für den Laien nicht ganz einfache Erklärung gefunden zu haben. Der lang anhaltend auf hohen Touren arbeitende Stoffwechsel ist schuld am Muskelkater.
Dazu muss man wissen, dass der Muskel seine Energie nicht direkt aus den mit der Nahrung aufgenommenen Nährstoffen ziehen kann, sondern aus besonderen energiegeladenen Molekülen, die unser Organismus unter Verwendung der Nahrungsenergie selbst herstellt. Hauptvertreter dieser „Energiebomben“ ist das so genannte ATP (Adenosintriphosphat); ein Zucker-Base-Molekül, an das drei Phosphoratome gebunden sind. Im Muskel wird dieses ATP gespalten und die dabei frei werdende Energie kann für die Muskelarbeit genutzt werden. Das entladene ATP (nun ADP=Adenosindiphosphat), kann anschließend in einem „Recyclingprozess“ wieder „aufgepushed“ werden, sofern genug Nahrung zur Verfügung steht.
Nun weiß jeder erfahrene Läufer, dass selbst beim trainierten Athleten am Ende eines Ultralaufes die Nährstoffversorgung ziemlich im Keller ist. Demzufolge klappt es auch mit der ATP-Produktion und damit der Energieversorgung des Muskels nicht mehr so gut. Es gibt Studienergebnisse, die darauf hindeuten, dass bei lang andauernden, intensiven Stoffwechselleistungen als Folge des ATP-Mangels eine Reihe besonderer chemischer Prozesse ausgelöst werden.
Radikale Moleküle greifen den Muskel an
Diskutiert wird hier vor allem die Bildung von so genannten Radikalen, hochreaktiven Molekülen, die schon in anderen Zusammenhängen als Krankheitsverursacher im Verdacht stehen. Im Muskel könnten diese Radikale die kleinen Einrisse in den Fasern verursachen, die über die beschriebenen Folgereaktionen die Katersymptome auslösen.
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand lässt sich festhalten: Während beim Kraftsportler überhohe, von einzelnen Muskelfasern selbst entwickelte Kraftspitzen verletzungsursächlich sind, werden die Traumen im hoch stoffwechselaktiven (aber vergleichsweise „kraftarmen“) ausdauerbelasteten Muskel möglicherweise indirekt durch „Radikalbeschuss“ von außen gesetzt. Bei aller Theorie sind die schmerzhaften Konsequenzen in der Praxis allerdings identisch.
Das hilft gegen Muskelkater Über die lindernde Wirkung von Dehnungsübungen vor bzw. nach dem Training ist man verschiedener Meinung. Ein vorsichtiges passives Dehnen vermag den Bewegungsschmerz bisweilen zu lindern – laut einer neuen australischen Studie allerdings in vernachlässigbar geringem Maße. Wärmeanwendungen (Bäder, Sauna) sind in der Regel zu empfehlen, da sie krampflösend und ödemausschwemmend wirken und vor allem auch der Seele gut tun. Vorsichtig sein sollte man mit Massagen. Eine aggressive „Knetkur“ verstärkt die Muskelirritation zusätzlich, wird die Beschwerden eher verschlimmern und die Heilung verzögern. Eine feinfühlige Muskelbehandlung, die vor allem die Durchblutung und die seelische Aufhellung fördert, kann dagegen durchaus positiv zum Vertreiben des Katers beitragen. Von medikamentösen Experimenten ist in jedem Fall abzuraten, zumal von dieser Seite mehr Schaden als Hilfreiches zu erwarten ist. Im Leistungsbereich wird der Muskelkater bisweilen mit technischen Hilfsmitteln über biomechanische Stimulation bekämpft. Durch äußere Induktion hochfrequenter Vibrationen werden dabei sanfte Muskelkontraktionen ausgelöst, die schmerzlindernd wirken. Für „Otto Normalsportler“ kommt Derartiges eher nicht in Betracht, hier ist das aktive Wellnessprogramm vorzuziehen. Die generelle Empfehlung lautet: „Tun Sie alles, was Ihr persönliches Wohlbefinden steigert!“ |