Desiree Singh arbeitet am Comeback
Ein- bis zweimal pro Woche erklingen ungewohnte Geräusche in der Sporthalle von Horn-Bad-Meinberg (Kreis Lippe). Anstatt der Trainer will ein Baby die volle Aufmerksamkeit: Emma Sophie Singh. Die Tochter von Desiree Singh ist immer dabei, wenn die U18-Weltmeisterin von 2011 für ihr Comeback und die Teilnahme an der U20-EM 2013 in Rieti (Italien) trainiert.
„Bisher klappt alles wirklich sehr gut, Emma schlägt sich prächtig. Und ich werde von Woche zu Woche fitter“, erzählte die 18-Jährige, die am 1. August um 2:05 Uhr ihre 54 Zentimeter große und 3.350 Gramm schwere Tochter zur Welt brachte gegenüber der Fachzeitschrift „leichtathletik“.Vor einigen Wochen hat Desiree Singh wieder mit leichtem Training begonnen. Natürlich achten sie und ihr Trainer Olaf Hilker nach der Schwangerschaft darauf, dass der Körper nicht überlastet wird. Speziell der Bandapparat ist nach der Geburt noch so „ausgeleiert“, dass die Turneinheiten sehr dosiert angegangen werden. Außerdem wiegt die Schülerin momentan noch rund fünf Kilogramm mehr als vor der Schwangerschaft, während der sie rund 20 Kilo zunahm. Das verändert das Kraft-Last-Verhältnis enorm.
Erste Sprünge
Trotzdem freut sich Desiree Singh, wieder in ihrer Trainingsgruppe dabei zu sein. Auch erste Sprünge über die Gummischnur bei Höhen zwischen 3,80 und 4,00 Metern hat sie schon absolviert. Da die Technik immer besser wird, sollen im Winter schon wieder einige Starts in der Hallensaison folgen.
Exakte Höhen hat sich die deutsche U18-Rekordlerin – bei ihrem letzten Wettkampf vor der Babypause überflog sie im August 2011 beim U18-DM-Sieg in Jena 4,32 Meter – nicht vorgenommen. Zuvor war sie mit 4,25 Metern in Lille (Frankreich) überraschend U18-Weltmeisterin geworden.
„Desiree wird die Norm für die Jugend-DM in der Halle schaffen und dort sicherlich nicht Letzte werden“, sagt Olaf Hilker. Für den Sommer ist – sofern die Rückbildung nach Plan läuft – ein Start bei der U20-EM in Rieti (Italien) angepeilt.
Viel Unterstützung
Momentan deutet alles darauf hin, als könne Desiree Singh das Ziel erreichen. Schließlich wurde schon vor der Geburt vieles organisiert, damit die Stabhochspringerin wieder in den Leistungssport zurückkehren kann. So kann sie die 11. Klasse auf dem Detmolder Grabbe-Gymnasium auf zwei Jahre strecken und kommt somit nur auf 18 Wochenstunden. Wenn alles planmäßig läuft, wird sie dann 2015 ihr Abitur machen.
Außerdem wird ihre Tochter in der Schule betreut. „Die Tagesmutter ist für die Kinder der Lehrerinnen da. Aber Emma konnte auch mit in die Gruppe, sodass ich sie auch in der Schule stillen kann“, beschreibt Desiree Singh ihren Tagesablauf.
Kurze Nächte
In den vergangenen Wochen ließ Emma sie sogar gelegentlich durchschlafen. Im Normalfall ist die Nacht aber um fünf Uhr vorbei, ab und an auch früher. Wenn es doch mal solche Tage gibt, an denen nicht viel läuft, kann sich Olaf Hilker auf seinen Schützling verlassen: „Desiree weiß genau, wie weit sie im Training gehen kann und wann es nicht geht. Sie hat ein wahnsinniges Körpergefühl.“
So gehen die Planungen des Duos schon deutlich über das Jahr 2013 heraus. Sogar eine Chance auf die Olympia-Qualifikation 2016 sieht Olaf Hilker für Desiree Singh und sein zweites Stabhochsprung-Talent Lilli Schnitzerling (Bestleistung: 4,30 m). „Sie wären dann 21 und 22 Jahre alt. Da käme Olympia zwar noch superfrüh, aber beide haben die Möglichkeiten“, sagt er offen.
Kleine Schritte
Im Herbst 2012 stehen aber erst kleine Schritte auf dem Weg zurück an. Ganz langsam soll das Trainingspensum erhört, weitere Übungen integriert werden. Wieder voll belastbar wird Desiree Singh aber wohl erst in der Sommervorbereitung sein. Doch in einem ist sich Olaf Hilker sicher: „Der deutsche Stabhochsprung wird noch viel Freude an Desiree haben.“
Schließlich haben schon unter anderem die Weitspringerinnen Heike Drechsler und Bianca Kappler, die Marathonläuferinnen Irina Mikitenko, Susanne Hahn und Paula Radcliife, die Geherinnen Sabine Krantz und Melanie Seeger oder die belgische Tennis-Queen Kim Clijsters gezeigt, dass Mütter im Sport noch besser sind als vor der Geburt ihres Kindes.