Deutsche Sprinter so schnell wie nie
So schnell waren die deutschen Sprinter in der Breite wohl noch nie. 10,07 und 10,08 Sekunden liefen Martin Keller (LAZ Leipzig) und Julian Reus (TV Wattenscheid 01) am vergangenen Freitag in Weinheim. Nur der Magdeburger Frank Emmelmann war vor 28 Jahren schneller. Eine Ausgangsposition, die Hoffnung auf die Staffel bei der Weltmeisterschaft in Moskau (Russland) macht.

„Die Bedingungen in Weinheim waren natürlich perfekt“, sagt Stein, weiß aber auch: „Wenn du es aber nicht drauf hast, läufst du auch bei perfekten Bedingungen solche Zeiten nicht.“ Zumal nicht einmal alle Sprinter zufrieden waren. Während Martin Keller selbstbewusst im Ziel verkündete, „ich wusste schon die ganze Saison, dass ich das laufen kann“, haderte der Deutsche Meister Reus mit seinem Auftritt. „Da habe ich dieses Jahr schon bessere Rennen gezeigt.“ Nicht bezogen auf die Zeit, denn die war die schnellste, die er je gelaufen ist, aber die Rennaufteilung sei nicht optimal gewesen. „Ich bin hinten total verkrampft gelaufen; das darf mir in Moskau nicht passieren.“
"Betriebsunfall" in London
Wenn nach einem verkrampften Lauf 10,08 Sekunden bei der WM herausspringen, ist das objektiv betrachtet aber noch ziemlich gut zu verschmerzen. Nicht zu verschmerzen wäre allerdings ein ähnlicher Staffelauftritt, wie der beim Diamond League Meeting in London (Großbritannien), wo das Quartett den Staffelstab gar nicht erst ins Ziel brachte.
„Ein Betriebsunfall“, nennt Roland Stein diesen verpatzten Lauf. Der Fehler sei jedoch ganz einfach zu beheben. Die Zauberformel: „Auf die richtige Markierung schauen.“ Sven Knipphals hatte sich, auf Position zwei startend, fälschlicherweise an der Markierung des Franzosen Christophe Lemaitre orientiert und war so schlichtweg zu früh los gelaufen. „Besser so etwas passiert in London als bei der WM in Moskau“, sagt Stein und glaubt, „das war ein guter Warnschuss für uns“.
Ein Warnschuss, der aber auch dazu führte, dass die Staffel deutlich defensiver als im vergangenen Jahr bei der WM-Verabschiedung in Weinheim auftrat. „Wir haben nur auf Sicherheit gewechselt“, sagt Stein. Ein deutscher Rekord, so wie im Vorjahr, der sei von Anfang an nicht das Ziel gewesen. Dabei sind sich Trainer und Athleten einig: Unter 38 Sekunden – das ist möglich.
„Wenn wir die jetzige Form die kommenden zwei Wochen aufrechterhalten, und davon gehe ich aus, dann ist in Moskau ein neuer deutscher Rekord drin“, sagt Roland Stein. Und auch die Athleten selber sind selbstbewusst: „Unsere Einzelleistungen sind so stark, da muss eine 37er-Zeit bei rausspringen“, glaubt Julian Reus.
Lohn für hartes Training
Der Grund für die starken Einzelleistungen? „Wir haben in der letzten Woche in Kienbaum noch einmal richtig hart gearbeitete“, sagt Stein. Und nicht nur da. Schon das ganze Jahr über trainiert das Team kontinuierlich zusammen, bereitete sich etwa vor der Saison im us-amerkanischen Clermont auf den WM-Sommer vor. „Unser Trainerteam hat im Winter viel analysiert“, verrät Reus. Nicht nur die deutschen Athleten, sondern vor allem den Sprintstil der ausländischen Teams. „Sprint ist ja viel mehr als einfach nur geradeaus rennen“, sagt Reus.
Auf die Technik komme es an, Feinheiten, die dem Laienauge gar nicht auffallen, die aber die entscheidenden Hundertstel sein können. „Das ist ein Wissenschaft für sich“, sagt Reus. Zwar könne man die Technik anderer Athleten nicht eins zu eins kopieren, sich aber doch einige dieser Feinheiten abschauen. Ganz konkret haben die deutschen Athleten nach der Analyse verstärkt am Fußaufsatz und am Winkel zwischen Oberschenkel und Wade gearbeitet, um so möglichst viel Kraft in Schnelligkeit umzumünzen. „Das klingt jetzt kompliziert, hat aber echt was gebracht“, sagt Reus.
10,14 Sekunden im Schnitt
Offenbar, denn nachdem bei der letzten WM in Daegu (Südkorea) gar kein 100-Meter-Sprinter für einen Einzelstart nominiert wurde, starten in diesem Jahr mit Keller und Reus gleich zwei Athleten über 100 Meter in Moskau. Und auch in der Dichte waren die deutschen Top-Sprinter noch nie so stark wie im Moment. Der Schnitt der vier besten deutschen Sprinter in diesem Jahr ergibt starke 10,14 Sekunden. Es gab Zeiten, 2011 etwa, da lief nicht ein einziger deutscher Sprinter im ganzen Jahr so eine Zeit. Während die Ziele angesichts des internationalen Niveaus über die Einzelstrecke dennoch überschaubar sind (Reus: „Ich will ins Halbfinale“), schrauben sich die Erwartungen angesichts der zuletzt gezeigten Leistungen in die Höhe.
„Die derzeit guten Einzelzeiten müssen wir in der Staffel ausnutzen“, formuliert Bundestrainer Stein es noch vorsichtig. Julian Reus sagt: „Wenn wir es ins Finale geschafft haben, können wir in unserer derzeitigen Form vorne mitmischen, ohne auf einen Ausfall der anderen Mannschaften hoffen zu müssen.“ Und Martin Keller bringt es auf den Punkt: „Vielleicht holen wir ja Bronze.“
Hinter Jamaika alles offen
Ganz vorne, da laufen in der Staffel die Jamaikaner und US-Amerikaner. „Da brauchen wir gar nicht hinzuschauen, das ist ja utopisch“, sagt Roland Stein. Aber dahinter, da lauern neben den Teams aus Frankreich, Trinidad und Tobago oder auch Großbritannien und Kanada auch die Deutschen auf ihre Medaillenchance.
Die 38,13 Sekunden, die das DLV-Team am Freitagabend bot, sind die derzeit drittschnellste Nationalstaffel-Zeit der Welt. „Das heißt noch gar nichts“, warnt Roland Stein. „Einige Staffelteams haben sich noch gar nicht gezeigt.“ Das werden sie wohl jetzt auch erst im WM-Vorlauf tun. „Genau deshalb müssen wir schon da an unsere Grenze gehen“, sagt Reus. Und die liegt unterhalb der 38-Sekunden-Marke.
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