Mehdi Baala will die Krone von Hicham El Guerrouj
Der König hat abgedankt. Die Thronfolger streiten sich um sein Erbe. Hicham El Guerrouj, der viermalige Weltmeister über 1.500 Meter, gönnt sich eine Auszeit und gibt die Mittelstrecken-Krone kampflos her. Wer wird seine Nachfolge antreten? Wenn heute Abend die Halbfinals im Olympiastadion von Helsinki um 19.05 Uhr gestartet werden, rechnet sich einer seiner besten Freunde große Chancen aus: Mehdi Baala.
Mehdi Baala hat in Helsinki Großes vor (Foto: Kiefner)
Der Vize-Weltmeister von 2003, dessen Duell mit Hicham El Guerrouj das "Stade de France" in einen wahren Hexenkessel verwandelt hatte, will die Regentschaft an sich reißen.Mehdi Baala kann sich nicht vorstellen, dass Hicham El Guerrouj, mit dem er sich bei aller Rivalität prima versteht, noch einmal auf die Laufbahn zurückkehren wird. "Wenn man an den Druck denkt, der bei jedem Rennen auf seinen Schultern lastet, wäre ich nicht überrascht, wenn er sehr bald seine Karriere beenden würde", erklärte der 26-jährige Franzose.
"Außerdem ist Hicham längst nicht mehr so motiviert wie früher." Denn das fulminante Double bei den Olympischen Spielen in Athen, wo er erst über 1.500 Meter und dann auch über 5.000 Meter triumphierte, habe ihn satt gemacht.
Feuerwerk in Helsinki
Nach dem Verzicht des Abonnementsiegers aus Marokko und dem Fehlen von Bernard Lagat, der die kenianische mit der us-amerikanischen Staatsbürgerschaft eingetauscht hat, sind seine Aktien rapide in die Höhe geschnellt. "Dennoch wäre es mir lieber gewesen, wenn Hicham hier in Helsinki laufen würde", meinte Mehdi Baala und sagte auch warum: "Einerseits wäre ein Erfolg in seiner Anwesenheit mehr wert. Andererseits weiß ich aus Erfahrung, wie sich ein Rennen mit ihm gestalten würde, so dass man sich taktisch darauf einstellen könnte."
Das Strickmuster sei immer wieder gleich gewesen. "Hicham hat stets das Zepter in die Hand genommen", erinnerte sich Mehdi Baala an die vergangenen Jahre, "du wusstest genau, dass er nach 700 Metern Gas geben und man ihn nicht wiedersehen würde." Ohne ihn sei alles offen. "Es wird ein Feuerwerk geben", schaute er bereits aufs Finale am Mittwochabend, "doch keiner weiß, wann und wie es gezündet wird."
Dritte WM
Für den Mann aus Straßburg ist es die dritte WM-Teilnahme. Rar gemacht hat er sich in dieser Saison. Nur zweimal durften ihn seine Fans, die gerade in Frankreich zahlreich vertreten sind, live in Aktion bewundern. Leicht gewann Mehdi Baala die 1.500 Meter bei den Landesmeisterschaften. Locker lief er in Oslo mit 3:30,80 Minuten die zweitbeste Zeit seiner Karriere. Andere Kadetten hatten sich bereits im Vorfeld ausgepowert. Wie der Kenianer Daniel Komen Kipchirchir, der sich in Helsinki trotz einer Bestleistung von 3:30,01 Minuten sang- und klanglos verabschiedet hat.
Aufs Treppchen will Mehdi Baala. Am liebsten möchte er auf der obersten Stufe thronen wie anno 2002 im Münchner Olympiastadion, als gegen sein Finish bei den Europameisterschaften kein Kräutlein gewachsen war. "Na klar träume ich von einer Medaille, aber weit schwieriger ist der Weg dahin." Da kennt er sich aus. "Schon oft sind vermeintliche Favoriten in den Vorläufen oder im Halbfinale rausgeflogen", erzählte er, "das Finale ist vergleichsweise einfach."
Mehdi Baala hat dann nämlich noch Energiereserven satt und genug, weil er in diesem Sommer penibel wie ein Buchhalter mit seinen Kräften hausgehalten hat.