Deutscher Medaillenregen und Sensationen
Mit einem sensationellen Europarekord von 8,71 Metern schockte Sebastian Bayer die Leichtathletik-Welt fast im Stile des 8,90-Meter-Springers Bob Beamon 1968 in Mexiko City (Mexiko). Als das dritte deutsche Gold der Hallen-EM von Turin (Italien) feststand, setzte der Bremer Weitspringer am Sonntag alles auf eine Karte und flog bis auf acht Zentimeter an den 25 Jahre alten Hallen-Weltrekord von Carl Lewis (USA; 8,79 m) heran.
Dabei steigerte er die 1999 aufgestellte Europa-Bestmarke des Spaniers Yago Lamela um 15 Zentimeter. „Das ist unfassbar für mich. Ich habe gleich gemerkt, dass ich weit über die 8,29 Meter hinaus geflogen bin, mit denen mein Sieg feststand. Aber diese Weite hatte ich nicht für möglich gehalten“, meinte der 22 Jahre alte Zeitsoldat, der mit einer Bestleistung von 8,17 Metern angereist war.Sebastian Bayer setzte den Schlusspunkt nach drei deutschen Siegen und insgesamt zehn Medaillen, mit denen Deutschlands Leichtathleten bei der Hallen-EM in Turin ihr Image aufpolierten.
Sieben Monate nach der Olympiapleite mit nur einmal Bronze in Peking (China) weckte das Team Optimismus vor der Heim-WM in Berlin (15. bis 23. August). „Auch dort wollen wir nach diesem großen Erfolg von Turin zeigen, dass die deutsche Leichtathletik lebt“, meinten die neuen Cheftrainer Herbert Czingon und Rüdiger Harksen unisono und konnten den Riesensatz des Leverkusener Weitspringers auch nicht fassen. Dahinter holte der Leverkusener Nils Winter mit starken 8,22 Metern Silber.
So gut wie schon lange nicht mehr
Deutschlands weibliche Heldin am furiosen Schlusstag im Oval Lingotto war die Frankfurter Hochsprung-Siegerin Ariane Friedrich (2,01 m). Bronze holten Kugelstoßer Ralf Bartels (SC Neubrandenburg) mit 20,39 Metern, Stabhochspringer Alexander Straub (LG Filstal; 5,76 m) und Sprinterin Verena Sailer (MTG Mannheim) in 7,22 Sekunden über 60 Meter.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) gewann erstmals seit Valencia (Spanien) 1998 (5-4-3) mehr als ein Gold bei einer Hallen-EM. Damals hatte es zuletzt auch mehr als acht Mal Edelmetall gegeben. 2007 in Birmingham (Großbritannien) waren es nur vier Medaillen gewesen (1-1-2).
„Wahnsinn, ich kann es noch gar nicht glauben. Am Montag war es für mich eine emotionale Katastrophe gewesen, als ich mit einer Halsentzündung aufwachte. Doch es hat sich täglich gebessert und beim Einspringen war ich dann so gut wie nie“, sprudelte es aus Ariane Friedrich heraus, die ihren 18. Wettkampf mit einer 2-Meter-Höhe absolvierte. Ungläubig hatte die Olympia-Siebte das Scheitern von Kroatiens Weltmeisterin Blanka Vlasic erlebt, die mit 1,92 Metern nur Fünfte wurde und hinterher über technische Probleme klagte.
Grundstock war gelegt
Die deutsche Sensation war jedoch der Männer-Weitsprung. Gleich im ersten Anlauf schockte Sebastian Bayer (Bremer LT) die Konkurrenz, als er mit 8,29 Metern deutschen Hallenrekord sprang. Der gebürtige Aachener verbesserte den 20 Jahre alten deutschen Hallenrekord von Ex-Europameister Dietmar Haaf aus Kornwestheim um vier Zentimeter. Völlig überraschend zog dann Nils Winter mit 8,22 Metern nach.
Grundstock für den Erfolg waren an den beiden Vortagen die Medaillendoubletten mit Gold/Silber im Kugelstoßen durch Petra Lammert (SC Neubrandenburg) und Denise Hinrichs (TV Wattenscheid 01) sowie Silber/Bronze im Stabhochsprung von Silke Spiegelburg (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Anna Battke (USC Mainz). Alle vier erzielten persönliche Hallen-Bestleistungen, Silke Spiegelburg mit 4,75 Metern sogar einen deutschen Hallenrekord.
Über die zehn Medaillen hinaus errangen die 33 in Einzel-Disziplinen gestarteten deutschen Athleten neun Finalplätze (Rang vier bis acht). Zehn blieben in der ersten Runde auf der Strecke, darunter auch Stabhochspringer Danny Ecker (TSV Bayer 04 Leverkusen), der wie alle sieben gestarteten EM-Titelvereidiger scheiterte.
„Mit zehnmal Erstrunden-Aus können wir bei genau so viel Medaillen leben“, meinte Herbert Czingon, der als Cheftrainer im Sprung/Wurf/Mehrkampf-Bereich auch glaubt: „Die bedrückte Stimmung nach Peking ist weg.“
Der seit Olympia für den Lauf verantwortliche Cheftrainer Rüdiger Harksen sah „neuen Spirit, mehr Licht als Schatten“ und wertete es positiv, dass es in acht der 24 Einzel-Disziplinen deutsche Jahresbestmarken gab und gleich viele Athleten persönliche Bestmarken aufstellten. Nur einen Platz hinter den Medaillen blieben Wolfram Müller (LG Asics Pirna) im 1.500-Meter-Finale und die 4x400-Meter-Staffel der Männer.
Kriechend ins Ziel
Über 800 Meter überraschte am Sonntag die Britin Marilyn Okoro die Konkurrenz mit einer frühen Attacke, für die sie am Ende so sehr bezahlte, dass sie zwei Meter vor dem Ziel, inzwischen auf Platz vier durchgereicht, stürzte und die Linie nur noch auf allen Vieren überquerte.
Mariya Savinova, die in 1:58,10 Minuten mehr als eine Sekunde schneller war als alle anderen Mittelstrecklerinnen bislang in diesem Winter, und Oksana Zbrozhek (1:59,20 min) sorgten für einen bemerkenswerten russischen Doppelsieg. Elisa Cusma Piccione, als Mitfavoritin angetreten, konnte mit Ach und Krach für das Gastgeberland noch Bronze erkämpfen (2:00,23 min).
Yuriy Borzakovskiy souverän
Im Männer-Finale ließ auch Athen-Olympiasieger Yuriy Borzakovskiy für die russische Mannschaft nichts anbrennen. Der 27-Jährige kontrollierte im Wissen um seine Stärke das Geschehen und kam so in 1:48,55 Minuten zu einem ungefährdeten Sieg. Es war sein zweiter Hallen-EM-Titel nach dem Sieg vor neun Jahren in Gent (Belgien).
Die gebürtige Äthiopierin Alemitu Bekele, im letzten Jahr Olympia-Siebte über 5.000 Meter, entschied die 3.000 Meter in ähnlich überzeugender Manier für sich. Die bereits 31-Jährige, die schon vor elf Jahren in der Türkei eingebürgert worden war, arbeitete sich bei ihrem ersten internationalen Meisterschaftscoup zu einem neuen Hallen-Landesrekord von 8:46,50 Minuten. Die mitfavorisierte Russin Anna Alminova, tags zuvor über 1.500 Meter siegreich, lief als Sechste (8:51,36 min) deutlich am doppelten Gold vorbei.
Die osteuropäische Glücksträhne, es war das dritte Gold für Russland binnen zwanzig Minuten nach den beiden 800-Meter-Siegen, führte im Dreisprung Anastasiya Taranova-Potapova fort. Die 23-Jährige, im Nachwuchsbereich bereits auf internationaler Bühne erfolgreich, kam nun zu ihrem ersten Titel bei den Frauen. Mit 14,68 Metern einer Steigerung ihrer persönlichen Bestweite um einen Zentimeter, wies sie die slowenische Hallen-WM-Dritte Marija Sestak (14,60 m) in die Schranken.
mit Material des Sport-Informations-Dienstes
Die Resultate finden Sie in unserer Ergebnisrubrik…