Die falsche Lust an der Last
Hanteln, Manschetten, Bleiwesten. Es gibt viele Möglichkeiten, mit Zusatzgewichten zu laufen. Aber werden Läufer davon schneller und ausdauernder? Unser Experte Dr. Stefan Graf rät, beim Laufen auf zusätzliche Kilos zu verzichten.
Früher galt dies als Markenzeichen der so genannten Schleifer unter den Fußballtrainern: Sie ließen ihre Spieler mit kiloschweren Bleiwesten kreuz und quer über den Rasen rennen. Aus den mittlerweile sehr wissenschaftlich ausgerichteten Laufprogrammen der Fußballprofis ist der bleierne Ballast weitgehend verbannt. Mit Widerstandsbändern und Partnerübungen haben Bundestrainer Joachim Löw und Co. effektivere und gesündere Methoden zur Hand.Unbeeindruckt von dieser Entwicklung begegnet man immer wieder Joggern, die ihrem Training durch das Mitführen zusätzlichen Ballastes den entscheidenden Effektivitätskick verpassen wollen. Mit Gewichtsmanschetten an Handgelenken und Knöcheln, Gymnastik-Hanteln oder Gewichtswesten keuchen sie durch Wälder und Parks.
Der gestresste Manager will Zeit sparen, indem er sein Krafttraining gleich in die Ausdauereinheit einbindet. Der „Diätläufer“, der mit dem Laufen abnehmen will, erhofft sich eine Steigerung des Kalorienverbrauches. Der ambitionierte Wettkampftyp erwartet einen Kraftzuwachs, der sich im nächsten Rennen in höheres Lauftempo umsetzen lässt. Alle wollen ihr Training intensivieren und effektiver gestalten, ohne mehr Zeit dafür aufwenden zu müssen. Realistisch sind diese Hoffnungen nicht. Das Laufen mit Gewichten birgt sogar Gefahren.
Vom Orthopäden gibt‘s ein Nein
Wer zu viel natürlichen Ballast an Bauch und Hüfte mit sich herumschleppt, setzt seine Gelenke beim Laufen bereits permanent erhöhten Belastungen aus. Da mutet es fast schon paradox an, jenen durch Gewicht provozierten Gefahren mit weiterer, unnatürlicher Zuladung begegnen zu wollen.
Jedes Kilo belastet besonders die drei großen Gelenke der unteren Extremität übermäßig. Hüfte, Knie und Sprunggelenk müssen schon beim normalen Joggen Kräften standhalten, die dem Fünf- bis Sechsfachen des Körpergewichtes entsprechen. Da bekommt jedes weitere Gramm Relevanz. Der wie ein Stoßdämpfer wirkenden Gelenkknorpel wird beschädigt, Knochensubstanz kann abgebaut werden und langfristig entstehen irreparable Arthrosen. Darunter versteht man den weit über die normale, altersgemäße Abnutzung hinausgehenden Verschleiß - eine außerordentlich schmerzhafte Angelegenheit.
Das Joggen mit leichten Zusatzgewichten muss zwar nicht gleich zum Schlimmsten führen, aber aus orthopädischer Sicht ist das Joggen mit Hantel & Co. nicht empfehlenswert.
Der Laufstil verschlechtert sich
Die meisten Manschetten-, Hantel- oder Westenträger sind sich nicht darüber bewusst, wie stark sich ihr Laufstil durch die zusätzliche muskuläre Belastung verändert. Mit Gewichten an Armen, Beinen oder Oberkörper läuft fast jeder unrund. Die Folge: Verspannungen der Muskulatur treten auf, die meist auch nach dem Training noch zu spüren sind. Was von vielen Läufern als Zeichen für besondere Effektivität des Trainings gedeutet wird, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer gestörten Koordination zwischen den einzelnen Muskelgruppen. Das schadet der Ökonomie und senkt die Laufleistung.
Unnatürliche Gewichte begünstigen einen unnatürlichen Laufstil, der nach längerfristiger Verfestigung nur schwer zu korrigieren ist und dauerhafte Beschwerden am Bewegungsapparat nach sich ziehen kann. Besonders Anfänger sollten daher auf das Gewichtsjoggen verzichten.
Kein Ersatz fürs Krafttraining
Aber lässt sich dann wenigstens Kraft und Lauftraining zeitsparend kombinieren, wenn Läufer Manschetten anlegen oder Kurzhanteln in die Hände nehmen? Die Wissenschaft liefert ernüchternde Erkenntnisse: Beim Laufen mit Gewichten wird so gut wie kein zusätzlicher Muskelaufbaueffekt erzielt. Es kann nie ein ergänzendes, auf die Anforderungen des Laufsports abgestimmtes Krafttraining ersetzen.
Noch nicht einmal der Energieverbrauch wird wesentlich gesteigert. Fazit: Weder der stressgeplagte Manager noch der diäterfahrene Abnehmwillige oder der leistungsorientierte Finisher werden ihren individuellen Zielen näher gebracht, wenn sie mit Gewichten durch den Wald oder den Park rennen.
Ein wichtiges Argument gegen den Einsatz von Zusatzgewichten beim Laufen ist die Belastungsdauer: Wenn Boxer oder Fußballspieler einzelne Übungen mit Gewichten ausführen, dauern die unphysiologischen Belastungen höchstens ein paar Minuten. Ein ein- oder eineinhalbstündiger Lauf mit Gewichten birgt erheblich höhere Risiken als Training mit Zusatzgewichten in den Kampfsportarten, wo diese Methoden ihren Ursprung haben.
Weiteres Gefahrenpotenzial
Tabu sind solche Läufe für Kinder und Jugendliche. Aufgrund der noch nicht geschlossenen Wachstumsfugen - das sind knorpelige Verbindungen zwischen Knochenendstücken, von denen das Knochenwachstum ausgeht - besteht hier ein gesundheitliches Risiko.
Ihre Hanteln und Manschetten müssen Sie aber trotz dieser Erkenntnisse nicht einmotten. Nutzen Sie die doch einfach für ein separates Kräftigungstraining mit speziellen Übungen, das sie mindestens einmal wöchentlich in ihren Trainingsplan einbauen. Mit ausgereiftem Zeitmanagement sollte das auch dem viel beschäftigten Businessman gelingen.
Und beim Laufen gibt es jede Menge Möglichkeiten, das Training intensitätssteigernd aufzupeppen: Tempowechsel, Steigerungsläufe, der Anstieg auf den Hausberg oder Laufen gegen den bremsenden Widerstand des Partners sind nur einige Beispiele. Der Kreativität sind hier kaum Grenzen gesetzt - nur natürlich sollte die Bewegung bleiben. Denn wer will sich schon seinen sauberen, auf unzähligen Trainingskilometern erworbenen Laufstil verunstalten?
7 gute Gründe, um auf das Laufen mit Zusatzgewichten zu verzichten • keine Zeitersparnis, da Kräftigungs- und Ausdauertraining nicht in einem erledigt werden können • kaum erhöhter Kalorienverbrauch • hohe Belastung für Gelenke • Verschlechterung des Laufstils • Verspannungen der Muskulatur • weder der Kraftzuwachs noch der Energieverbrauch wird wesentlich gesteigert • Gefahr von Überlastungsschäden und Fehlstellungen |