Die Griechen freuen sich schon auf Susen Tiedtke
Sie wäre die Bestbesetzung als Weihnachtsengel, doch schauspielerische Ambitionen hegt sie momentan nicht. Stattdessen hat die deutsche Leichtathletik eine ihrer schillerndsten Figuren wieder. Susen Tiedtke (34) trainiert für Olympia und will 2004 im Weit- und Dreisprung antreten.
Susen Tiedtke will die Leichtathletik-Szene wieder bereichern (Foto: Schröder)
Als der fünffache Diskusweltmeister Lars Riedel zu Dreharbeiten für das DSF-Olympiamagazin "Zürich Sports - Auf dem Weg nach Athen" in der griechischen Hauptstadt weilte, lag den Kameramännern Lambros Govatzis und Vassilis Mourikis eine Frage besonders am Herzen: Ob die schöne deutsche Weitspringerin, die sie von der WM 1997 in Athen kennen, bei den Olympischen Spielen 2004 wieder antreten wird?So wie es aussieht, erfüllt sich dieser Wunsch. Susen Tiedtke springt wieder und peilt mit großem Enthusiasmus ihre dritte Olympia-Teilnahme nach 1992 (8. Platz) und 2000 (6. Platz) an. Die in Alzey wohnende Berlinerin schloss sich kurz vor Ende der Wechselfrist im November der LG Eintracht Frankfurt an und plant für 2004 sogar einen Doppelstart im Weit- und im Dreisprung.
Gefühl einer 29-jährigen
Nachdem sie ein Jahr lang "gar keinen Sport gemacht" hatte und sich nicht mal zum Joggen aufraffen konnte, ist die fast 35-Jährige, die sich "höchstens 29 fühlt", mittlerweile motiviert wie selten zuvor. In der Adventszeit legt sie vorbeugend sogar einige Extraeinheiten ein, "denn an den Feiertagen isst man ja doch ein bisschen mehr."
Noch 2002 habe sie beim Weitsprung nicht mehr gewusst, was das alles soll, und ihre Karriere für beendet erklärt. "Ich habe richtig regeneriert", sagt sie über ihre sportliche Auszeit, in der sie als Hot-Dog-Verkäuferin in der Würstchenbude ihres Freundes Alexander für kleine Schlagzeilen in der Rubrik "Was macht eigentlich?" sorgte.
Nun steht der Sport wieder im Vordergrund und sie fühlt sich "besser als je zuvor." In Sachen Ernährung legt die Hobby-Köchin großen Wert auf Gesundheit. Anfang Dezember präsentierte sie in Essen ihre Partnerschaft mit "Natura Vitalis", einem Hersteller naturreiner Nahrungsergänzungsprodukte.
Viel Spaß beim Training
Die 1,74 m große und 56 kg leichte Sportlerin hat "total viel Spaß beim Training" und plant bereits ihre Freiluftsaison, die sie in Südafrika beginnen wird. "Gleich im März will ich die Olympia-Normen springen, um den Ballast weg zu haben." 6,70 Meter sind im Weitsprung gefordert, 14,20 im Dreisprung.
An die Leichtathletik-WM 1997 in Athen kann sie sich noch bestens erinnern und auch deshalb freut sie sich auf Olympia. "Das ganze Stadion stand Kopf, wenn ich angelaufen bin." Was arrogant klingen könnte, ist bei ihr bloße Beschreibung. "In Griechenland hatte ich immer viele Fans. Das liegt wohl an meinen blonden Haaren." Mit 6,78 Metern wurde sie damals Sechste, doch mehr Jubel als die blonde Susen bekam nur Niki Xanthou, die griechische Silber-Gewinnerin. So war das meistens. Susen Tiedtke gewann zwar keine Medaille, aber die Herzen des Publikums und Ehrentitel wie "Miss Leichtathletik" oder "schönste Sportlerin der WM".
Kein Wunder, dass sie von der Playboy-Redaktion jahrelang Angebote für Nacktfotos bekam. "So was mache ich nie im Leben", sagte sie stets, um es dann doch irgendwann zu machen. Im August 2001, sie lebte damals nach ihrer gescheiterten Ehe mit dem US-Weitspringer Joe Greene schon im beschaulichen Alzey, kam das Magazin mit Susen als Covergirl auf den Markt. "Zwei Tage lang hab ich mich nicht aus dem Haus getraut." Heute freut sie sich, wenn mal wieder jemand mit dem Heft in der Hand um ein Autogramm bittet.
Eleganz auf der Laufbahn
Kritiker warfen ihr oft vor, die Laufbahn mit dem Laufsteg zu verwechseln. Dem hält sie entgegen, "dass es einfach nur eleganter aussieht, wenn ich anlaufe." Das liegt an ihrer Vergangenheit als Kunstturnerin. Da lernt man, sich anmutig zu bewegen. Sie war 1982 mit 13 Jahren jüngste DDR-Meisterin aller Zeiten im Schwebebalken und 1984 gehörte sie als Turnerin zum Olympiaaufgebot. Der Boykott kam dazwischen, doch bei den Ersatz-Spielen der Ostblockstaaten gewann sie mit der DDR-Riege die Bronzemedaille. Nach Susen Tiedtkes Zählweise war das übrigens ihre erste Olympiateilnahme.
Als sie zu groß wurde - "mit 1,69 Metern habe ich aufgehört" - und nicht mehr an die Geräte passte, wechselte sie zur Leichtathletik, probierte sich im Stabhochspringen, und wurde schließlich Weitspringerin. Von 1991 bis 2000 gehörte die langbeinige Blondine in dieser Disziplin zu den Top Ten der Welt – wobei ihr die besten Jahre genommen wurden, wie sie im Rückblick bedauert.
Ab Mai 1995 war sie zwei Jahre wegen Dopings gesperrt. Minimale Mengen eines anabolen Stoffes seien bei ihr gefunden worden. Als Susen Tiedtke gegen die Sperre klagte, sei die Urinprobe verschwunden gewesen, das Beweismittel vernichtet. Auf den Deutschen Leichtathletik Verband (DLV) war sie damals nicht besonders gut zu sprechen.
Ziel: Medaille
Heute freuen sich alle über ihr Comeback. DLV-Mediendirektor Peter Schmitt findet es "eine dolle Sache, dass Susen wieder da ist". In der mitunter grauen Leichtathletik-Landschaft ist jeder Farbtupfer willkommen: "Sie ist auf jeden Fall eine öffentlichkeitswirksame Erscheinung." Doch er schränkt auch ein: "Die Optik ist sehr schön, aber die Leistung ist wichtiger."
Susen Tiedtke weiß das, und hat sich fest vorgenommen, in Athen auch sportlich für Furore sorgen: "Diesmal will ich eine Medaille." Es wäre eine Art nachträgliches Geschenk.
Ansonsten hat sie für Weihnachten, das sie gemütlich im Kreis der Familie feiern wird, "keine speziellen Wünsche". Sollte es mit der Medaille nicht klappen, wäre es aber auch nicht so tragisch - Lambros Govatzis und Vassilis Mourikis werden sie dennoch mit ihren Kameras ins Visier nehmen.