| Porträt

Die Prüfers und ihre Silbersträhne

Zwei Brüder. Zwei Wurfgeräte. Zwei internationale Silbermedaillen 2014. „Silber ist die Prüfer-Farbe“, sagte Clemens Prüfer nach Rang zwei im Diskuswurf bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing (China). Sein älterer Bruder Henning wurde drei Wochen zuvor in Eugene (USA) U20-Vizeweltmeister mit der schwereren Scheibe. Ihr Weg nach oben führte sie von Mühl Rosin über Neubrandenburg nach Potsdam – eine schicksalhafte Schwerpunktverschiebung von Kugel auf Diskus.
Pamela Ruprecht

Zweimal gemeinsam auf dem Podium standen die Prüfers im vergangenen Jahr bei der Jugend-DM in Rostock. Henning bei der U18 auf Kugel-Gold und Diskus-Silber, Clemens, der jüngere Prüfer, jeweils einen Rang dahinter. Diese Saison waren die beiden Werfer in unterschiedlichen Altersklassen unterwegs. Ein Jahr sind sie auseinander, 2014 gingen sie getrennt auf Medaillenjagd und holten international zweimal Silber.

Clemens Prüfer lauschte bei der Jugend-Olympiade als Zweiter der chinesischen Hymne. Das Ziel war Gold, zufrieden ist er dennoch über die erste große Medaille: „Mein Höhepunkt bisher.“ Bruder Henning gewann zuvor bei den U20-Weltmeisterschaften Silber. Bei der Siegerehrung hörte er kroatische Klänge.

„Es ist ein guter Anfang, seine Karriere mit einer Medaille zu starten. Ich habe das auch so gemacht“, sagt Henning zum Erfolg seines Bruders. Die Silber-Historie der Prüfers reicht nämlich noch weiter zurück. 2013 wurde Henning U18-Vizeweltmeister mit der Kugel und dem Diskus.

Diskusschmiede Potsdam

National sind die beiden im Diskuswurf in dieser Saison die Nummer eins. Mit der Kugel liegen die Neubrandenburger Merten Howe und Patrick Müller in der Jahresbestenliste vor ihnen. Wenngleich Clemens Prüfer den Jugend-Olympia-Dritten Howe, seinen Zimmerkollegen von Nanjing, bei den nationalen Titelkämpfen in Wattenscheid schlagen konnte. Grundsätzlich aber deutet sich an: Neubrandenburg ist das Kugelstoßzentrum, aus dem ursprünglich auch die Prüfers kommen. Bis sie einer nach dem anderen nach Potsdam wechselten.

Henning zog es 2012 zum Diskus-Nachwuchsbundestrainer Jörg Schulte. Den Trainer in der alten Heimat, Torsten Schmidt, musste er zu diesem Zeitpunkt ohnehin verlassen, weil er in die Jugendklasse aufrückte. Warum also nicht gleich zu mehreren Experten? Denn Jürgen Schult, Bundestrainer der Männer, weilt ebenso in Potsdam. Clemens folgte ein Jahr später den Spuren des Bruders. Seine Beweggründe: „Ich wollte den gleichen Weg wie Henning gehen. Die Technik, die in Neubrandenburg trainiert wird, ist meiner Meinung nach nicht die, die ein Mann beim Diskuswerfen braucht.“

Zimmerkollegen, die sich pushen

Im männlichen Bereich sieht er dort mehr die Kugel-Basis. Die Prüfers zieht es aber zum Diskus. Neue Impulse in der Technik machen sich bemerkbar. Vieles, was Jörg Schulte lehrt, ist schon angekommen, alles nicht. „Teilweise habe ich mich verbessert“, meint der Jüngere. Mit Kristin Pudenz, Dritte bei den Deutschen U23-Meisterschaften, bilden sie eine kleine Trainingsgruppe. Die Brüder spornen sich gegenseitig an und leben zusammen in einem Zimmer des Sportinternats.

Wenn man Clemens Prüfer fragt, wann er mit der Leichtathletik begonnen hat, kommt ein „Puh!?!“, als gehöre dieser Sport schon immer zu seinem Leben. Seit der 1. Klasse ist er dabei, reiner Werfer ist er seit der M15. Als 14-Jähriger ist er im Rahmen des Blockwettkampf Wurfs 6,22 Meter weit gesprungen. Die Kraft in den Beinen kann er fürs Kugelstoßen gebrauchen - die Disziplin, die bei beiden nebenher läuft. Die kräftigen Arme haben sie wohl von den Eltern geerbt, sie waren Ruderer beim Berliner Sportclub.

Ein halber Meter Glück auf Gold

Was fehlt den Prüfers noch zu Gold? „Der letzte halbe Meter“, sagt Clemens. „Vielleicht ein bisschen Glück“, sagt Henning. Bei den Jugendspielen in China hat Yulong Chen mit Heimvorteil („Bei ihm war es am lautesten im Stadion“) im letzten Durchgang (64,14 m) zum Sieg vor Clemens Prüfer (63,52 m) gekontert. Es gab nur vier Versuche. „Das hat mir nicht so gut gefallen, kann man aber nicht ändern.“ Mit einem besseren Start und zwei Chancen mehr wäre die andere Medaillenfarbe drin gewesen. Clemens' Rekord: 65,02 Meter mit der 1,5 Kilogramm schweren U18-Scheibe.

Henning Prüfer warf in den USA mit 250 Gramm mehr Gewicht Bestleistung (64,18 m), der Athlet vor ihm aber auch, Martin Markovic (66,94 m). Sie erwischten Wettkämpfe auf höchstem Niveau, nicht anders zu erwarten, wenn man in der Weltspitze mitmischt. In der Geschichte der U20-WM hatten bis dahin 64 Meter nur zweimal nicht zu Gold gereicht. „Mein Vorsatz hat sich erfüllt, der Wettkampf hat Spaß gemacht. Dass ich nicht gewonnen habe, war mir deshalb relativ egal.“ Hauptsache die eigene Leistung stimmt.

Aufbauarbeit nach verpatztem Kugelstoß-Finale

Nach der Enttäuschung im Kugelstoß-Finale, Platz elf mit nur 19,01 Metern, baute sich der 18 Jahre alte Henning Prüfer mit Musik und Zimmerkollege Patrick Müller für das Diskus-Finale auf: Gute-Laune-Songs zum Mitsingen, Rock und Hardcore zum Aufpushen und Ruhigeres zum Chillen.

Während sein Bruder in China vom Neubrandenburger Kugelspezialist, Bundesnachwuchstrainer Gerald Bergmann, gecoacht wurde, hatte Henning Jörg Schulte mit in den USA. Der große Vorteil am eigenen Trainer: „Man kennt sich gegenseitig und kann sich gut verständigen. Er weiß, wie er in bestimmten Situationen mit dem Athleten umgehen muss“, erklärt Henning.

Mit Tempo nach Schweden

Die Brüder, die sich der Frisur nach nicht ähnlich sehen und die freie Zeit am liebsten mit ihren Freundinnen verbringen, führen ein Leben für das Werfen. Das große gemeinsame Ziel für nächstes Jahr: Schweden, genauer die U20-Europameisterschaften in Eskilstuna bei Stockholm.

„Eine Medaille wäre schon was“, sagt der Ältere. Der Jüngere will im ersten U20-Jahr erstmal an den internationalen Meisterschaften teilnehmen. Wichtige Vorbereitung bis dahin: das Aufbautraining im Winter. Zu den konventionellen Trainingsinhalten wie Krafttraining, viele Würfe und Technikimitation kommt in den nächsten Monaten Athletiktraining dazu.

Auch Tempoläufe. „Ich will gar nicht daran denken“, seufzt der Deutsche U18-Doppelmeister. Werfer laufen nicht gerne, im Sommer maximal 30-Meter-Sprints. Während Clemens den längeren Distanzen nicht gerade entgegen fiebert, weiß Henning, was sie bringen: „Das ist so eine Phase, wo man einfach durch muss und die sehr wichtig ist. Danach ist man froh, es gemacht zu haben.“

Zukunft Kugel offen

Wie es in Zukunft mit dem Kugelstoßen aussieht, wird noch besprochen. In der Wintersaison will Henning das zweite Wurfgerät auf jeden Fall forcieren. Da klappt es bei ihm besser als im Sommer, 20,62 Meter im Februar. „Die Halle ist für mich der Kugelstoß-Höhepunkt. Das ist die Zeit, wo ich mit der Kugel gut drauf bin.“ Unter freiem Himmel kam er nicht mehr über die 20-Meter-Linie. „Im Sommer ist es bei den Wettkämpfen schwerer, beide Disziplinen zu machen.“

Auch bei Clemens gibt es in Sachen Kugel noch Klärungsbedarf. Von fünf geht es auf sechs Kilogramm Wurfmasse. „Ganz schön heftig“, schätzt der 17-Jährige den Schritt ein. Deshalb müsse man sehen, ob und in welchem Rahmen das weiterläuft. Dass es im Wettbewerb auch ohne spezielles Training klappt, hat Wattenscheid gezeigt. Aber bevor es so weit ist, ist für den jungen Olympioniken nach aufregenden Wochen in Nanjing „erstmal runterkommen“ angesagt. Viel Zeit ist nicht. In ein paar Tagen geht die Schule wieder los, die gestreckte zwölfte Klasse.

Faxen abseits des Rings

Im kommenden Jahr starten die Potsdamer also gemeinsam in der U20. „Das ist für Clemens einfacher. Er kann sich dann besser mit uns, mit mir und meinen Konkurrenten, vergleichen“, sagt Henning. Bei Meisterschaften betrachten sich die Brüder nicht wirklich als Konkurrenten. „Faxen gibt es eher außerhalb des Wettkampfes. Im Wettkampf helfen wir uns mehr“, beschreibt der U20-Meister im Diskus das Verhältnis.

Dann geht es 2015 mit geballter Prüfer-Power in den Ring. Die Bedeutung der bisherigen internationalen Top-Leistungen stuft Henning Prüfer so ein: „Mein Ziel ist es ganz oben anzukommen. Die bisherigen Medaillen sind eine Versüßung oder eine Vereinfachung auf dem Weg dahin.“

Dem Diskus nachzuschauen wie er fliegt ist für ihn der beste Moment seines Sports - zu sehen wie er eines Tages auf die Goldweite segelt und die erfolgreiche Silbersträhne der Prüfers krönt. Clemens hofft, dass es „irgendwo, irgendwie“ noch klappen wird. „Wir geben beide immer alles“, sagt Henning.

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