Die Rechnung der Sonja Kesselschläger
Wenn es um fünf Punkte geht, dann stellt Sonja Kesselschläger ihre eigene Rechung auf: "Das sind zweieinhalb Zentimeter beim Weitsprung, acht Zentimeter beim Kugelstoßen, vier Hundertstel über die Hürden…" Genau um diese - kaum mit dem normalen Auge erkennbaren - Messgrößen ist die Neubrandenburgerin am Freitag bei der Hallen-WM in Moskau an einer Fünfkampf-Medaille vorbeigeschrammt.

Sonja Kesselschläger lief in Moskau ein couragiertes 800-Meter-Rennen (Foto: Chai)
Wer so rechnet, müsste eigentlich frustriert sein. Doch wer die 28-Jährige, die insgesamt 4.574 Punkte sammelte, kennt, der weiß auch, dass ihre Rechnungen meistens im Haben und nicht im Soll gemacht werden: "Meine Punktzahl wurmt mich nicht. Ich bin auch nicht unglücklich über diesen vierten Platz, sondern ganz zufrieden."Aber wer Rechnungen aufstellt, der muss sich zwangsläufig doch auch ein bisschen ärgern. Das hat das Rechnen und Abrechnen so an sich. Darum kommt selbst Sonja Kesselschläger nicht umhin. Ihren angefangenen Satz "Es ärgert mich…" bringt sie irgendwann später mit einem "… das Kugelstoßen, und dass es bei den Hürden kein Fehlstart war" zu Ende.
Frust beim Kugelstoßen
Gerade beim Kugelstoßen war doch ein wenig Frust zu spüren. Das Training lief so gut, dass die 14 Meter kein Problem sein sollten, auch beim Einstoßen landete das Gerät noch bei einer solchen Weite. Doch dann blieb es wieder einmal bei für sie nicht mehr zufrieden stellenden 13,69 Metern. "Ich kriege es nicht gebacken. Danach war ich schon verdammt traurig."
Beim Hürdensprint konnte die Ukrainerin Lyudmila Blonska bedingt durch den nicht zurückgeschossenen Lauf bereits frühzeitig Kurs auf Gold nehmen. "Das hätte nämlich ein Fehlstart sein müssen", stellt Sonja Kesselschläger, die auf die Unterstützung von ihrem Freund, ihren Eltern und ihrem Bruder im Publikum bauen konnte, unmissverständlich fest.
Dass die Olympia-Sechste am Ende des Fünfkampf-Tages aber über 800 Meter die Flucht nach vorne suchte, begeisterte im Olympia-Sportpalast viele Beobachter. "Ich wollte einfach noch alles versuchen, um doch noch Dritte zu werden. Ich wusste vorher, dass ich angreifen würde." Die Überzeugung und das Selbstvertrauen, die ungeliebte Strecke so laufen zu können, hat sich bei ihr erst in den letzten zwei Jahren nachhaltig eingestellt.
Begeisternder Angriff
So lauerte Sonja Kesselschläger dann auch auf ihre Chance, packte sie beim Schopf und kämpfte die läuferisch an sich stärker einzuschätzende Russin Olga Levenkova in 2:14:45 Minuten nieder. Dass sie dann in der 800-Meter-Ergebnisliste mit der Eins vor ihrem Namen erschien, war ein neues Gefühl: "Das ist noch ungewohnt." Die Sportsoldatin hatte beim Blick auf die Leinwand aber bereits geahnt, dass es nicht für einen Platz auf dem Podest gereicht hatte. "Ich habe gesehen, dass die Russin noch an mir dran klebte."
Nach diesem guten und begeisternden Rennen war bei Sonja Kesselschläger, die jetzt nach getaner Arbeit noch zwei Tage Zeit hat, um noch mit ihrer Familie Moskau zu erkunden, zurecht kein Platz für Enttäuschung. Auch der Leitende Bundestrainer im Deutschen Leichtathletik-Verband, Jürgen Mallow, lobte seinen am Freitag mit Platz vier besten Schützling: "Sonja ist nicht nur gute 800 Meter gelaufen, sie hat einen prima Fünfkampf gemacht."
Rückenwind für den Sommer gibt der Auftritt in Moskau allemal. Dann möchte der Rotschopf endlich einmal im Freien ihre Bestleistung über die 6.300-Punkte-Mauer treiben. "Von den 6.200 will ich wegkommen", sagt sie, "und mich in Deutschland weiter behaupten, was schwierig werden würde, wenn ich mich nicht steigere. Die Punkte sind im Sommer erstmal das Wichtigste." Deshalb sollte man auch da keine Rechnung ohne Sonja Kesselschläger machen.