Die Sicht der Dinge - von Christian Fuchs
Die Deutschen Hallen-Meisterschaften und die Nominierungsrunde am vergangenen Sonntag haben es gezeigt. Einzelne willige DLV-Athleten taten sich schwer, den Sprung in den Hallen-WM-Kader zu schaffen. In den technischen Bewerben lag das nicht etwa an verschärften Normen oder dem Widerwillen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, sondern schlicht und einfach an den hohen Vorgaben des Weltverbandes.
Bianca Kappler fliegt in der Weltspitze, darf aber nicht nach Birmingham (Foto: Chai)
"Die Relation passt nicht in einigen Disziplinen", weiß auch Rüdiger Nickel, der DLV-Vize-Präsident Leistungssport, "das ist nicht gerechtfertigt." Für Kugelstoßer Ralf Bartels tat sich am Sonntag ein Hintertürchen auf. Er konnte vom DLV aufgrund seiner Sommerleistung nominiert werden, obwohl er die IAAF- und DLV-Norm von 20,47 Metern mit seiner Weite vom Wochenende (20,07 m) in der Hallensaison bei weitem nicht erreicht hatte. Die 20,85 Meter vom 9. Juni des letzten Jahres in Gotha ermöglichten dem EM-Dritten nun den Weg nach Birmingham. Welch Glück!Eine Portion Pech hatte dagegen Weitspringerin Bianca Kappler, die man in der Nominierungsliste des DLV vergeblich sucht, obwohl sie bei den Deutschen Hallen-Meisterschaften in Leipzig auf stolze 6,61 Meter "explodierte". Die knallharte Norm, die der Weltverband von der Rehlingerin für ein Ticket nach Birmingham fordert, liegt allerdings bei 6,74 Metern. In diesem Winter hat das noch keine einzige Athletin auf dem ganzen Globus geschafft!
Fällt der Weitsprung aus?
Fällt der Weitsprung jetzt in Birmingham aus? Könnte man fast meinen. Aber auch hier gibt es das Hintertürchen über die Sommerleistung, die bei Bianca Kappler allerdings auch nicht ausreicht. 6,65 Meter hat sie vom letzten Juni stehen, neun Zentimeter zu wenig.
Obwohl die Deutsche momentan gemeinsam mit der Griechin Niki Xanthou die Nummer vier in dieser aktuellen Indoorsaison im Weitsprung-Weltvergleich ist, sitzt sie nach dem derzeitigen Stand zuhause auf nicht gepackten Koffern. Dem DLV waren die Hände gebunden, aufgrund der IAAF-Norm war sie gar nicht nominierbar.
Wird es sich der Weltverband noch einmal anders überlegen und ein neues Hintertürchen öffnen? Ausgeschlossen ist es nicht, denn von den 15 Springerinnen, die im letzten Sommer 6,74 Meter oder weiter sprangen, ist nur rund die Hälfte in der Halle überhaupt schon angetreten: Stilianí Pilátou, Anna Kovalenko, Olga Rublyova, Tünde Vaszi, Elva Goulbourne, Niki Xanthou, Concepción Montaner und Tatyana Ter-Mesrobyan, um genau zu sein.
Kleiner Kreis zur Auswahl
Eine Russin muss zuhause bleiben, die Australierin Bronwyn Thompson fliegt vielleicht noch nach Birmingham ein. Macht unter dem Strich in der Addition so um die acht Springerinnen, die überhaupt auf der Insel weit springen dürften. Ob sie alle kommen wollen, bleibt bis zum Meldeschluss abzuwarten.
Nimmt man Bianca Kappler mit in diese Rechnung und schielt auf die Weltjahresbestenliste des Winters, dann, ja dann wäre sie als Nummer drei in diesem kleinen Feld eine heiße Medaillenkandidatin für die Hallen-WM.
Aber stattdessen sitzt sie wahrscheinlich zuhause vor dem Fernseher. Lediglich ein Fünkchen Hoffnung gibt es, wenn der Weltverband zu wenige Meldungen bekommt und das Feld auffüllen will.
Warten auf ein Signal aus Monaco
"Auf diese Variante müssten wir vorbereitet sein, es ist ein bisschen im Hinterkopf", sagt ihr Trainer Uli Knapp, "wenn noch Signale vom Weltverband kommen, müssen wir uns zusammensetzen. Wir wollen aber nicht auf Teufel komm raus jemanden durchdrücken." Ob es Sinn macht, muss auch noch vorher geprüft werden, denn Bianca Kappler wurde zu allem Überfluß jetzt von einer fiebrigen Erkältung erwischt.
Die grundsätzliche Diskussion rund um die hohen IAAF-Normen, die auch in Leipzig Journalisten, Trainer und Sportler beschäftigte, ist längst nicht vom Tisch. Hoffnung, dass sich der Weltverband in dieser Frage in Zukunft anders positioniert, gibt es kaum. Rüdiger Nickel sagt dazu: "Ich bin nicht euphorisch." Werden also immer wieder ein paar der besten Athleten der Welt tatenlos zuschauen müssen? Man wird sehen! Schade drum ist es auf jeden Fall. Und sportlich fair schon gar nicht!
Christian Fuchs ist Projektleiter von leichtathletik.de, dem Internetportal des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.
In unregelmäßigen Abständen äußern sich auf leichtathletik.de Insider, Funktionäre, Journalisten, Athleten oder andere Experten, die eng mit der Leichtathletik verbunden sind, meinungsfrei und unabhängig von der Redaktion und dem DLV zu ihrer "Sicht der Dinge".