Die Sicht der Dinge - von Hans-Joachim Waldbröl
Maulheld
Die Höhenluft, in die er sich öfter als jeder andere Sportler aufschwingt, scheint Tim Lobinger schlecht zu bekommen. Von oben herab behandelt der Hallenweltmeister, der übrigens an der frischen Luft noch keinen bedeutenden Titel gewonnen hat, seine anderen Kollegen aus der Abteilung Leichtathletik: lauter "Hosenscheißer". Und seinen eigenen blanken Hintern hat er vor einer Woche in Monte Carlo vermutlich nur deshalb vorgeführt, weil er zeigen wollte, daß seine Unterwäsche sauber ist.
Tim Lobinger sorgt weiter für Diskussionsstoff (Foto: Chai)
Aufs neue bewiesen hat Lobinger damit allerdings nur eine bereits bekannte Tatsache: Gute Leistungen gehen bei ihm nicht unbedingt mit gelungenen Auftritten einher. Vielmehr stellt er, wie während seines Aufschwungs mit dem Stab, die Welt auf den Kopf - und landet meist auf dem Hosenboden: Glücken ihm einmal gleich mehrere Sprünge, reißt er seinen Mund so weit auf, daß er vielsagende Einblicke in seinen Kopf gewährt.Für seine monegassische Geschmacklosigkeit hat Lobinger sich jetzt beim Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) entschuldigt. Wohl weil ihm eine Geldstrafe droht. Gleichzeitig hat er auf ein Bedauern gegenüber dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) lauthals verzichtet. Weil dieser keine Erklärung verdiene und wohl andere Probleme habe als (s)einen nackten Po.
Problem des DLV
Dabei ist Lobinger ein Problem des DLV, sogar ein doppeltes. Denn erstens hat er auf einer IAAF-Veranstaltung mit seinem stillosen Benehmen dem Ansehen des DLV geschadet. Und zweitens, ganz entgegen seinen großspurigen Ansprüchen, bei den Weltmeisterschaften in Paris mit Platz fünf nicht gerade einen bemerkenswerten Beitrag zum besseren Abschneiden eines Verbandes beigetragen, den er wegen der Erfolglosigkeit kritisiert.
Lobinger neigt dazu, seinen biegsamen Sprungstab zum Maßstab für andere herzunehmen und nach Belieben um sich zu schlagen. Der DLV hat es nicht nötig, sich diese Maßlosigkeit eines einzelnen, der sich für den Nabel der Leichtathletik-Welt hält, länger gefallen zu lassen.
Hans-Joachim Waldbröl ist Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"
Text erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.09.2003, Nr. 220 / Seite 30
In unregelmäßigen Abständen äußern sich auf leichtathletik.de Insider, Funktionäre, Journalisten, Athleten oder andere Experten, die eng mit der Leichtathletik verbunden sind, meinungsfrei und unabhängig von der Redaktion und dem DLV zu ihrer "Sicht der Dinge".