Die Welt-Leichtathleten im Olympiajahr
Am Sonntagabend zeichnete der Weltverband IAAF Sprinter Usain Bolt und Stabhochspringerin Yelena Isinbayeva mit dem Titel Welt-Leichtathleten des Jahres aus. Während die Russin Yelena Isinbayeva schon zu Beginn des Jahres als eine mögliche Anwärterin galt, konnte im Januar noch keiner ahnen, dass der Jamaikaner Usain Bolt mit zum Teil fast unglaublichen Leistungen zum weltbesten Leichtathleten des Olympiajahres wird.
Dass Usain Bolt eines der vielversprechendsten Talente der Leichtathletik ist, hat er bereits in jungen Jahren angedeutet. Mit 15 Jahren gewann er 2002 in seiner Heimat Kingston (Jamaika) den Junioren-Weltmeistertitel über 200 Meter, zwei Jahre später lief er als erster und bisher einziger Junior die halbe Stadionrunde unter 20 Sekunden (19,93 sec). Im vergangenen Jahr folgten dann die ersten großen Erfolge bei den Erwachsenen, er gewann Silber sowohl über 200 Meter als auch mit der 4x100 Meter-Staffel bei den Weltmeisterschaften in Osaka (Japan).Dennoch galten zu Beginn des Jahres andere Sprinter als die Anwärter auf die Superstarrolle bei den Olympischen Spielen. Der US-Amerikaner Tyson Gay, in Osaka Sieger über 100 und 200 Meter, und der zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Weltrekordinhaber über 100 Meter, Asafa Powell (Jamaika). Schon gar nicht auf den 100 Metern rechnete man mit dem 1,96 Meter großen Usain Bolt. Seine Bestzeit von 10,03 Sekunden schien zu weit entfernt zu sein von einem Spitzenrang.
Es fehlten die 5-Meter-Sprünge
Dass Yelena Isinbayeva Gold bei den Olympischen Spielen gewinnen würde, daran zweifelten bereits zu Beginn des Jahres wenige. Zwar kündigte die US-Amerikanerin Jennifer Stuczynski an, in Peking in einen „russischen Arsch“ treten zu wollen. Doch die Dominanz der Russin war zu groß, als dass diese Aussage mehr als nur ein Schmunzeln hätte auslösen können. Trotz aller Erfolge gegen die Konkurrenz, der Lack der Russin hatte ein wenig zu bröckeln begonnen.
Nach ihrem Wechsel zu Vitaly Petrov, der bereits Sergej Bubka (Ukraine) trainierte, gelangen der fast immer strahlenden Yelena Isinbayeva vorerst keine fünf Meter-Sprünge mehr. 2006 und 2007 war jeweils bei einer Saisonbestleistung von 4,91 Meter im Freien das Ende der Fahnenstange erreicht. Doch die Saison begann gut. Im ukrainischen Donezk verbesserte sie ihren eigenen Hallen-Weltrekord auf 4,95 Meter, im spanischen Valencia wurde sie wenig später Hallen-Weltmeisterin.
Anschluss an die absolute Weltspitze
Just zu dem Zeitpunkt, als sich Yelena Isinbayeva zu ihrem Hallen-Titel aufschwang, lief Usain Bolt in seiner Heimat die 100 Meter in 10,03 Sekunden, ein erstes Signal zu einem frühen Zeitpunkt. Am 3. Mai ließ er dann den ersten von vielen Paukenschlägen folgen. Bei 9,76 Sekunden blieb die Uhr nach 100 Metern stehen, die absolute Weltspitze auf der kurzen Sprintdistanz war erreicht. Um zwei Hundertstel verfehlte er damit den Weltrekord seines Landsmannes Asafa Powell. Doch noch hielt er sich bedeckt, was seine Ambitionen bezüglich eines möglichen 100 Meter-Starts bei Olympia anging.
Erst zwei Monate später war Yelena Isinbayeva in die Freiluft-Saison eingestiegen, nicht weniger spektakulär als der junge Jamaikaner, der inzwischen den Weltrekord über 100 Meter auf 9,72 Sekunden verbessert hatte und jetzt zum engsten Favoritenkreis auf Olympia-Gold gezählt wurde. Mit dem 22. Weltrekord trumpfte Yelena Isinabayeva beim Golden-League-Meeting in Rom (Italien) auf. Nach dem Sprung über 5,03 Meter wirkte sie wie von einer Zentnerlast befreit.
Weltrekorde in Rom und Monaco
„Ich fühle mich besser als im vergangenen Jahr und im Winter. Ich hatte viele Probleme, eine andere Technik, mein Privatleben, mein Trainer, überhaupt alles. Ich denke, ich bin jetzt persönlich in einem besseren Zustand. Vor allem bin ich innerlich so glücklich, so ruhig.“ Und sie kündigte sofort eine Fortsetzung ihrer Weltrekordjagd an.
Und die ließ nicht lange auf sich warten. 18 Tage später überquerte sie am 29. Juli in Monaco 5,04 Meter. Usain Bolt hatte derweil seine ersten Auftritte auf europäischem Boden absolviert. In Athen (Griechenland) stellte er einen neuen Kontinentalrekord über 200 Meter auf (19,67 sec). „Ich bin mir sicher, dass ich bei den Olympischen Spielen stark laufen werde“, kündigte er danach an. Wie stark konnte jedoch noch keiner ahnen.
Spielerische Leichtigkeit
Spätestens am 15. August war dem letzten Beobachter der Olympischen Spiele klar, dass der Sieg über 100 Meter nur über Usain Bolt gehen würde. Mit spielerischer Leichtigkeit war er im Pekinger Vogelnest in das Halbfinale eingezogen. Bei Weltmeister Tyson Gay, der noch kurz vor den Spielen verletzt war, lief es schleppender. Einen Tag später war im Halbfinale Endstation für den US-Amerikaner.
Es war ein denkwürdiges Finale, was dann wenige Stunden nach dem Halbfinale über die Bühne ging. Usain Bolt stürmte los und enteilte der chancenlosen Konkurrenz. Schon weit vor dem Ziel breitete er die Arme weit aus und begann zu jubeln, dennoch blieb die Uhr bei 9,69 Sekunden stehen. Die Welt feierte einen neuen Superstar, meldete im gleichen Atemzug aber Zweifel an der Leistung des Jamaikaners an. „Ich bin sauber“, betonte der Schützling von Glen Mills.
Kurve zu schlecht für Weltrekord
Zwei Tage später startete Yelena Isinabayeva ihre Showtime. Mit einem Weltrekord (5,05 m) krönte sie ihren erneuten Olympiasieg. „Ich wollte für die Zuschauer und meinen Coach, der immer an mich geglaubt hat, mein Bestes geben und unbedingt den Weltrekord. Mein Coach hat zu mir gesagt: Wir haben so hart gearbeitet, jetzt mach’ es. Ich dachte mir dann: er hat nicht Unrecht“, sagte Yelena Isinbayeva, „die letzten vier Jahre waren nicht einfach, ich bin froh, dass es jetzt so gut geklappt hat.“
Einen Tag später folgte dann der nächste Streich von dem inzwischen als „Thunder-Bolt“ titulierten Usain Bolt. Über 200 Meter unterbot er den zwölf Jahre alten Weltrekord von Michael Johnson (USA) um zwei Hundertstel Sekunden. Dieser hatte im Vorfeld nicht daran geglaubt, dass dies gelingen könnte. „Um 19,30 zu laufen, müsste er die Kurve besser angehen und sein Tempo länger halten“, hatte Michael Johnson noch kurz zuvor gesagt.
Das Sprint-Triple machte Usain Bolt mit der 4x100 Meter-Staffel perfekt. Die Zeit bei seinem dritten Goldlauf in Peking? Natürlich Weltrekord und die Zweifel und der Jubel wurden im Anschluss noch größer. Im heimischen Kingston wurde er als Volksheld gefeiert. Nur noch zweimal lief der Hip-Hop-Fan nach den Olympischen Spielen. Die Zeit des Feierns war nun gekommen.
Ein Weltrekord für 100 Jahre
Auch Yelena Isinabayeva, die nach Peking noch viermal sprang, konnte nicht mehr mit einem weiteren Weltrekord glänzen, doch das war nicht notwendig. Die Russin hat mit vier neuen Bestmarken 2008 bewiesen, dass sie immer noch eine Rekordjägerin ist. Bei der Verleihung der Auszeichnung als Welt-Leichtathletin kündigte sie weitere Höhenjagden für die Zukunft an: „Ich will mit einer Höhe aufhören, die man in hundert Jahren nicht erreichen kann. Das Leben ist langweilig ohne Rekorde."
Und auch Usain Bolt verriet noch einmal, wo seine Reise hingehen soll. 9,52 Sekunden über 100 Meter halten er und sein Trainer Glen Mills für machbar. Bei der WM in Berlin soll der nächste Doppelschlag über 100 und 200 Meter folgen. Vielleicht erlebt das Olympiastadion eine ähnlich unglaubliche Show, wie das Vogelnest in Peking. Dass Yelena Isinabyeva die Bundeshauptstadt mit einem weiteren Weltmeistertitel im Gepäck verlassen wird, daran zweifelt fast niemand. Ob mit einem weiteren Weltrekord, das weiß man noch nicht. Der Berliner an sich würde es auf jeden Fall „dufte“ finden.