Dieter Baumann: "Ich muss niemandem mehr etwas beweisen"
Dieter Baumann, der am Dienstag direkt aus dem Höhentrainingslager in Sankt Moritz zur Europameisterschaft anreist, sprach kurz vor den Titelkämpfen in München über seine Erwartungen und über seine Zukunft auf der Bahn. Das Gespräch führte Jan Mühlethaler in St. Moritz. Der Verfasser ist Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung NZZ.
Dieter Baumann
Herr Baumann, wenige Tage vor Ihrem EM-Start wird manchenorts über Ihre Form spekuliert. Wie geht es Ihnen eigentlich?Dieter Baumann:
"Mir geht es sehr gut, ich fühle mich ausgeruht und frisch. Und nach diesen vier Wochen in St. Moritz bin ich auch in einer ansprechenden Form."
In diesem Frühjahr haben sich aber dennoch gewisse Ereignisse abgespielt, die nicht immer darauf schliessen liessen, dass sie leistungsmässig auf dem richtigen Weg sind. Ihren ersten Marathon in Hamburg mussten Sie aufgeben, und an den Deutschen Meisterschaften sind Sie dem Vernehmen nach infolge gesundheitlicher Probleme nicht angetreten.
Dieter Baumann:
"Schauen Sie, diese Saison ist so oder so durch meinen ersten Marathon geprägt. Anschliessend ergaben sich gewisse Probleme mit der Regeneration, und irgendwie machte mir die Umstellung auf die Bahn mehr zu schaffen als ich angenommen hatte. Mitte Mai bis Anfang Juni machte ich dann den Fehler, dass ich trotz aller Warnungen zu früh mit schnellen Tempoläufen angefangen habe. Ich war einfach noch nicht locker genug. In Lausanne lief es gar nicht gut, zwei Tage später lag ich krank im Bett. Infolge dessen verzichtete ich auch auf die Deutschen Meisterschaften. Und dieser Mut zur Lücke hat sich ausgezahlt. Wenn ich mich richtig einschätze, sollte ich derzeit in der Lage sein, die 10 000 m zwischen 27:40 und 27:50 laufen zu können."
Welche Bedeutung messen Sie eigentlich den EM in München, in Ihrem Heimatland also, bei?
Dieter Baumann:
"Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, weder meinen Kritikern, noch meinen Freunden. So sind auch die Europameisterschaften in München nichts Sensationelles für mich, aber vielleicht ist ja genau das das Sensationelle. Natürlich sind die Titelwettkämpfe für mich ein Heimspiel, ich laufe sicher gerne im Olympiastadion. Vielmehr will ich aber die Stimmung bei einem solchen Grossereignis geniessen, schliesslich bin ich ja bereits in meinem athletischen Herbst."
Gewisse Erwartungen an das 10 000-m-Finale haben Sie aber trotzdem?
Dieter Baumann:
"Man kann mich nicht mehr unter Druck setzen, das mache ich höchstens selber. Dennoch ist zu sagen, dass von den 17 gemeldeten Läufern etwa fünf bis sechs in der Lage sind, um Medaillen zu laufen - und ich gehöre dazu. Ich gehe davon aus, dass wir ein sehr ausgeglichenes Finalrennen erleben werden. Ich bin auf jeden Fall nervös, und das macht die Sache interessant. Es wird im Rennen vermutlich darum gehen, möglichst lange die Nerven zu bewahren. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Entscheidung erst auf den letzten acht Runden fallen wird. Dies auch deshalb, weil im Feld nur ganz wenige Athleten in der Lage sind, sich als Frontrunner zu betätigen, etwa der Italiener Marco Mazza."
Und wenn Mazza wirklich früh vorne weggeht?
Dieter Baumann:
"Dann muss ich halt mit, keine Frage."
Wie haben Sie eigentlich in St. Moritz trainiert?
Dieter Baumann:
"Nach den vorangegangenen negativen Erfahrungen bin ich vorerst mit grösster Vorsicht ans Werk gegangen. Die ersten beiden Wochen habe ich mir Zeit gelassen. Ich habe vor allem über den Umfang, weniger über die Intensität trainiert. Seit zwei Wochen bin ich jetzt wieder dabei, auch mit hohen Intensitäten zu arbeiten, und ich denke, dass diese Zeit ausgereicht hat."
Wie steht es eigentlich mit Ihren Marathon-Plänen? Haben Sie die nach ihren negativen Erfahrungen in Hamburg aufgegeben?
Dieter Baumann:
"Überhaupt nicht, ich lasse mich nicht einfach so entmutigen. Meine Frau Isabelle und ich gehen davon aus, dass ich im Herbst 2003 zum nächsten Marathon antreten werde. Der Marathon ist aber eine völlig andere Disziplin als die 5000 m oder die 10 000 m - und folglich muss ich mich erst an diese neue Disziplin herantasten."
Ist damit zu rechnen, dass der Marathon Ihre künftige Wettkampf-Strecke sein wird?
Dieter Baumann:
(überlegt) "Ich denke nicht, dass ich als Marathonläufer auf höchstem Niveau bestehen kann. Mit meinen 27:38 über 10 000 m muss ich mich nicht verstecken; um aber eine international ähnlich gute Zeit auf der Marathonstrecke zu erreichen, müsste ich etwa 2:08 laufen - und dies traue ich mir definitiv nicht zu. Der Marathon wird die 5000 m und 10 000 m also nie ablösen können - und ich bin hier in St. Moritz auch zum Schluss gekommen, dass ich mit meinen beiden Paradedisziplinen noch lange nicht am Ende bin."