Dieter Hogen - „Es liegt an den Trainern“
Dieter Hogen erlangte als Trainer der mehrfachen Boston- und Berlin Marathon-Siegerin Uta Pippig in den Neunziger Jahren internationale Anerkennung. Er selbst wuchs als Mittelstreckentalent in der ehemaligen DDR heran, bis er im Alter von nur 20 Jahren aus gesundheitlichen Gründen den Leistungssport aufgeben musste. Seit Mitte der Neunziger trainiert der heute 57-Jährige Weltklasse-Läufer aus Afrika.
Herr Hogen, wie kamen Sie dazu Langstreckenläufer aus Afrika zu trainieren? Wer sind Ihre erfolgreichsten Schützlinge?Dieter Hogen:
Ein befreundeter Manager brachte mich vor etwa 15 Jahren mit einigen seiner kenianischen Athleten in Verbindung. Seitdem trainiere ich vornehmlich Straßenläufer aus Kenia und auch Tansania. Bis vor wenigen Jahren hatte ich auch 5.000- und 10000 Meter-Läufer in meiner Trainingsgruppe, die allesamt unter 13 bzw. 27 Minuten liefen. Mittlerweile konzentriere ich meine Trainertätigkeit aber vollkommen auf den Marathon. Chicago- und London-Marathon-Sieger Evans Rutto, Boston-Marathon-Sieger Timothy Cherigat sowie Stephen Kiogora und Ben Maiyo gehören zu meinen bekanntesten Schützlingen.
Wie läuft die Betreuung Ihrer afrikanischen Läufer ab? Verbringen Sie viel Zeit in Kenia?
Dieter Hogen:
Ich verbringe regelmäßig Zeit in Kenia, um meine Athleten vor Ort zu betreuen. Erst vor einer Woche bin ich von einem achtwöchigen Aufenthalt zurück gekehrt.
Trainieren Ihre Athleten gemeinsam?
Dieter Hogen:
Alle Guten trainieren gemeinsam. Sie trainieren alle das Gleiche und wollen gemeinsam Erlebnisse haben. Sie wollen sich gegenseitig motivieren. Je mehr Spaß man hat am Training hat, desto besser funktioniert es - egal, auf welchem Niveau! Afrikaner würden kaputt gehen, wenn sie alleine trainieren müssten. Die Begeisterung und Motivation in der Gruppe ist höher. Die Psyche spielt eine große Rolle. Durch Spaß und Motivation werden Hormone freigesetzt, die die Leistungsfähigkeit erhöhen.
Zusätzlich zu Spaß und Motivation beim Training, was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Voraussetzungen, um das Potential eines Läufers auszuschöpfen?
Dieter Hogen:
Das Immunsystem ist eine entscheidende Leistungsgrundlage. Es muss immer stark genug sein, um der Gesamtbelastung stand zu halten. Belastung und Erholung müssen übereinstimmen. Eine ausreichende Erholung ist Voraussetzung für den Erfolg. Man kann noch so gut und viel trainieren wie man will. Wenn die Erholung nicht stimmt, erreicht man nichts. Wer zu viel belastet, zu viel Stress hat, zu wenig schläft und/oder sich schlecht ernährt, wird krank.
Was tun Ihre Athleten, um ihr Immunsystem zu stärken?
Dieter Hogen:
Über einen begrenzten Zeitraum nehmen wir Zink in hohen Dosen zu uns. Hier wird stündlich eine Dosis Zink zugeführt. Dazu trinken wir frischen Ingwertee und essen zwei Knoblauchzehen pro Tag, die wir z.B. Ugali oder Haferbrei dreimal täglich untermischen. Dazu kommen Holunderextrakt, Hühnersuppe, Echincain und Sauna, die allesamt zur Stärkung des Immunsystems beitragen. Ich habe mich zehn Jahre lang intensiv mit dem Thema Ernährung beschäftigt. Die Ernährung hat einen großen Einfluss auf das Immunsystem und die Regeneration. In Deutschland essen wir zu viele schlechte Fette, zu wenig gute Fette wie zum Beispiel Avocados, Nüsse, Samen. Kenianer essen zu achtzig Prozent unverarbeitete Kohlenhydrate wie in Bohnen, Reis, Gemüse und viel Obst, zehn Prozent Fett, zehn Prozent Protein. Deutsche ernähren sich ganz anders als Kenianer. Sie essen zu wenig gute Kohlenhydrate. Sie überernähren sich mit Proteinen und Fetten. Deutsche essen zu viele Pflanzenöle. Erhitzte Öle führen zu Entzündungen und zur Verringerung des Querschnittes der Blutgefäße. Gute Fette, zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren, die im Fisch enthalten sind, und wenig hochwertiges Protein verringern die Verletzungsanfälligkeit. Bei der Ernährung wie beim Training gilt: je einfacher desto besser!
Was meinen Sie mit „einfaches Training“?
Dieter Hogen:
Unkompliziert ist ganz, ganz wichtig im Training! Je unkomplizierter man einen Prozess gestaltet, desto erfolgreicher wird er. Man muss ein Trainingskonzept so einfach gestalten wie nur möglich. Mein Training beschränkt sich auf ein Prinzip: Immer mehr immer schneller bis drei bis vier Wochen vor dem Wettkampf. Progression ist sehr wichtig. Diese darf sich nicht nur auf den Wochen- oder Monatsverlauf beschränken. Innerhalb einer Trainingseinheit sollte zum Beispiel die zweite Hälfte schneller gelaufen werden können als die erste. Im Leistungssport ist Intensität das A und O. Viele legen zu viel Grundlage und haben Angst in Intensitäten zu gehen. „Lang und locker“ ist Schwachsinn. Wer im Training langsam läuft, wird auch im Wettkampf langsam laufen. Der Umfang muss immer zusammen mit der Intensität hochgeschraubt werden. Der Umfang darf nur so hoch sein, dass zugleich die Intensität gesichert ist. Dazwischen muss immer ausreichend Erholung gegeben sein. Ich unterteile mein Training nur in locker, mittel und schnell. Es ist ein sehr einfaches, überschaubares Trainingssystem. Das Training meiner Athleten ist so ausgerichtet, dass das Zielwettkampftempo locker gelaufen werden kann. Je lockerer die Muskulatur bleibt, desto größer ist die muskuläre Erholung, desto besser ist der Sauerstofftransport zu den Muskeln und desto besser ist der Austausch in der Zelle. So kann der Athlet länger in dem Tempo laufen. Alles muss automatisch gehen.
Apropos lockere Muskulatur. Oft wirkt der Laufstil von weißen Läufern verkrampfter als der von Afrikanern. Woher kommt das?
Dieter Hogen:
Weiße laufen nicht so locker wie Kenianer, weil sie zu früh zu großem Leistungsdruck ausgesetzt sind. Es ist ganz schwer diese Läufer wieder locker zu kriegen. Kenianer fangen das Laufen als Kinder zum Spaß an. Man sieht sie überall neben ihren Idolen ein Stück auf der Straße herlaufen. Ganz locker. Einfach nur zum Spaß. In Deutschland sieht man das nicht auf den Straßen! Das ist ein Problem.
In Deutschland und anderen westlichen Ländern wird viel Wert auf Rumpfstabilität zur Verbesserung des Laufstils gelegt. Manche Langstreckenläufer machen auch Krafttraining mit Gewichten, um zum Bespiel den Abdruck zu verbessern. Arbeiten Sie auch gezielt an solchen Dingen oder kommt der lockerere Laufstil unter hohen Intensitäten wirklich nur aus der afrikanischen Kindheit?
Dieter Hogen:
Ich lasse meine Athleten drei- bis viermal pro Woche nach einer lockeren Laufeinheit zwei Stunden ununterbrochen Krafttraining zur Stabilität des Rumpfes machen. Krafttraining mit Gewicht machen meine Athleten nur bei Verletzung.
Wie sieht es mit Alternativtraining aus?
Dieter Hogen:
Alternativtraining ist in Kenia keine Option. Schwimmbecken gibt es nicht. Auch zum Radfahren ist Kenias Infrastruktur nicht geeignet. Leider gibt es in Kenia auch nicht die Option Skilanglaufen zu gehen. Skilanglauf ist das beste Lauftraining, das man machen kann. Es gibt sehr viel Kraft im Abdruck. Zu DDR-Zeiten sind wir sehr viel Skilanglaufen gegangen im Winter.
Sie erwähnten die Relation von Belastung und Erholung als Basis für das richtige Training. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Regeneration nach Belastung zu beschleunigen?
Dieter Hogen:
Die Ernährung spielt in der Regeneration eine wichtige Rolle. Früher hat man sich zur schnelleren Regeneration ins warme Bad gesetzt. Anfang der Neunziger Jahre beobachtete ich zum ersten Mal, wie sich Athleten direkt im Anschluss an einen Wettkampf in eine Wanne mit eiskaltem Wasser setzten. Es war bei einem American Football-Spiel der Green Bay Packers in den USA. Heute wissen auch wir, dass ein Eisbad die Regeneration insbesondere nach harten Einheiten verkürzt. Nach lockeren Einheiten nehmen meine Athleten immer noch ein warmes Bad. Allerdings erst drei Stunden nach dem Training.
Sie reden fast nur über Ihre kenianischen Läufer. Trainieren Sie auch noch Deutsche? Gibt es überhaupt noch Lauftalente in Deutschland?
Dieter Hogen:
Nein, zurzeit trainiere ich niemanden aus Deutschland. Es gibt Talente in Deutschland. Sie werden nur nicht mehr gefunden! Es gibt keine Sichtung mehr. Ohne Talentsichtung stirbt der Sport. Nur die Trainer können den Laufsport in Deutschland retten. Kein Verband kann das. Es liegt an den Trainern Spaß dabei zu finden, Talente zu entdecken und Sie vorsichtig aufzubauen, ohne den Spaß am Sport zu vernachlässigen. Ich bin selber mit Schuld an der Situation des Laufsports hierzulande, denn ich mache selber nichts dafür deutsche Talente zu entdecken und zu fördern. Auch in Kenia machen neunzig Prozent der Talente nie Leistungssport. Talente gibt es überall in der Welt. Auch in Deutschland! Wir verderben unser natürliches Talent durch unsere Lebensweise. Ein zusätzliches Problem ist, dass der Leistungsanspruch hier nicht mehr da ist. Man will sich nicht mehr quälen. Ich bin dennoch überzeugt: Wenn ich das Talent finden würde in Deutschland, würde es 2:03 Stunden laufen und alle Kenianer schlagen.
Dieter Hogen: "Verderben unser natürliches Talent durch unsere Lebensweise" (Foto: Veranstalter/Sailer)
Aufgezeichnet am Rande des diesjährigen Frankfurt-Marathon, dort teilte Dieter Hogen einige Anekdoten und Trainingsphilosophien in einem Sportgespräch. Auch leichtathletik.de lauschte seinen Weisheiten aus 30 Jahren Trainererfahrung zu Themen wie Training, Ernährung, Immunsystem, Regeneration oder Talentsichtung und hat diese in diesem Interview für Sie zusammengetragen. Das Interview mit Dieter Hogen ist Teil einer leichtathletik.de-Serie zum Thema "Laufexperten", die vor allem die Brücke von vergangenen Erfolgen zur momentanen Lage im Laufbereich schlagen, Einschätzungen und Anregungen geben soll. Lesen Sie auch:
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