Dietmar Chounard: „Eigenem Druck standhalten“
Erfahrungen sammeln, Herausforderungen meistern, Motivation tanken: Ab Donnerstag (18. Juli) werden in Rieti (Italien) bei der U20-EM 74 deutsche Nachwuchsathleten das Nationaltrikot überstreifen – viele von ihnen zum ersten Mal. Welche Rolle die Titelkämpfe in der Entwicklung der Athleten spielen, woher der größte Erwartungsdruck kommt und wo die Stolpersteine auf dem Weg zum Erfolg liegen, erklärt Bundestrainer U18/U20 Dietmar Chounard im Interview.

Dietmar Chounard:
Internationale Meisterschaften haben ihre ganz eigenen Regeln und Besonderheiten. Das fängt bei den stringenten Abläufen an. Es gibt genaue Zeiten, die eingehalten werden müssen, den Call Room, in dem man auf seinen Einsatz wartet. Am Start werden alle Teilnehmer namentlich präsentiert, bevor der Startschuss fällt. Die Athleten sind auf einmal nicht mehr die Besten ihres Jahrgangs, sondern sie haben Konkurrenz neben sich, die oft genauso gut oder besser ist. Damit müssen sie lernen umzugehen. Überall lauern Gefahrenpotenziale, aber man weiß nie vorher, welche für den einzelnen Athleten relevant sind.
Die deutschen Athleten sind seit Montag in Rieti und fiebern ungeduldig ihrem EM-Start entgegen. Wie sehen Ihre Erwartungen an das Team aus?
Dietmar Chounard:
Ich schätze das Leistungsvermögen der deutschen Starter realistisch ein. Die Athleten sind jung, viele sind herausragend talentiert. Aber sie sind in ihren Leistungen nicht stabil – können es noch gar nicht sein. Nehmen wir eine Lara Groenewold im Siebenkampf. Sie ist 16 Jahre alt! Natürlich ist sie ein großes Talent und strebt viele Bestleistungen an. Aber es ist ihre erste große Meisterschaft. Man muss bei jungen Athleten immer damit rechnen, dass sie ihr Potenzial nicht überall abrufen können. Sie selbst fordern das Optimum von sich und ziehen ein Scheitern nicht in Erwägung. Das ist auch gut so. Ich weiß aber, dass nicht immer alles nach Wunsch verläuft. Insofern sind die eigenen Erwartungen der Athleten sicher höher als meine.
Vor zwei Jahren kam das deutsche Team mit 23 Medaillen aus Tallinn zurück. Ein stolzes Ergebnis. Ist das der Maßstab, den Sie auch in diesem Jahr anlegen?
Dietmar Chounard:
In den vergangenen Jahren sind besondere Jahrgänge groß geworden, mit einem David Storl oder einer Gesa Felicitas Krause. Der Erfolg fing schon 2009 in Novi Sad an, wo wir zehn Goldmedaillen geholt haben. Das deutsche U20-EM-Team in diesem Jahr ist kleiner. Das hat sich schon vor zwei Jahren bei der U18-WM in Lille abgezeichnet, wo nur 27 DLV-Athleten gestartet sind.
Und es fehlen in Rieti die U18-Athleten…
Dietmar Chounard:
Das ist richtig, die Athleten der Jahrgänge 1996 und 1997, die auch die Norm für Rieti erfüllt haben, haben sich für einen Start bei der U18-WM in Donetsk entschieden. Ich denke da an Patrick Müller oder Gina Lückenkemper. Aufgrund der zeitlichen Nähe der beiden Veranstaltungen war ein Doppelstart in diesem Jahr ausgeschlossen. Sonst hätten wir vermutlich noch 20 Athleten mehr mit nach Rieti nehmen können. Dennoch: Zwischen Gold und dem fünften Platz ist in vielen Disziplinen alles möglich. Ich traue den Athleten einiges zu. Die Frage ist eher, ob sie ihrem eigenen Druck standhalten.
Was passiert, wenn sie das nicht schaffen – wenn sie also in ihren eigenen Augen scheitern? Wer fängt sie da wieder auf?
Dietmar Chounard:
Ich halte es für wichtig, dass die Athleten sich zunächst selbst damit auseinander setzen. Wir müssen ihnen die Chance geben zu reflektieren: Was ist da gerade passiert? Die Athleten kennen sich ja in vielen Situationen noch gar nicht. Sie müssen lernen mit Niederlagen umzugehen. Dasselbe gilt im Übrigen für den Erfolg: Auch damit müssen junge Athleten erst einmal fertig werden. Wenn sie das schaffen, gehen sie gestärkt aus den jeweiligen Situationen hervor.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Dietmar Chounard:
Nehmen wir Gregor Traber, der vor zwei Jahren als großer Hürden-Favorit im Vorlauf mit Fehlstart ausgeschieden ist. Natürlich war er am Boden zerstört. Aber wir sind nicht gleich hingerannt und haben ihn aufgefangen. Er brauchte seine Zeit, um damit fertig zu werden. Das Team stand hinter ihm und als Ansprechpartner zur Verfügung. Wir haben immer erfahrene Trainer und Betreuter dabei, die bei Bedarf zur Verfügung stehen. Am Beispiel Traber sieht man auch: Es geht weiter nach einer Niederlage. Es ist nicht entscheidend, dass man schon im Nachwuchsalter große Erfolge feiert. Aber die Athleten sehen das natürlich in der Situation anders.
Wer wäre denn in Rieti reif für den großen Erfolg?
Dietmar Chounard:
Wir haben zum Beispiel im Weitsprung mit Fabian Heinle und Stephan Hartmann zwei außergewöhnliche Talente. Stephan Hartmann war einige Wochen verletzt und man muss abwarten, wie er zurechtkommt. Aber wenn ihm nicht jetzt der große Sprung gelingt, dann eben in zwei Jahren. Patrick Zwicker ist über 800 Meter der Favorit. Wir haben im Weitsprung der weiblichen Jugend in der Breite ein internationales Top-Niveau. Und Julian Weber will im Speerwurf beweisen, was er kann. Es ist seine erste internationale Meisterschaft. Klar hat er jetzt schon den Sieg vor Augen. Aber später gilt’s! Und da bringen er und die anderen Athleten die Erfahrung aus Rieti schon mit.
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