Dietmar Chounard - Keine "Amme für Halbwüchsige"
Für Dietmar Chounard, Leistungssportkoordinator der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) der baden-württembergischen Leichtathletikverbände (BWLV) und künftiger Bundestrainer, könnte der Tag noch mal 24 Stunden haben - langweilig würde ihm auch dann nicht werden.
Dietmar Chounard: Das Auto ist sein rollendes Büro
Phasenweise führt der Mann täglich zwischen 30 und 50 Telefongespräche ("wenn's brennt klingelt das Telefon auch morgens um halb sieben und abends um zehn immer noch"), redet sich den Mund fusselig, diskutiert mit Lehrern, Direktoren, Eltern oder Athleten. Rund 50.000 Kilometer fährt er im Jahr, quer durch Deutschland. "Mein Auto ist mein rollendes Büro", meint Dietmar Chounard. Mit Freisprechanlage, guten Argumenten, einer Eselsgeduld und Hartnäckigkeit hat Dietmar Chounard schon manch zaudernden Gesellen überzeugt.Die Zeiten hierzulande sind nun bald vorbei - denn ab 1.Januar 2005 wird er seine alte Stelle verlassen und beim Deutschen Leichtathletikverband (DLV) als Bundestrainer für die U20 und U23 einsteigen. Seine neue Aufgabe in Darmstadt: den DLV-Nachwuchs zu internationalen Meisterschaften führen. Sprich: die Rahmenbedingungen schaffen, damit Hochleistungssport auf hohem Niveau möglich ist. "Das Ziel ist, einen nahtlosen Übergang zu schaffen vom Juniorenbereich in die internationale Spitze", sagt Dietmar Chounard. "Leistungssport ist trotz schulischer oder Studienbelastung sehr wohl möglich", sagt er. Und genau genommen unterscheidet sich seine derzeitige Tätigkeit nicht sehr vom neuen Aufgabenfeld - mit einer Ausnahme: künftig gehören die Athleten allen 16 Bundesländern an, anstatt "nur" Baden-Württemberg.
"Gott sei Dank brauche ich wenig Schlaf"
Er will ein Netzwerk aufbauen, das letztendlich alle Stellen miteinander verzahnt - den Sport, die Unis oder Schulen, die Kultusministerien und Oberschulämter, die Olympiastützpunkte und nicht zu vergessen die Eltern der Athleten. Sein Markenzeichen: sein unerschöpfliches Energiereservat. "Gott sei Dank brauche ich wenig Schlaf", sagt er grinsend. Und wenn er wirklich mal abschalten kann, liest er gerne - Werke von Heinrich Böll oder Bücher von Thomas Mann - oder auch spannende Biografien von interessanten Persönlichkeiten. Dietmar Chounard mag sowohl Klassik als auch Pop. "Ich besuche gerne Konzerte, liebe es durch Galerien zu schlendern und liebe mediterrane Länder und gute Küche", verrät er seine persönlichen Vorlieben.
Fünf Jahre war der gebürtige Badener bei der "Arge" Baden-Württemberg. Seine vorherrschende Aufgabe: das soziale Umfeld der Athleten zu strukturieren und optimieren. Im Klartext hieß das: den Schulalltag versuchen zu entzerren, sich um Nachhilfe für diverse Sportler oder Studienangelegenheiten zu kümmern. Denn die Athleten dürfen die Karriereplanung neben der Leichtathletik nicht aus den Augen verlieren. "Pro Jahr habe ich rund 20 bis 30 Schüler verarztet plus 20 Studenten", erzählt Dietmar Chounard. Sein Job hat ihm viel Spaß gemacht. "Das Spannende daran ist, dass man ein Stück weit Einfluss nehmen kann, um die Voraussetzung für Höchstleistungen zu schaffen". Der 45-Jährige weiß: "Wer in Mathe auf Fünf steht, hat abends keinen freien Kopf mehr um zu trainieren." Einer Studie zu Folge streben 70 Prozent der Kaderathleten in der Leichtathletik den höheren Bildungsabschluss an. Das muss mit dem aufwändigen Training koordiniert werden.
"Man muss immer über den Tellerrand hinausschauen"
Allerdings sieht sich Dietmar Chounard keineswegs als "Amme für Halbwüchsige" oder als Servicestation - eher als Pädagoge. "Ich mache den Athleten schon klar, dass ein bilaterales Verhältnis entstehen muss." Dabei fordert er ein gewisses Maß an Mitarbeit der Sportler. "Ich bin nicht das Kindermädchen. Ich habe immer darauf geachtet, dass die Jugendlichen zu mündigen Athleten erzogen werden", sagt der Mann, der mit seiner Familie im badischen Wiesloch wohnt. Fuchsteufelswild wird er eigentlich nur, wenn "die Leute unehrlich sind. Unaufrichtigkeit hasse ich", sagt der 45-Jährige, der täglich "einen riesigen Stapel Zettel abarbeitet". Im Kopf und auf dem Papier.
Seine Devise: "Man muss immer über den Tellerrand hinausschauen". Das hat er immer beherzigt - und sich viele wertvolle Kontakte aufgebaut. Dabei profitierte er auch von früheren Tätigkeiten wie etwa das Lehrwesen in Baden oder die Traineraus- und Fortbildung. Sein Anliegen: er möchte etwas bewegen. Das Entwicklungshilfeprojekt in diesem Zusammenhang, das er für das Nationale Olympische Komitee (NOK) zusammen mit Ingo Röber 1986 in Uganda absolviert hatte, verbucht er dabei unter der Kategorie "Selbsterfahrung". Die beiden Männer gerieten während ihres Aufenthalts in extreme politische Unruhen.
"Es gibt viele Potenziale, die längst noch nicht ausgeschöpft sind"
Aber auch auf ganz anderem Terrain hat der künftige Bundestrainer seine Erfahrungen gemacht und kann nun mitreden: er hat ein Jahr Erziehungsurlaub genommen, um seine Frau Karin zu unterstützen. Der Familienvater zweier Söhne - Jan ist 18, Jonas zehn - stammt aus Lörrach, ist auch in dem Ort nahe der Schweizer Grenze aufgewachsen. Leichtathletik hat ihn immer begeistert. Mit 14 Jahren hat er mit dem Zehnkampf angefangen. "Für den Hausgebrauch", sagt er und grinst. Später agierte er bei der LG Kurpfalz als Coach, bevor er Mitte der 90er Jahre Stützpunkttrainer Mehrkampf in Baden-Württemberg wurde. Er studierte Betriebswirtschaft und Sport in Heidelberg und kam von der Leichtathletik nicht mehr los. Ganz leicht gefallen ist es ihm nicht, seine Stelle im BWLV aufzugeben. "Der Job im Land hat noch viele Möglichkeiten und Potenziale, die längst noch nicht ausgeschöpft sind", sagt er.
Doch das Angebot des DLV konnte und wollte er nicht ausschlagen. Was ihn erwartet, kann er im Moment nur erahnen. "Aber ich glaube, es wird einige Schnittstellen zu meiner alten Arbeit geben", sagt Dietmar Chounard. Aber eins lässt sich jetzt schon erahnen: Er wird sich weiterhin wünschen, der Tag möge noch mehr als 24 Stunden haben....