Dittmar sorgte für trockene Tücher - Bartels für die Medaille
Heike Drechsler oder Dieter Baumann. Nach den Namen des ersten deutschen Medaillengewinners bei den 18. Leichtathletik-Europameisterschaften gefragt, hätte man diese beiden Antworten wohl am häufigsten bekommen. Den Namen Ralf Bartels hatten dagegen nur die wenigsten auf der Rechnung. Zwar rangierte der Deutsche Meister im Vorfeld mit 20,85 Meter auf dem fünften Platz der europäischen Bestenliste, der spanische "Bär" Manuèl Martinez, die Skandinavier Joachim Olsen und Arsi Harju sowie der Ukrainer Juri Belonog schienen jedoch außer seiner Reichweite.
Wo sind denn nur meine Handtücher? (Foto: Kiefner)
Deshalb war das Bartels Ziel im Vorfeld auch lediglich der achte Platz, der ihm bei den Hallen-Europameisterschaften in Wien als Neunter noch verwehrt blieb. Er startete mit ordentlichen 20,10 Metern, um dann drei Mal in Folge an der 20-Meter-Marke zu scheitern. "Erst als mein achter Rang sicher war, habe ich so richtig angegriffen", fand Ralf Bartels danach eine Begründung für seine eher verhaltenen Stöße. Was dann allerdings folgte, war eine wahre Leistungsexplosion. Bartels legte sich unter dem rhythmischen Klatschen der 29.000 Zuschauer die Kugel zurecht, glitt dynamisch an und katapultierte sein 7,26 Kilogramm schweres Arbeitsgerät auf 20,58 Meter.Bronze vor 29.000 Zuschauern
"Ich bin selbst von mir überrascht", sprach Bartels am späten Abend im DLV-Sponsoren-Club das aus, was viele dachten. Wenn auch unerwartet, gegönnt hat ihm diesen Erfolg wohl jeder. Ralf Bartels galt schon als Jugendlicher als Ausnahmetalent. 1996 wurde er in Sydney Junioren-Weltmeister – ein Jahr später sicherte er sich in Ljubljana den Titel des Junioren-Eeuropameisters. Der Übergang in den Männerbereich fiel dem sympathischen Mecklenburger allerdings sehr schwer. Erst als 24-Jähriger sicherte er sich in Wattenscheid den ersten deutschen Titel, dass er aber ein Monat später vor 29.000 Zuschauern Bronze bei einer EM holen würde, war wirklich nicht zu erwarten.
Sein Trainer Gerald Bergmann konnte den Erfolg seines Schützlings dagegen nur am Fernsehschirm verfolgen. Was Bartels schon ein bisschen ärgerte: "Es ist immer ungünstig, wenn man einen Wettkampf ohne Trainer bestreiten muss. Vor allem, wenn nur die Kleinigkeit einer Akkreditierung dazwischen steht. Aber vielleicht ändert sich das dank der Medaille in Zukunft."
Kurzes Schläfchen
In München sprang dafür die große Kugelstoß-Familie in die Bresche. Der 125 Kilogramm-Hüne war im Schoße seiner starken Kollegen Andy Dittmar und Detlef Bock bestens aufgehoben. Obwohl die beiden mit eher enttäuschenden Leistungen bereits am Vormittag in der Qualifikation die Segel streichen mussten, begleiteten sie den verbliebenen Hoffnungsträger den ganzen Tag über. Nachdem Ralf dem Athletendorf für ein Schläfchen einen Besuch abgestattet hatte, wurde den ganzen Nachmittag über Karten gespielt. Alles, um den 24-Jährigen vor dem Finale abzulenken. Selbst beim Einstoßen musste sich Bartels nicht allein fühlen.
Den größten Dienst erwies ihm allerdings Andy Dittmar kurz bevor er in das Olympiastadion entschwand. "Ralf wusste genau, dass es in Strömen regnet und hat trotzdem nur ein Handtuch mitgenommen", schüttelte Detlef Bock noch Stunden später den Kopf. "Zum Glück hatte Andy in weiser Voraussicht noch ein paar mit eingepackt." Mit genügend Frottee, um Kugeln und Schuhe halbwegs trocken halten zu können, konnte Bartels dann im fünften Versuch auch die Bronzemedaille ins Trockene bringen.
Für sein Ziel, "einmal bei einer WM oder bei Olympischen Spielen ganz vorne zu landen", hat Bartels nun bei den Europameisterschaften erfolgreich geprobt. Für Paris (2003) und Athen (2004) kann er nur hoffen, dass auch Andy Dittmar und Detlef Bock die Qualifikation schaffen. Ob Regen oder Sonnenschein er wird sie wieder brauchen.