Dr. Clemens Prokop - „Athleten mehr steuern“
Knapp ein Jahr vor den Weltmeisterschaften in Berlin sieht Dr. Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), positive Trends in der deutschen Leichtathletik. Mit leichtathletik.de und der Fachzeitschrift leichtathletik sprach er über Möglichkeiten, Athleten bessere Rahmenbedingungen für ihre Vorbereitung zu bieten sowie die Notwendigkeit, Sportler besser steuern zu können.
Herr Dr. Prokop, vor einer Woche waren Sie mit einer WM-Delegation in Washington beim Empfang des deutschen Botschafters zum Tag der Deutschen Einheit. Was haben Sie dort erlebt?Dr. Clemens Prokop: Die Botschaft hat die WM in unglaublicher Weise unterstützt. Bei diesem Empfang sind fast 3.000 hochkarätige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Medien erschienen und Botschafter Dr. Scharioth hat die WM in den Mittelpunkt der Veranstaltung gerückt. Am Eingang zur Residenz lag anstelle eines roten Teppichs diesmal eine blaue Laufbahn, wie wir sie aus dem Berliner Olympiastadion kennen, das Gebäude war mit WM-Bannern beflaggt. Populäre US-Athleten wie die Olympiasieger LaShwan Merritt und Bryan Clay haben für Berlin geworben. Und was haben Sie aus den USA für Berlin mitgebracht? Dr. Clemens Prokop:
Vor allem Kontakte, wie den zu dem stellvertretenden US-Finanzminister. Beim Abendessen war ich erstaunt darüber, wie gut sich ein Politiker wie Robert M. Kimmit nicht nur in der Leichtathletik insgesamt, sondern sogar in der deutschen Leichtathletik auskennt. Er hat bereits in Aussicht gestellt, zur WM nach Berlin zu kommen. Außerdem haben wir nach meinem Eindruck in Washington viele Multiplikatoren für die Weltmeisterschaften begeistern können. Skizzieren Sie doch einmal, wo die deutsche Leichtathletik gut 300 Tage vor der WM 2009 in Berlin steht. Dr. Clemens Prokop:
Insgesamt verzeichnen wir in vielen – nicht allen – Bereichen einen positiven Trend, auch wenn das Ergebnis in Peking nicht so erfreulich war, wie wir uns das gewünscht hätten. Woran machen Sie das fest? Dr. Clemens Prokop:
Beispielsweise an den Erfolgen im Nachwuchsbereich. Bei den U20-Weltmeisterschaften im polnischen Bydgoszcz war unter den zehn deutschen Medaillengewinnern eine ganze Reihe von Athleten, die ihr Training noch längst nicht ausgereizt haben und dennoch schon nah am Top-Niveau der Erwachsenen sind. Das eröffnet diesen Talenten sehr gute Perspektiven für die künftige Leistungsentwicklung. Die Nachwuchserfolge können allerdings nicht über den insgesamt unbefriedigenden Auftritt der deutschen Leichtathleten bei Olympia in Peking hinwegtäuschen. Was für Konsequenzen zieht der Hochleistungssport im DLV daraus? Dr. Clemens Prokop:
Wer nach Konsequenzen aus dem Olympia-Abschneiden ruft, muss erst einmal die Ursachen erforschen. An dem System, wie wir im Hochleistungssport - mit unseren wirtschaftlichen Möglichkeiten - arbeiten, kann es nicht entscheidend gelegen haben, denn mit diesen Strukturen haben wir von 2005 bis 2007 unsere Ergebnisse bei internationalen Höhepunkten kontinuierlich verbessert.
Aber warum hat das System dann ausgerechnet bei Olympia nicht funktioniert? Dr. Clemens Prokop:
Die Erklärungen sind von Athlet zu Athlet unterschiedlich. Insgesamt war es aber ein Problem, dass zu viele Athleten die guten Trainingsleistungen, die sie bei der Olympiavorbereitung in Japan gezeigt haben, nicht in genauso gute Wettkampfergebnisse in Peking ummünzen konnten. Das müssen wir deutlich verbessern. Außerdem haben auch in diesem Jahr nicht alle Athleten ihre Saisonplanung und ihre Vorbereitung zu einhundert Prozent auf den internationalen Höhepunkt ausgerichtet. Für manche Athleten war das Geldverdienen im Vorfeld der Olympischen Spiele so wichtig, dass sie sich nicht so optimal auf Peking vorbereitet haben, wie es eigentlich nötig gewesen wäre. Der DLV muss in Zukunft seine Athleten stärker steuern als bisher. Wie kann das in einer Individualsportart funktionieren, in der jeder Athlet sein Einkommen aus ganz verschiedenen Quellen neben der Förderung durch den Verband selbst bestreiten muss? Dr. Clemens Prokop:
Der DLV arbeitet derzeit an einem Modell, in dem Wirtschaftsunternehmen Patenschaften für einzelne Athleten übernehmen. Konkret bedeutet das, dass die Athleten in den Firmen angestellt werden, Verträge unterzeichnen und ein Gehalt erhalten, aber von den üblichen Arbeitspflichten im Unternehmen freigestellt werden. So könnten sich die Athleten ohne wirtschaftliche Sorgen voll auf Training und Wettkampf konzentrieren. Bestandteil der Verträge wäre es, dass die Athleten die Steuerungsvorgaben des DLV bei der Saisonplanung einhalten. Das wäre ja dann fast der vor Jahren schon einmal diskutierte „DLV-Vertragsathlet“... Dr. Clemens Prokop: …faktisch ja. Das Modell ist für die Athleten sehr interessant, weil es auch Fragen der Sozial- und Rentenversicherung löst. Es würde sogar studierenden Athleten ermöglichen, ihre Ausbildung zugunsten des Hochleistungssports zeitlich zu strecken, ohne dadurch nach der Karriere im Sport finanzielle Nachteile zu haben. Ich hoffe, dass wir ein solches Modell realisieren können. Wann wollen Sie den ersten Athleten solche Verträge anbieten? Dr. Clemens Prokop:
Wir versuchen, es noch für die WM-Vorbereitung auf Berlin 2009 umzusetzen. Wenn alles optimal läuft, könnten wir noch dieses Jahr die ersten Verträge anbieten. Das grundsätzliche Feedback bei mehreren Unternehmen ist jedenfalls positiv. Mit einem solchen Engagement im Hochleistungssport verbessern sie ja auch ihr Image. Aber zwischen Interesse und Vertragsunterzeichnung muss noch ein Weg zurückgelegt werden. Teil 2 des Interviews