Dr. Clemens Prokop - „Beobachte Reformbedarf“
Im Interview mit leichtathletik.de und der Fachzeitschrift leichtathletik spricht DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop über Strukturen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und eine mögliche Umgestaltung von Deutschen Meisterschaften. Zudem betont er die Wichtigkeit des Schulsports und regt eine Entwicklung der DLV-Trainerschule zu einer Berufsakademie an. Lesen Sie heute Teil 2 des Interviews.
Teil 1 des Interviews Vor Olympia haben Sie den DLV als „mittelständisches Unternehmen mit den Strukturprinzipien eines Gesangsverein“ bezeichnet. Sind Sie mit der Reform der Strukturen seitdem schon weitergekommen? Dr. Clemens Prokop:Nein, die Strukturen können erst beim nächsten Verbandstag im Herbst 2009 verändert werden. Aber ich verfolge mit großer Freude die muntere Diskussion, die im Verband über mögliche Reformen entbrannt ist. Dabei werden höchst unterschiedliche Interessen und Vorstellungen von der Zukunft der Leichtathletik deutlich. Was wollen Sie denn konkret verändern? Dr. Clemens Prokop:
Es geht vor allem um das Verhältnis von Ehrenamt und den hauptberuflichen Mitarbeitern des Verbandes. In diesem Bereich unterscheidet sich der DLV tatsächlich nicht von einem kleinen Verein auf örtlicher Ebene: Nach der Satzung sind theoretisch die ehrenamtlichen Funktionsträger für alles verantwortlich und die hauptamtlichen Kräfte arbeiten ihnen lediglich zu. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieses Modell bei einem Verband von der Größe des DLV langfristig funktionieren kann. Wir brauchen kurze Entscheidungswege, klare Aufgabentrennungen und ein Höchstmaß an Professionalität. Diesen Anforderungen werden wir in der jetzigen Struktur nicht gerecht. In Gremien wie unserem Verbandsrat kann es immer wieder zu Interessenskonflikten kommen: Die Landesverbandspräsidenten müssen beispielsweise Interessen ihre Landesverbandes vertreten, die durchaus mit denen des DLV kollidieren können. Gleichzeitig sollen sie in solchen Fällen die gegenläufigen Interessen des DLV wahrnehmen. Damit drohen Lähmungen, wo schnelle Entscheidungen gefragt sind. Die Diskussion um eine neue Verbandsstruktur ist aber sicherlich nicht die einzige Zukunftsaufgabe in der Leichtathletik… Dr. Clemens Prokop:
…natürlich nicht. Ich beobachte einen regelrechten Reformbedarf, die unsere Sportart in den vergangenen Jahren unter den veränderten Rahmenbedingungen entwickelt hat. Einige Maßnahmen müssen noch bis zur WM 2009 greifen, andere sind mittel- oder langfristig zu realisieren. In den nächsten Monaten versuchen wir die deutsche Leichtathletik mit einem zusätzlichen Finanzpolster aus privaten Quellen auszustatten. Dazu schwebt mir neben den Athleten-Patenschaften von Unternehmen noch ein weiteres Modell vor, das sich vom klassischen Sponsoring deutlich unterscheidet: Wir müssen Unternehmen überzeugen, das erfolgreiche Abschneiden der deutschen Leichtathleten bei der WM in Berlin als nationale Aufgabe zu betrachten – dann ist die Wirtschaft vielleicht bereit, in eine Art Stiftung für die deutsche Leichtathletik zu investieren. Ihre Beiträge zu diesem Fond würden dann vom Verband ausschließlich für die Leistungsverbesserung der Spitzenathleten aufgewendet. Geld ist ohne Frage wichtig, aber die bedeutendste Zukunftsfrage einer Sportart ist doch, wie sie attraktiv für junge Menschen bleibt. Wie kann die Leichtathletik das langfristig erreichen, zumal ihre Bedeutung für den Schulsport derzeit dramatisch abnimmt? Dr. Clemens Prokop: Deshalb ist der Schulsport für die Leichtathletik ein zentrales Thema. Im DLV sollte spätestens nach dem Verbandstag 2009 ein neues Referat gegründet werden, das sich speziell der Leichtathletik in Schule und Verein widmet. Der Trend zur Ganztagesschule gibt der Leichtathletik die Chance, neue Wege im Schulbereich einzuschlagen, z.B. mit Vergleichswettkämpfen zwischen Schulen, wie sie in den USA und Frankreich existieren, die Freude an der Leistung und am Vergleich wieder mehr Kindern und Jugendlichen vermitteln. Der DLV könnte hier ein neues Wettkampfsystem der Schulen organisieren. Damit würden Schulen auch Aufgaben übernehmen, die bisher das Kerngeschäft der Vereine sind…
Dr. Clemens Prokop: … der DLV sollte künftig auch für die Vereine viel stärker als bisher eine Anlaufstelle sein, wo sie sie sich beraten lassen können, wie sie die Attraktivität der Leichtathletik im Verein steigern können. Ich könnte mir vorstellen, dass sogar die Bundestrainer in die Vereine gehen und Trainingsstunden als Muster gestalten. Wie ist es eigentlich um den Trainer-Nachwuchs in der Leichtathletik bestellt? Dr. Clemens Prokop:
Die Gewinnung von Trainern und ihre Qualifizierung ist eine weitere zentrale Zukunftsaufgabe. Dafür müssen wir ein neues Konzept erarbeiten. Mein Ziel ist es, die Trainerschule des DLV in Mainz zu einer zentralen Berufsakademie in diesem Bereich zu entwickeln. Wir sollten sie so weit aufrüsten, dass sie den akademischen Grad „Bachelor“ verleihen darf. Damit hätten wir dann endlich ein Berufsbild des Leichtathletik-Trainers bzw. des Leichtathletik-Pädagogen, das für junge, engagierte Leute attraktiv wäre. Mit einer breitgefächerten Wissensvermittlung per online bzw. eLearning könnte eine Art Fernstudium ermöglicht werden. Sie sprühen vor Ideen für die Zukunft, die wie das Programm für eine dritte Amtszeit als DLV-Präsident klingen. Werden Sie auf dem Verbandstag in einem Jahr wieder zur Wahl stellen? Dr. Clemens Prokop:
Von der Satzung her steht einer dritten Amtszeit nichts im Wege. Die Entscheidung hängt nicht unwesentlich davon, ob meine Ziele im Verband realisierbar sind. Wenn im Wesentlichen nicht, wäre ich sicherlich der falsche Mann. Außerdem mache ich keinen Hehl daraus, dass ich auch noch Ziele in meinem Beruf habe. Ihr Sportdirektor Jürgen Mallow geht 2009 in Rente. Sind mit den Cheftrainern Rüdiger Harksen und Herbert Czingon die Kandidaten für seine Nachfolge als Sportdirektor schon festgelegt? Dr. Clemens Prokop:
Nein, die ist vollkommen offen. Die Position des Sportdirektors wird Anfang 2009 national, vielleicht sogar international, ausgeschrieben. Wenn feststeht, wer der neue Sportdirektor ist, wird gemeinsam mit ihm festgelegt, wie der Hochleistungssport im DLV künftig strukturell und personell aufgestellt sein wird. Vor Ihnen persönlich liegt ein extrem arbeitsreiches Jahr. Wie vereinbaren Sie Ihre Tätigkeiten für DLV und BOC eigentlich mit Ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Direktor des Amtsgerichtes in Kelheim? Dr. Clemens Prokop:
Die Anforderungen ans Ehrenamt wachsen stetig. Ich kann ihnen nur gerecht werden, indem ich meinen gesamten Jahresurlaub und meine gesamte Freizeit einbringe, um DLV-Termine wahrzunehmen. Als Präsident des BOC konnten Sie mit der Post bislang erst einen nationalen Sponsor der WM präsentieren. Wie ist der Stand der Dinge auf diesem Gebiet? Dr. Clemens Prokop:
Es wird Sie angesichts der Ihnen bekannten Situation sicher verblüffen, wenn ich sage, dass die Entwicklung bei den WM-Sponsoren durchaus erfreulich ist. Aber außer der Post haben wir eine Reihe von Sponsoren, mit denen wir uns inhaltlich weitgehend schon einig sind. Es sind noch einige Detailfragen mit dem Weltverband IAAF zu klären. Ich bin optimistisch, dass wir bis zum Ende des Jahres drei der maximal fünf nationalen Sponsoren der WM nennen können. Für 2012 ist eine EM in Deutschland im Gespräch. Welche Städte kommen als Ausrichter in Frage? Dr. Clemens Prokop:
Momentan bieten sich München und Nürnberg an. Beide Städte sind reizvoll. München ist ein vor dem Hintergrund der Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2018 sehr interessanter und bewährter Partner. Nürnberg kann ein Stadion in die Waagschale werfen, das von der Größe her gut für diese Leichtathletik-EM geeignet ist. Für Nürnberg spricht auch der Reiz des Neuen. Dort gab es noch nie solch eine Veranstaltung. Während die Serie von internationalen Höhepunkten in Deutschland nicht abzureißen scheint, kämpfen Meetings und auch die nationalen Titelkämpfe hart um Zuschauer und Fernsehzeiten. Nach 2009 steht sogar das ISTAF in Berlin auf der Kippe. Wie beurteilen Sie die Situation der DLV-Veranstaltungen? Dr. Clemens Prokop:
Wir als DLV müssen dringend den Unterhaltungswert unserer eigenen Veranstaltungen erhöhen, um die Zuschauerzahlen zu verbessern. Wir müssen hier vieles auf den Prüfstand stellen. Beispielsweise glaube ich, dass die Deutschen Meisterschaften umgestaltet werden sollten, um ein Höchstmaß an Attraktivität für die Zuschauer zu erreichen. Die Meisterschaften sollten in zwei Abschnitte geteilt werden: Vormittags Vorläufe und Qualifikationen und am Nachmittag folgt dann in einem geballten Programm ein Finale auf das andere. So können wir den Spagat zwischen einem Familienfest der Leichtathletik und einem Event für ein breiteres Publikum schaffen. Ohne viele leistungsstarke Stars, die viele Deutsche kennen, wird es aber auch mit einem veränderten Programm schwer, wieder mehr Menschen zu Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften ins Stadion zu locken… Dr. Clemens Prokop: …das ist richtig, wir brauchen Stars, die Strahlkraft entfalten. Unser Problem ist gerade, das wir keinen „Hambüchen der Leichtathletik“ haben, dessen sportliche Laufbahn zum nationalen Allgemeingut gehört. Deshalb ist die Entwicklung im Hochleistungssport auch so zentral für uns, gerade im Hinblick auf die Weltmeisterschaften 2009 in Berlin. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir das Potenzial haben, Stars zu generieren, die weit über das Fachpublikum hinaus Bewunderung finden. Für die Meeting-Macher ist die Fernsehpräsenz in den öffentlich-rechtlichen Sendern der Schlüssel zum Erfolg. Welche Möglichkeiten hat der DLV, für mehr Leichtathletik im Fernsehen zu sorgen? Dr. Clemens Prokop:
Unsere Möglichkeiten sind natürlich begrenzt. Aber wir reden mit den Verantwortlichen und werben für die Leichtathletik. Ich habe mich beispielsweise vor zwei Wochen mit dem ZDF-Intendanten Markus Schächter und seinem Chefredakteur Nikolaus Brender getroffen und die Situation erörtert. Mit ihrer an der Einschaltquote orientierten Konzentration auf den Fußball vernachlässigen die öffentlich-rechtlichen Sender den übrigen Sport, der in seiner ganzen Breite ein wertvolles Kulturgut ist. Ich empfinde es als Skandal, wenn in der ARD-„Sportschau“ am Samstagabend nur Fußball zu sehen ist. Fußball ist wichtig und quotenträchtig, aber er repräsentiert nicht die Bandbreite des Sports in Deutschland. Gebührenfinanzierte TV-Sender müssen auch anderen Sportarten neben dem Fußball eine Plattform bieten. Für 2009 bin ich aber optimistisch, dass im Hinblick auf die WM in Berlin der Leichtathletik bei ARD und ZDF breitere Sendefenster eingeräumt werden. Auch wenn der Radsport in diesen Tagen beim Thema Doping die Leichtathletik wieder mal um mehrere Längen abhängt – wir kommen an dem Thema nicht vorbei. Erwarten Sie, dass die angekündigten Nachkontrollen der bei Olympia genommenen Proben auch in unsere Sportart prominente Athleten auffliegen lassen werden? Dr. Clemens Prokop:
Ich glaube nicht, dass wir eine große Welle von Dopingfällen aus Peking erleben werden. Es war ja bereits vor den Olympischen Spielen bekannt, dass das Blutdopingmittel Cera nachgewiesen werden kann. Wer unter diesen Umständen noch dieses Mittel genommen hätte, wäre tolldreist gewesen. Das ist bei professionellen Dopern nicht zu erwarten.
Teil 1 des Interviews