Dr. Clemens Prokop - „Dynamik setzt sich fort“
Die deutsche Nationalmannschaft kann Barcelona (Spanien) nach den Europameisterschaften, die 16 Medaillenerfolge gebracht haben, mit erhobenem Haupt verlassen. DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop zieht im Interview die Bilanz für die Titelkämpfe.
Dr. Clemens Prokop, wie fällt Ihr Fazit der Europameisterschaft in Barcelona aus?Dr. Clemens Prokop:
Wir sind natürlich sehr zufrieden. Wir konnten die Dynamik, die bei der WM in Berlin mit einer jungen Mannschaft begonnen hatte, hier fortsetzen. Diese junge Mannschaft hat sich bewährt. Sie hat in vielen Fällen das Potenzial aufgezeigt, in die europäische oder Weltspitze vorzustoßen oder hat sich bereits dort etabliert. Es ist erfreulich zu sehen, wie viele Athleten hier persönliche Bestleistungen erbracht haben. Auf diese Weise konnten wir es auch schaffen, die ein oder andere Enttäuschung durch völlig unerwartete Leistungen zu kompensieren. So ergibt sich im Endeffekt ein Bild, das für Optimismus für die nächsten Herausforderungen, sprich die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr, sorgt.
Die deutschen Medaillen sind über alle Bereiche, Sprint und Lauf, Sprung sowie Wurf und Mehrkampf, gut verteilt. Hatten Sie das so erwartet?
Dr. Clemens Prokop:
Ich hatte natürlich darauf gehofft, aber in manchen Bereichen wurden meine Hoffnungen sogar übertroffen. Wir haben hier Leistungen gesehen, auf die wir viele Jahre warten mussten, wie zum Beispiel den 100-Meter-Sieg von Verena Sailer. Das ist der erste Europameistertitel in dieser Disziplin seit zwanzig Jahren. Oder Carsten Schlangen über 1.500 Meter. Er hat eine Silbermedaille gemacht, auch eine Leistung, die wir seit über zwanzig Jahren nicht mehr in Deutschland hatten. Das sind Ansatzpunkte für mich, die von einer Aufbruchstimmung zeugen. Das zeigt eines: Dieser Generationenwechsel, den wir letztes Jahr eingeleitet hatten, beginnt sich bereits auszuzahlen.
Trotzdem gab es mehrere Disziplinen, in denen der DLV bei der EM nicht im Finale vertreten war…
Dr. Clemens Prokop:
Wir müssen in einigen Disziplinen nacharbeiten. Das hat auch hier die Europameisterschaft gezeigt. In manchen Disziplinen hatten wir auch einfach Pech. Wir sind ohne Zehnkämpfer nach Barcelona gereist. Zehnkampf ist in Deutschland eine Traditionsdisziplin. Wir haben hochtalentierte Zehnkämpfer. Durch Verletzungspech konnte leider keiner dabei sein. Hier hoffe ich natürlich, dass der Normalfall wieder eintritt und unsere Zehnkämpfer fit sind, um dann auch in solchen Disziplinen wieder stark vertreten zu sein.
Diese EM weist den Weg zum mittelfristigen Ziel, den Olympischen Spielen 2012. Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse von Barcelona mit dem Blick nach London?
Dr. Clemens Prokop:
Wir haben hier die Athleten gesehen, die im wesentlichen wohl auch 2012 in London am Start sein werden. Wir haben gesehen, wie sich diese Athleten kontinuierlich weiterentwickeln, wie sie ihre Bestleistungen nach oben schrauben. Ich bin einfach mal Optimist und sage: diese Entwicklung wird andauern und sich fortsetzen. Damit werden wir bei den Spielen in London eine Top-Mannschaft am Start haben.
Was läuft jetzt für 2012 besser als zum letzten Olympiajahr 2008?
Dr. Clemens Prokop:
Zum einen muss man anerkennen, dass der Sport keine planbare Größe ist. Wir können die sportliche Leistung nicht durch Zahlen kombinieren, sondern es hängt auch von Glück in der Entwicklung ab. Man muss den Athleten zum richtigen Trainer bringen. In dieser Kombination gibt es dann die Entwicklung. Wir versuchen jetzt nach 2008 ganz verstärkt, den Athleten ein optimales Umfeld aufzubauen, die soziale Lebensplanung mit der sportlichen Lebensplanung möglichst ideal zu kombinieren - im Sinne einer dualen Karriere. In der Mehrzahl der Fälle ist uns das bereits gut gelungen.
Wenn Sie das Abschneiden der deutschen Mannschaft in Barcelona mit den anderen großen Nationen vergleichen, wo steht dann die deutsche Leichtathletik?
Dr. Clemens Prokop:
Insgesamt stehen wir ganz gut da. Russland ist traditionell die dominierende Leichtathletik-Nation in Europa. Daran wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern. Überraschend ist, wie stark die britischen und französischen Mannschaften aufgetreten sind. Bei den Briten weiß man, dass die bevorstehenden Olympischen Spiele nicht nur eine große motivierende Wirkung insgesamt bei den Athleten auslösen, sondern auch die finanzielle Ausstattung der Mannschaft versechsfacht wurde. Diese Zahlen wirken sich entsprechend aus. Bei den Franzosen muss man anerkennen, dass sie auch eine junge und frische Mannschaft an den Start gebracht haben, die beeindruckend gekämpft hat. Wir werden uns auch noch einmal genau ansehen, wie es die Franzosen geschafft haben, in so kurzer Zeit eine so erfolgreiche Mannschaft auf die Beine zu bringen. Wir haben zum französischen Verband intensive Beziehungen. Wir treffen uns jeden Herbst, um unsere Erfahrungen auf dem Gebiet des Leistungssports auszutauschen.
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