Dr. Gabriele Rosa - Der Marathon-Macher
Das ist die Geschichte eines Außenseiters, der nur eines wollte: Erfolg. Die Geschichte eines Übervaters, seiner Sympathien für seine Laufburschen aus dem fernen Kenia. Die Geschichte von Gabriele Rosa, dem Dottore aus Brescia, der seine Methoden mit den Medaillen seiner Schützlinge rechtfertigt und lapidar erklärt: "Siege lassen sich planen."
Dr. Gabriele Rosa, ein Mentor mit Rauschebart (Foto: Hörnemann)
Der Mann brauchte eigentlich seine Ruhe. Über Notizen gebeugt, saß er an einem Tisch im VIP-Zelt und brütete über die Zeiten beim Paris-Marathon, einem der renommierten Frühjahrs-Klassiker. Mike Rotich, der Kenianer, hatte in 2:06:33 Stunden gewonnen. Weltjahresbestzeit! Benoît Zwierzchlewski, der Franzose, war Zweiter geworden. Mit 2:06:36 Stunden hatte er die europäische Bestleistung des Portugiesen Antonio Pinto egalisiert. Vergnüglich lächelte Dr. Gabriele Rosa aus seinem weißen Rauschebart, als ihn immer neue Leute ansprachen. Weil sie mehr wissen wollten über die beiden Protagonisten dieses Rennens, Rotich und Zwierzchlewski, denen er mit Rat und Tat zur Seite steht. Stets antwortete er ihnen geduldig und freundlich, parlierte dabei in akzentfreiem Englisch und war ganz Gentleman der alten Schule.
Nicht anders wird es sein, wenn am Sonntag, knapp sechs Monate später, in Berlin der populärste deutsche Stadtmarathon die Massen mobilisiert. Paul Tergat, der große Tergat, ist auch dabei. Dr. Gabriele Rosa, der Signore aus Bella Italia, betreut ihn. Er ist Macher, Manager, Mentor und Marathon-Trainer in einer Person.
Missionar des Laufens
Dr. Gabriele Rosa sei eigentlich gar kein Trainer, behaupten einige, sondern ein Missionar des langen und ausdauernden Laufens. Denn Dr. Rosa, der Bewegungs-Maniac, der zu seiner Schulzeit selber gern cross und quer durchs Gelände gerannt ist, predigt seinen Athleten: Besiegt euch selbst!
Und so siegen sie über sich und ihre Gegner: 20 erste Plätze waren es im Marathon-Jahr 2000, weitere 25 Erfolge kamen 2001 und auch 2002 dazu, unter anderem in Boston, Rotterdam, New York und in Berlin, wo vor zwölf Monaten ein "Nobody" namens Raymond Kipkoech die unheimlich anmutende Serie der "Rosa-Boys" höchst eindrucksvoll fortsetzte.
Dick im Geschäft
Der "Dottore" ist dick im Geschäft. "Seit über dreißig Jahren bin ich Trainer", schaut er weit zurück, "angefangen hat alles mit Läufern aus Iseo, einem Ort in der Nähe von Brescia, die ich betreut habe, bis ich Gianni Poli kennenlernte." Poli war gerade 21, ein junger Bursche, talentiert und ehrgeizig. 1978 begann ihre Zusammenarbeit. 1981 steigerte er in Fukuoka den italienischen Rekord auf 2:11:19 Stunden. 1986 gewann Poli in New York, dem Mekka der Marathon-Welt, und löste in der Heimat einen wahren Boom aus.
"Marathon made in Italy" wurde zum Gütezeichen. Dr. Gabriele Rosa, Inhaber und Direktor des Centro Marathon" für Rehabilitation und Leistungsdiagnostik in Brescia, war der Wegbereiter. Anfangs hatten sie sich lustig gemacht über ihn, den Emporkömmling aus der Provinz. Sie begriffen nicht, dass da einer in ihre Kreise gekommen war, der bereit war, Sturm zu säen, um Ruhm zu ernten.
Einen Sturm, der sie in die Kulisse fegte, aus der sie später hervortraten, um sich in seinen Erfolgen zu sonnen. "Meine Marathon-Schule in Brescia war die Erste", betont der Sportarzt und Spezialist für Kardiologie, "schon bald kamen weitere dazu: Professor Francesco Conconi und Coach Gian-Paolo Lenzi in Ferrara, Luciano Gigliotti in Tirrenia."
Konkurrenzsituation
Conconi und Lenzi setzten auf Orlando Pizzolato, den zweimaligen New York-Sieger, und Silvio Bettiol. Gigliottis Trumpf-As war Olympiasieger und Doppel-Europameister Gelindo Bordin. "Wir standen in einer Konkurrenzsituation", erinnert sich Dr. Rosa, "jeder verfolgte seine eigenen Trainingsmethoden."
Auch von Blutdoping war des öfteren die Rede. "Das ist richtig", bestätigt er, "aber Brescia ist nicht Ferrara, Dottore Rosa ist nicht Professore Conconi." Den werten Kollegen, der auch mehrere Radprofis wie den Ex-Weltrekordler im Stundenfahren, Francesco Moser, beraten hat, mag er nicht allzu gern.
Moses Tanui, 1991 Weltmeister über 10.000 Meter, 1995 im Halbmarathon, 1996 und 1998 Erster beim Boston-Marathon, war dann der erste Kenianer, mit dem er zusammenarbeitete. 1990, als Tanui in Europa weilte, bat er Dr. Rosa um Rat wegen einer Knieverletzung. Zwei Jahre später coachte er Tanui. "Kenianer lehrten mich, dass sie härtere Belastungen ertragen können als alle anderen Athleten auf diesem Erdball." Er lernte. Sie lernten.
150 Kenianer im Rennstall
Mittlerweile zählen rund 150 Kenianer zu seinem Rennstall, der von "Fila", dem italienischen Sportartikelhersteller, gesponsert wird. Mit finanzieller Unterstützung startete Dr. Gabriele Rosa das "Fila Discovery Program", erst nur in Kenia, inzwischen auch in den USA, um den Nachwuchs zu fördern.
"Wir haben beispielsweise in Kenia mehrere Leute beschäftigt, die sich um die Trainingscamps kümmern." Eins davon befindet sich in Kaptagat, 2600 Meter über dem Meer, ein anderes in Kapsait auf über 3000 Meter Höhe, und in der waldreichen Umgebung geht es noch ein paar weitere Meter den Wolken entgegen.
Die Berge schießen hier so ungestüm in den Himmel, dass sich die Ostafrikaner nach Herzenslust austoben können. Dr. Gabriele Rosa liebt diesen grünen Flecken Erde. "Kenia", sagt er, "ist meine zweite Heimat." Dort oben, wo ein Läufer mit seinem Atem sorgfältig haushalten muss, bewältigen sie allwöchentlich Kilometerrationen von 200 und mehr. Ist das nicht hammerhart?
Training macht sich bezahlt
"Ach was", antwortet der agile Sechziger, "das viele Training macht sich doch bezahlt." Stimmt! Mit grundehrlicher Beinarbeit rennen sie schrittweise ein erkleckliches Vermögen zusammen. Denn bei den Siegprämien, die Elijah Lagat (2:07:41 Stunden / 1997), Josephat Kiprono (2:06:44 / 1999), Simon Biwott (2:07:42 / 2000) und Raymond Kipkoech (2:06:47 / 2000), allesamt seine Schützlinge, in Berlin einkassiert haben, lässt sich daheim wunderbar leben.
Das weiß auch Paul Tergat, der Großverdiener, dessen Marathondebüt in London anno 2001 mit sage und schreibe 200.000 Dollar Antrittsgeld versüßt wurde. In Berlin haben sie ihm die Nummer 1 reserviert. Dr. Gabriele Rosa, sein väterlicher Freund, traut ihm "eine Zeit von 2:04" zu.
Das wäre neuer Weltrekord! Den alten hält Khalid Khannouchi, der gebürtige Marokkaner, der die US-Staatsbürgerschaft angenommen hat.
2:05:38 Stunden ist er im April 2002 in London gelaufen. Tergat, der fünfmalige Cross-Weltmeister, war damals zehn Sekunden langsamer und hat noch eine Rechnung offen. In Berlin will er sie begleichen. Dr. Rosa, der Marathon-Macher, drückt ihm fest, ganz fest die Daumen.