Dr. Heike Kugler - „Das ist unsere Party“
Seit 2005 arbeitet Sportpsychologin Dr. Heike Kugler mit Athleten/innen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) zusammen. Unter anderem betreut sie Kugelstoßerin Nadine Kleinert (SC Magdeburg). Im Gespräch mit leichtathletik.de spricht sie über die bevorstehende WM-Saison, Stärken und Schwächen, Selbstbewusstsein im Sport sowie den Stellenwert der Sportpsychologie im Hochleistungssport.
Dr. Heike Kugler - Olympia wurde aufgearbeitet Frau Dr. Kugler, wie beurteilen Sie das abgelaufene Olympiajahr 2008?Dr. Heike Kugler:
Die abgelaufene Olympiasaison ist differenziert zu betrachten. In der Vorbereitung wurden die Konzepte optimal umgesetzt sowohl von Trainern als auch von Athleten. Das Erlebnis Olympia selbst haben wir natürlich detailliert aufgearbeitet und die richtigen Schlüsse für die WM 2009 in Berlin gezogen.
2009 finden die Weltmeisterschaften in Berlin statt. Wie bereiten Sie die Athleten/innen aus psychologischer Sicht auf dieses Ereignis im eigenen Land vor, damit zum einen bessere Ergebnisse als in Peking herauskommen und zum anderen der eine oder andere stärkere Nerven beim Saisonhöhepunkt zeigt.
Dr. Heike Kugler:
Einen Athleten auf die WM vorzubereiten, ist eine ganz besonders charmante Herausforderung, da es ein Heimspiel im eigenen Land ist. Ich denke, dass zwei Schritte wichtig sind: Zum einen das lösungsorientierte Verarbeiten des Erlebten. Und zum zweiten, dass ein Athlet 2009 nicht einen Rucksack mit unverarbeiteten Dingen dabei hat, sondern dass er mit leichtem Gepäck und Souveränität bei einem guten aktuellen Zustand eine sehr gute Leistung abruft. Wir müssen das Selbstbewusstsein, die Stärken und die Zuversicht stärken. Da ist natürlich die Basis eine optimale Trainingsvorbereitung, die dazu führen muss, sich stark, sicher und selbstbewusst zu fühlen, um sich bei der WM vor großer Kulisse durchzusetzen.
Wenn man selbstkritisch seine Arbeit analysiert, zu welchem Ergebnis kommen Sie persönlich für die abgelaufene Saison? Haben Sie Fehler gemacht? Was hätten Sie im Nachhinein anders gemacht?
Dr. Heike Kugler:
Es gab im Trainingslager in Monte Gordo (Portugal) viele Gespräche mit Trainern und Athleten/innen. Man muss erst einmal zuhören wie der einzelne selbst den Olympia-Auftritt empfunden hat. Wir müssen in erster Linie die persönliche Empfindung richtig werten. Ein Fehler- oder Schuldthema allein hilft dabei nicht, sondern wir müssen herausfinden, was nützlich und weniger nützlich für die Leistung gewesen ist. Wir müssen nicht über, sondern mit den Athleten/innen reden.
Was können Sie konkret tun, um das Selbstbewusstsein der Athleten/innen im WM-Jahr zur stärken?
Dr. Heike Kugler:
Das Selbstbewusstsein eines Athleten oder einer Athletin wird getragen durch das gesamte Umfeld. Man lernt zielstrebig, den Fokus auf das zu richten, wo man hin will. Der Blick sollte immer dahin gehen, was will ich erreichen. Wie komme ich da hin? Wie kann ich den Weg am besten gehen? Am einfachsten macht natürlich Erfolg stark. Wenn Athleten Erfolgserlebnisse zelebrieren können, dann werden sie automatisch stark und rufen ihre Leistung selbstbewusst ab.
Sportpsychologie war noch vor einigen Jahren eher ein Thema, über das wenig in der Öffentlichkeit geschrieben bzw. gesprochen wurde. Inzwischen ist Sportpsychologie ein fester Bestandteil des Hochleistungssports in vielen Sportarten und nicht nur in der Leichtathletik. Wie beurteilen Sie den Stellenwert der Sportpsychologie?
Dr. Heike Kugler:
Die Psychologie im Sport spielt schon wesentlich länger eine wichtige Rolle, aber eben nicht in der Öffentlichkeit, weil man Psychologie oft mit Schwäche verbunden hat und wer wollte schon gerne schwach sein. Erst nachdem sich Athleten/innen geäußert haben – angefangen hat dies bei Boris Becker – eine Sportpsychologie zu erleben, die nach vorne orientiert, zielorientiert, lösungsorientiert und unterstützend erlebt wird, wurde die Sportpsychologie im Hochleistungssport auch in der Öffentlichkeit präsenter. Ich bin überzeugt, dass es eine alltägliche, selbstverständliche Methode ist, Leistung zu modellieren, wie man es im Unternehmens-Kontext mit Personalentwicklung, mit Coachings und Seminaren in vielen Bereichen tut. Dass es im Sport-Kontext in den letzten Jahren präsenter geworden ist, hängt sicherlich mit dem Erfolg ab, der von Athleten/innen explizit formuliert wurde, zu sagen: Das hat mir gut getan, das hat mich weitergebracht. Dadurch hat sich die Sichtweise auf die Sportpsychologie in der Öffentlichkeit verändert, der Stellenwert war schon immer sehr hoch und ist weiter gewachsen.
Die WM in Berlin ist Motivation genug. Muss man den einen oder anderen Athleten trotzdem für diesen Saisonhöhepunkt im Jahr 2009 noch besonders motivieren?
Dr. Heike Kugler:
Die psychologische Betreuung hat immer eine ganz individuelle Seite, weil jede/r Athlet/in eine eigene Persönlichkeit hat, die mit ganz eigenen Erwartungen und Ängsten verbunden ist. Die WM als Heimspiel – das muss die gesamte Mannschaft begreifen. Jeder einzelne muss dieses Heimspiel als Vorteil nutzen und sich emotional darauf einstellen. Aus dem Heimspiel, darf allerdings auch nicht zu großer Druck entstehen, so wie bei der WM in Osaka für die Japaner, die mit dem Druck des Heimspiels überhaupt nicht zu Recht gekommen sind. Die Überzeugung ‚Wow das ist genial, das ist unsere Party, das ist unsere WM, wir wollen sie prägen, wir werden sie tragen‘ – diese Überzeugung wollen wir bei jedem individuell wecken, locken und in Gang bringen.
