Edwards Lieblingslektüre ist die Bibel
Die Halle ließ er sausen, zugunsten der Freiluftsaison. Denn Jonathan Edwards hat große Ziele. Der Dreispringer aus Newcastle, der am 10 Mai 36 Jahre alt wird, will bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in München seinen Titel von 1998 verteidigen.
Der fliegende Engländer Edwards. Foto: Chai
Der symphatische Brite hat alles gewonnen, was es in der Leichtathletik zu gewinnen gibt. Die Krönung war sein Olympiasieg in Sydney 2000 und doch ist er immer noch motiviert bis in die Haarspitzen. Zumal der Vater zweier Söhne - Nathan und Samuel - den Lebensunterhalt mit seinem Sport verdient. Für die EM in Münschen stellte sich der gebürtige Londoner spontan als Botschafter zur Verfügung und wirbt in seiner Heimat für die Veranstaltung, die alle vier Jahre stattfindet.Niederlage gegen Friedek schmerzte
Um im August in Topform zu sein, ist der Weltrekordhalter (18,29) ins Trainingslager nach Florida gereist. Fünf Wochen wird er sich auf die Saison vorbereiten, erst kurz vor seinem Geburtstag wird er wieder zurückkkommen. Und dann wird er einsteigen in den Wettkampfzirkus. Seine stärksten Gegner in Europa sind erwartungsgemäß der junge Schwede Christian Olsson und - falls er wieder richtig fit ist - der Leverkusener Charles Friedek, der Edwards 1999 in Sevilla den WM-Titel wegschnappte. Die Niederlage schmerzte ihn besonders. "Damals hat die Mutter meiner Frau zugesehen. Die hatte Brustkrebs und ich wollte gewinnen - für sie", erinnert sich Jonathan Edwards. Dass ihm sein Vorhaben nicht gelang, schmerzte ihn doppelt. Als die Olympischen Spiele 2000 in Sydney stattfanden ist sie kurz zuvor gestorben. Diesmal holte sich Edwards das begehrte Gold, das er seiner verstorbenen Schwiegermutter widmete.
Vater überredete ihn zum Dreisprung
Seit elf Jahren ist der hagere Brite verheiratet. Seine Frau Alison lernte er in der Kirche kennen. Die Bibel bezeichnet der Sohn eines Vikars und streng gläubige Athlet als seine Lieblingslektüre. "Damit bin ich groß geworden, zuhause lese ich jeden Tag in ihr", erzählt Edwards, der erst 1993 bei der WM in Stuttgart zum ersten Mal auf sich aufmerksam machte. Mit 27 Jahren. Damals holte er überraschend Bronze. Ursprünglich wäre eine Sportkarriere wie Edwards sie heute praktiziert auf Grund seiner Lebenseinstellung gar nicht möglich gewesen.
Denn früher weigerte sich der Dreispringer Wettkämpfe zu bestreiten, sofern sie auf einen Sonntag gefallen waren. Sein Vater soll ihn bestärkt haben, dass er sein Talent nicht vergeuden solle. Es sei ein Geschenk Gottes. Edwards junior wertete dies als Zeichen - und springt seit rund zehn Jahren "rund um die Uhr".
Sein Vater war es auch, der ihn dazu überredetete, den Dreisprung ernsthaft zu betreiben. Früher galt Jonathan als ziemlich trainingsfaul. "Eigentlich habe ich mich viel mehr für Tennis, Rugby oder Cricket interessiert", erinnert sich der Olympiasieger. Doch vor allem seine berufliche Ausbildung war ihm wichtig. Der Sportler studierte Physik an der Durham Universität und schloss das Studium erfolgreich ab. "Aber ich könnte mir nie vorstellen als Physiker zu arbeiten", sagt Edwards.
"Als ich mit dem Dreisprung begann war ich 21 Jahre alt und arbeitete in einem Krankenhaus, dies waren natürlich keine guten Voraussetzungen für eine sportliche Laufbahn. Doch als er 1993 bei der WM in Stuttgart Dritter wurde, glaubte er zum ersten Mal daran "dass das mit dem Springen etwas werden könnte".
Parties hasst er wie die Pest
Edwards reist unheimlich gerne. "Ich mag es Leute und neue Orte kennenzulernen". In der Schule hat er ein wenig Deutsch und Latein gelernt, außerdem spricht er etwas Französisch. Italien, Frankreich und Amerkia sind seine bevorzugten Gegenden.
Der Weltrekordhalter, der mit zuviel Rückenwind schon 18,43 m gesprungen ist, sieht sich nicht als Held. "Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich habe zuhause in Newcastle ein Haus mit einem großen Garten und lebe genauso wie meine Nachbarn. Außer, dass ich bekannt bin, weil ich ein guter Sportler bin und mein Geld damit verdiene. Dafür muss ich auch von den Medien einiges aushalten, wenn es mal nicht so läuft", meint der 1,81 m große und 73 Kilo schwere Athlet, der in seiner Freizeit gerne Gitarre spielt und sofern er Zeit hat, ins Kino geht. Eines hasst er allerdings wie die Pest: Parties. "Ich treffe mich viel lieber mit Freunden, Freunde sind überhaupt das Wichtigste im Leben. Viel wichtiger, als Erfolge", meint der Brite.
Technik und Schnelligkeit sind faszinierend
Jonathan Edwards - der fliegende Engländer ! Das mag etwas abgedroschen klingen, aber da ist in jedem Fall etwas dran. Nicht ohne Grund wird der fast 36-Jährige "Flummi" oder "das menschliche Kängeruh" genannt. Publikum und Experten sind fasziniert von seiner Technik und seiner Schnelligkeit. "Ich bin schneller als die meisten anderen Springer und kann meine Geschwindigkeit sehr gut umsetzen, das ist das ganze Geheimnis", sagt Edwards, der von der britischen Queen Elizabeth zum "Member of the Order of the British Empire" ernannt wurde.
Dass seine Karriere nicht mehr "ewig" dauern wird, ist ihm bewußt. Doch, dass er in ein Loch fallen wird, davor hat der Familienvater keine Angst. "Ich würde den Menschen durch Kongresse oder Seminare gerne Gott näherbringen", plant Edwards. "Ich glaube, ich habe gute Möglichkeiten etwas zu bewegen, denn durch meinen Bekanntheitsgrad hören die Leute mir eher zu." Außerdem ist er Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees und liebäugelt mit einem Job als Kommentator.
Doch noch ist es nicht so weit. Zuvor will er es seinen Gegnern in München noch einmal zeigen. Doch eins ist jetzt bereits sicher: er wird in die Sportgeschichte eingehen. Denn selten hat ein Leichtathlet wirklich alle Titel gewonnen, die es zu gewinnen gibt. Inclusive Weltrekord. Und daran werden sich seine potentiellen Nachfolger noch eine zeitlang die Zähne ausbeißen.