Ein Tag mit…. Claudia Wehrsen
Bundeswehr, Studium, Halbtagsjob oder Profi-Sport - das Leben der Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) ist unterschiedlich. leichtathletik.de darf einen Blick in ihren Alltag werfen und einen Tag hautnah dabei sein. Dieses Mal an der Reihe ist 400-Meter-Hürden-Spezialistin Claudia Wehrsen. Sie dreht seit Jahren ihre Runden – als Athletin, Trainerin und Dozentin.
Der Tag mit Claudia Wehrsen beginnt – wie könnte es anders sein – an der Sporthochschule Köln. Es ist Donnerstag Vormittag, die Reporterin steckte im Stau und kommt zu spät. Die Deutsche Meisterin über 400 Meter Hürden biegt um die Ecke, lächelt mir zu und spricht dabei eindringlich in ihr Telefon: Auch der Mannschaftsbus des DFB-Nachwuchses ist im Verkehr stecken geblieben. „In 10 Minuten sollten sich die Mädels schon warm machen“, erklärt mir die Athletiktrainerin der U20- und U19-Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes. Seit September ist sie für deren Grundlagentraining verantwortlich, schreibt individuelle Trainingspläne und kontrolliert ihre Entwicklung in Leistungstests. 2014 steht die U20-WM in Kanada an, da geht es jetzt ans Eingemachte.
Wir tigern los Richtung Büro, kurz Mails checken – und treffen an der nächsten Hausecke auf den ersten Athleten, den Claudia Wehrsen bisher betreut hat. „Bisher“ deshalb, weil sie ab dem kommenden Jahr nicht mehr im Trikot der Sporthochschule Köln an den Start gehen wird. Doch für Erklärungen dazu ist gerade keine Zeit. Es folgt ein kurzer Austausch über den lädierten Beuger des Sportlers – und schon geht’s weiter im Langsprinterinnen-Schritt. Dass der Blick auf die Uhr ein wichtiger Bestandteil der Hochschul-Dozentin ist, werde ich über den Tag hinweg noch oft miterleben.
Selbst im Büro geht's nur um Leichtathletik
Das Büro im Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaften könnte für Leichtathleten nicht besser liegen: Claudia Wehrsens Fenster liegt auf der Höhe der Ziellinie. Das Zimmer teilt sie sich mit zwei weiteren Leichtathletik-Dozenten. „Meine Kollegen sind großartig“, schwärmt die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Zu dritt, die sie zusammen in einem Raum sitzen, waren sie auf allen internationalen Jugendmeisterschaften 2013 vertreten: Der U18-WM in Donezk (Ukraine), der U20-EM in Rieti (Italien) und der U23-EM in Tampere (Finnland).
Claudia Wehrsen war in der Ukraine mit dabei. „Obwohl ich keine Bundestrainerin bin, hat der DLV bei mir angefragt, ob ich die Sprinter, Langsprinter, Kürzhürdensprinter und Langhürdenläufer mitverantwortlich vor Ort betreuen könnte“, berichtet die ausgebildete B-Trainerin. Und prompt war Lisa-Marie Jacoby, Langhürden-Läuferin vom Erfurter LAC, auf Anhieb erfolgreich: Im Finale lief sie auf den Bronzerang. Ein tolles Erlebnis, auch für die Betreuerin vor Ort, wie Claudia Wehrsen erzählt, als wir schon auf dem Weg zur nächsten Station sind. Der DFB-Bus soll im Anmarsch sein und muss in Empfang genommen werden.
„Ich habe in Bad Neuenahr schon Athletiktraining für den Fußball-Nachwuchs gegeben. Man kennt mich dort, und so wurde ich gefragt, ob ich nicht auch die U20-Mädels-Nationalmannschaft auf Vordermann bringen könnte“, antwortet Claudia Wehrsen auf die Frage, wie sie zu der neuen Aufgabe kam. Die DFB-Truppe reist so extra von Hennef nach Köln, weil dort beste Biomechanische Möglichkeiten für die Tests gegeben sind.
Athletiktraining für den DFB-Nachwuchs
Und dann biegt der DFB-Bus endlich um die Ecke. Die ganze Horde junger Mädels steigt aus und trottet hintereinander zur Leichtathletik-Halle. Entgegen meiner Erwartungen sind sie ruhig, wirken konzentriert und nicht wie eine Gruppe pubertierender 18- und 19-jähriger Mädchen, die die letzten drei Tage zusammen verbracht hat. Auch in der DFB-Sportschule in Hennef war Claudia Wehrsen bei den Tests dabeim, reiste täglich an, weil sie parallel Kurse an der „Spoho“ halten musste. Heute ist der abschließende Tag einer viertägigen Reihe voller Tests und Beweisproben. „Gruppe 1, los geht’s, macht euch warm, wir sind schon zu spät dran!“
Die Fußballerinnen sind warm gelaufen, es geht los. Claudia Wehrsen beobachtet, diskutiert, analysiert. Ins Geschehen eingreifen wird sie jedoch heute noch nicht. Wenn die Ergebnisse der Tests da sind, macht sie sich an die Arbeit. Die Athletiktrainerin passt die Trainingspläne der einzelnen Spielerinnen an, um Defizite zu beheben. Es ist einer der ersten Schritte auf dem Weg zur U20-WM in Kanada. Wer sich heute nicht beweist, braucht sich keine weiteren Hoffnungen zu machen.
Plötzlich ist Claudia Wehrsen wieder aktiv: „Ich bin in fünf Minuten wieder da“, sagt sie und rauscht davon. So schnell, dass ich gar nicht erst reagiere, bis sie schon aus der Tür ist. Getrödelt wird hier nicht! Die Leichtathletik-Dozentin holt ihren Ordner aus dem Büro, in dem ihre Unterlagen für die kommende Leichtathletik-Stunde sind.
Stabhochsprung für Anfänger – mit Claudia Wehrsen
In derselben Halle schlüpft Claudia Wehrsen nun nur wenige Meter von den sprintenden DFB-Mädels entfernt in eine neue Rolle: die der Dozentin. Es ist vier Minuten vor zwölf Uhr, ihre Studenten jedoch noch nicht da, und Claudia Wehrsen muss sich wundern über so viel Unpünktlichkeit: „Sind die alle noch Mittagessen?“ Wer einen Tagesplan hat wie diese Multifunktionsfrau, behält die Uhr im Blick.
Wie sie kurze Zeit später da sitzt auf der Bank vor ihren Studenten, die doch noch alle fast pünktlich eintrudeln, könnte sie eine von ihnen sein. Sie lacht, scherzt, hat ein lockeres Verhältnis zur ihren Schützlingen. Was heute ansteht? Eine Einheit Hürdentechnik vielleicht?
Aber nein, die heutige Veranstaltung trägt den Titel „Einführung in den Stabhochsprung“. Hört, hört! Die Hürdenspezialistin hat auch davon Ahnung. Dazu gehört zunächst einmal eine Runde Stabilisationsübungen. Und was die angeht, das können sich die Studenten inzwischen denken, da macht ihrer Dozentin keiner was vor. „Ich denke, manche wissen, dass ich selbst aktiv bin, manche nicht. Sie haben sicher schon gemerkt, dass ich auch Sport mache und in Google wird man dann schnell fündig“, sagt die Übungsleiterin, und muss selbst ein wenig schmunzeln.
Mittagspause? Keine Zeit!
„Hey, wir haben ja schon halb“, ruft auf einmal einer der Stabhochsprung-Debütanten. Bei ihrem munteren In-den-Sand-Springen hätten sie alle zusammen beinahe vergessen, dass 90 Minuten schon fast abgelaufen sind. Zeit für die Mittagspause, wäre nicht der DFB zu Gast. Also ab in die Mensa – und schnell einen Salat zum Mitnehmen geholt. „Besser einen Salat schwer im Magen, als gar nichts gegessen zu haben“, sagt sie. Das Gemüse wird sie im Stehen auf der Tribüne essen, während die jungen Fußballerinnen Stadionrunden drehen – Ausdauertest mit Laktatmessung steht auf dem Nachmittagsprogramm.
Die ersten Fußballerinnen sind fertig und brechen hastig auf, um ihren Zug am frühen Nachmittag noch zu bekommen. Das ist ein Organisationschaos, es geht hin und her. Die Athletiktrainerin Wehrsen hat dagegen noch einen Termin im Stadion: Eine Freundin hat angefragt, ob sie gegen 16 Uhr für ein paar Übungen vorbeikommen könnte. Und auch die bekommt Claudia Wehrsen in ihrem straffen Zeitmanagement noch unter.
Letzte Station des Tages: Leverkusen
Eine Stunde später trudeln wir nacheinander an der letzten Station des Tages ein: Die Leichtathletik-Halle in Leverkusen. Ab 2014 startet Claudia Wehrsen im rot-weißen Trikot. Mit ihr zusammen wechselt auch ihre Athletin Frederike Hogrebe, U23-EM-Starterin über 400 Meter Hürden, in die 20 Kilometer entfernte Leichtathletik-Hochburg.
Natürlich hatte Claudia Wehrsen wieder einmal besseres Timing und umfuhr die schlimmsten Stau-Strecken. Während ich also einige Minuten später in die Halle komme, läuft Claudia Wehrsen hingegen schon lächelnd an mir vorbei, sie macht sich bereits warm.
Trainer-Athleten-Gespann auf Augenhöhe
Ihr Trainer Tobias Kofferschläger, Bundestrainer Langsprint der Frauen, wartet bereits. „Ich bin den ganzen Tag da. Weil meine Athleten in den Hochschulen hier in der Gegend studieren, kommen viele auch schon vormittags. Wir versuchen das so gut wie möglich zu koordinieren, damit sie auch in Gruppen trainieren können, das ist einfach effektiver. Gerade bei Leuten, die nebenher auch noch was anderes zu tun haben, also studieren, oder einen Job haben, ist das nicht so einfach“, kennt der Trainer die Herausforderung, der sich Claudia Wehrsen täglich stellt.
Die Athletin ist froh, dass sie wieder einen Trainer zur Seite stehen hat, mit dem sie sich abstimmen kann. „In der Hinsicht habe ich mich zurückentwickelt“, sagt Claudia Wehrsen selbst. „Eigentlich habe ich ja genug Erfahrung, um mich selbst zu trainieren. Aber es ist nicht weit nach Leverkusen. Auch Frederike Hogrebe wird jetzt in Abstimmung mit mir von Tobi trainiert. Und außerdem tut es abends manchmal ganz gut, wenn ich mir nicht noch selbst Gedanken machen muss, welche Übungen ich machen könnte, sondern Input und neue Reize von einem bekomme, der selbst genau weiß, was zu tun ist.“
Die Stimmung ist gut, die Athleten untereinander und auch mit ihren Trainern scherzen viel. Auch Claudia Wehrsen und Tobias Kofferschläger verstehen sich schon ohne viel Worte. Es genügen Andeutungen, schon wird ihnen klar, was der andere meint.
Ein Alltag voller Athletik
Viele Abläufe wird die 400-Meter-Hürden-Läuferin allerdings heute nicht mehr machen. Seit elf Stunden ist sie auf den Beinen, ununterbrochen im Einsatz. „Die Spritzigkeit fehlt ein wenig“, gibt sie zu – und prompt kommt die Ansage mit Augenzwinkern vom Trainer: „Jetzt steigern sie sich noch einmal richtig rein, liebe Frau Wehrsen!“Dann ist es bald geschafft. Um 6:45 Uhr klingelte der Wecker. Gestern war sie um 21:30 Uhr daheim, als sie vom Lehrgang in Hennef zurückkam. Das Training beendet sie heute etwa um 20:30 Uhr. „Dann schaffe ich es vielleicht bis 21 Uhr zurück nach Hause“, sagt Claudia Wehrsen und meint damit Köln.
Vier Tage die Woche lehrt sie an der Uni, im normalen Turnus trainiert Claudia Wehrsen acht Mal in der Woche („außer sonntags, der ist immer frei“). Die DFB-Lehrgänge erstrecken sich oft über mehrere Tage an Orten, über die ganze Bundesrepublik verteilt, sodass sie ein bis zwei Mal im Monat drei bis fünf Tage lang wegfährt. Im November ist kein einziges Wochenende frei. Woher kommt die Motivation für so einen Lebensalltag? „Ich habe einfach bei allem, was ich tue, Spaß“, lacht Claudia Wehrsen. Und steht schon wieder am Ablauf.