Ein Tag mit … Stephan Hartmann
Bundeswehr, Studium, Halbtagsjob oder Profi-Sport - das Leben der Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) ist unterschiedlich. leichtathletik.de darf einen Blick in ihren Alltag werfen und einen Tag hautnah dabei sein. Diesmal haben wir Nachwuchs-Weitspringer Stephan Hartmann (LG Nord Berlin) begleitet. Er hat gerade an der TU Berlin begonnen, Biotechnologie zu studieren und möchte sich 2014 in der Männerklasse behaupten.
7.15 Uhr: Etwa um diese Zeit klingelt jeden Dienstag im Berliner Stadtteil Rosenthal der Wecker von Stephan Hartmann. Der Tag beginnt mit Müsli, einer Schale Obst und einem wichtigen Ritual: „Ich frühstücke gemeinsam mit meinen Eltern. Sonst am Tag haben wir kaum die Möglichkeit, zusammenzusitzen“, erzählt der 19-Jährige, der in den vergangenen drei Jahren bei U18-WM, U20-WM und -EM jeweils im Endkampf stand. Er lebt gerne noch im elterlichen Reihenhaus. „Allein zu wohnen kostet mehr und macht mehr Arbeit.“ Auch die Ruhe im Norden Berlins - abseits vom Zentrum - weiß der Weitspringer zu schätzen.8.08 Uhr: Der Bus Richtung S-Bahn-Station fährt ab - den vor 20 Minuten gekriegt zu haben, hätte auch nicht geschadet. Aber heute kommt es nicht ganz so darauf an, pünktlich zu sein. Ziel ist die Rudolf-Harbig-Halle, ganz in der Nähe des Olympiastadions im Westen Berlins. Den Weg kennt Stephan Hartmann gut - als er bis zum vergangenen Sommer noch Schüler war, trainierte er hier oft. Gut eine Stunde dauert die Fahrt. Am Ende des Tages wird der B-Kader-Athlet knapp drei Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln verbracht haben. „Ich versuche dabei immer etwas Sinnvolles zu tun.“ Das heißt entweder für die Uni lernen oder auch mal die Augen zu machen - ein bisschen Entspannung zwischendurch muss schließlich auch sein.
9.15 Uhr: Krafteinheit in der Rudolf-Harbig Halle. Normalerweise steht am Dienstagvormittag Sprinttraining bei Landestrainer Carsten Köhrbrück an. Weil Stephan Hartmann am Wochenende aber mit dem DLV-Bundeskader in Hamburg trainiert hat, geht es heute etwas ruhiger zu. Der Dienstag ist sowieso der einzige Tag der Woche mit zwei Trainingseinheiten. Mindestens der Sonntag ist sportfrei.
12.15 Uhr: Die zweite Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Berlin ist geschafft, die erste Uni-Veranstaltung noch nicht. „Einführung in die allgemeine und anorganische Chemie“ steht auf dem Stundenplan. Weil er sich für Naturwissenschaften interessiert, hat sich der Achte der U20-EM für den Studiengang Biotechnologie entschieden. Der Olympiastützpunkt (OSP) stand mit einer Laufbahnberatung zur Seite. Auch die Überlegung, zur Bundespolizei zu gehen, stand im Raum. „Ich wollte aber mehr mit dem Kopf arbeiten“, meint Stephan Hartmann, der sich auch wegen der vielen Wochen, die man bei Lehrgängen verbringt, gegen die Polizei entschieden hat. Sich als Uni gerade die TU Berlin ausgesucht zu haben, hat auch einen strategischen Vorteil: Der Campus liegt in der Mitte zwischen Trainingsstandorten und Elternhaus.
13.00 Uhr: Obwohl es erst seine vierte Woche an der Uni ist, schlängelt sich Stephan Hartmann schon wie ein Profi durch das Gewusel in der Mensa. Ab 1,35 Euro gibt es hier ein warmes Mittagessen. „Das ist günstig und das Essen nicht schlecht“, urteilt der Student. Heute gibt es Hähnchen mit Reis, einer Schale Gemüse und Suppe. Das Essen nimmt sich jeder selbst. „Egal wie voll man den Teller macht, es kostet immer gleichviel.“ Ganz so hoch stapelt der Athlet der LG Nord Berlin auf seinem Teller aber nicht. „Sonst landet beim Essen alles daneben und bei den Preisen braucht man nicht auch noch zu stapeln.“ Das Mittagessen hier gehört fest zum Tagesablauf, der an jedem Wochentag sehr ähnlich ist. „Diese Struktur im Alltag mag ich“, so der Fünfte der U20-WM.
14.15 Uhr: Runde Nummer zwei an der Uni: „Lineare Algebra für Ingenieure“ - da müssen Studenten verschiedener Fachrichtungen durch. Obwohl die gleiche Veranstaltung parallel im Nebenraum noch einmal läuft, reichen die gut 1.000 Plätze im Hörsaal nicht – einige nehmen auf der Treppe Platz. Der Professor definiert fleißig mathematische Begriffe und wird nicht müde für die „Mumie“ zu werben, eine Online-Plattform, auf der fleißig geübt werden kann, und vor privater Nachhilfe zu warnen, für die er vor der Vorlesung einen Flyer in die Hand gedrückt bekommen hat. Stephan Hartmann kommt bisher mit - so richtig losgegangen ist es mit dem Stoff aber noch gar nicht. Dass er gleichzeitig Leistungssportler ist, wissen die meisten Kommilitonen nicht. Wenn das zur Sprache kommt, interessieren sie sich aber dafür. Mal einen Kurs schieben oder eine Klausur auslassen, das kann sich der Weitspringer an der Uni erlauben. „Erst einmal mache ich aber alles, was der Regelstudienplan vorsieht.“
16.00 Uhr: Wieder rufen S- und Straßenbahn. Ziel diesmal: Das Sportforum Hohenschönhausen im Osten der Stadt. Weil es dort im Anschluss an das Training die Möglichkeit gibt, zur Physiotherapie zu gehen, wird Dienstagsnachmittags hier trainiert. Schon als die Leichtathletik-Halle in Sichtweite kommt, geht der graue und damit für Berlin typische Novembertag zu Ende. Drinnen angekommen, ist es draußen stockdunkel.
17.00 Uhr: Die Trainingskollegen werden begrüßt, zu denen mit 400-Meter-Läufer Marc Koch und Langhürdler Marcel Matthäs (beide ebenfalls LG Nord Berlin) zwei weitere Teilnehmer der U20-EM in Rieti (Italien) des Sommers gehören. „Das ist eine gute Mischung, der eine kann sich bei den Tempoläufen ein wenig von den anderen ziehen lassen, der andere profitiert bei Starts- oder Sprints von den etwas stärkeren Trainingspartnern“, erklärt Trainerin Nadine Großkopf, die Stephan Hartmann seit 2009 betreut. Nach Einlaufen sowie Hürden- und Sprungkoordination stehen heute die ersten Sprünge in die Grube auf dem Plan - seit langem. „Im Sommer konnte ich wegen einer entzündeten Sehne und Beugerproblemen kaum springen“ blickt Stephan Hartmann auf die letzten Monate zurück, in denen er nur fünf Wettkämpfe absolvierte und sonst nie richtig sprang. Deshalb gibt es einiges nachzuholen und die ersten zehn Flüge der Wintervorbereitung sind noch etwas unsicher.
Dass seine internationale Karriere im nächsten Jahr höchstwahrscheinlich nicht mit der nächsten Endkampfplatzierung bei einer großen Meisterschaft weitergeht, ist dem 19-Jährigen klar. Den Anschluss im Erwachsenenbereich zu finden, ist eine große Herausforderung. Eine U23-EM gibt es erst wieder 2015. „Ich weiß, dass ich von meinen Werten her einmal acht Meter springen kann“, erzählt der Berliner, und seine Augen strahlen dabei, schnell fügt er aber hinzu: „An solchen Weiten orientiere ich mich eigentlich nicht, sondern an der Konkurrenz.“
Die direkte Konkurrenz verkörpert im Moment vor allem Fabian Heinle (LG Leinfelden-Echterdingen), der Stephan Hartmann drinnen und draußen die U20-DM-Titel weggeschnappt hat und auch im nächsten Jahr der Nachwuchsklasse entwachsen sein wird. „Platz fünf bis sechs bei der DM der Aktiven ist mein Ziel“, sagt Stephan Hartmann, der langfristig denkt und erst nach der Zeit in der U23 einen Start im Nationaltrikot der Erwachsenen für realistisch hält. Mit den ersten Sprüngen des Wintertrainings ist das nächste Mosaiksteinchen in diese Richtung gelegt.
19.30 Uhr: Der letzte Ritt mit Bus und Bahn des Tages führt zurück nach Hause in den Norden Berlins, nochmal eine knappe Stunde Fahrt. Zu Hause angekommen gibt es Abendessen - meistens allein. Stephan Hartmanns Eltern kommen früher nach Hause als ihr Sohn.
21.00 Uhr: Übungsaufgaben gehören zum Unialltag und wollen gelöst werden. „Ich sitze so lange dran, bis ich die Aufgaben gelöst oder zumindest einen Lösungsansatz im Kopf habe“, erzählt Stephan Hartmann. „Da muss ich aufpassen, dass ich nicht zu spät ins Bett gehe.“ Bisher sind die Aufgaben noch nicht so schwer, da reicht es immer noch für die mindestens 6 ½ Stunden Schlaf, die der Weitspringer mindestens braucht, um am nächsten Tag wieder fit zu sein für Training und Uni.