EM-Überraschung Sureyya Ayhan will in die Golden League
Mit ihrem sensationellen Start-Ziel-Sieg im 1.500 Meter Finale der Frauen am letzten Tag der Europameisterschaft in München schrieb die junge Türkin Sureyya Ayhan Geschichte. Sie gewann die allererste Goldmedaille für ihr Land in der 68-jährigen Geschichte der europäischen Titelkämpfe. Nicht nur das: Ihre 3:58,79 Minuten bedeuten neuen türkischen Rekord. Darüber hinaus lieferte sie mit ihrem Rennen DIE Überraschung des sechstägigen Leichtathletikfestes in München und schockte die gesamte Konkurrenz – vor allem die mit 3:58,81 Minuten Zweitplatzierte, Gabriela Szabo aus Rumänien.
Sureyya Ayhan enteilte in München allen (Foto: Kiefner)
"Ich wollte gewinnen und wusste, dass mit meiner Form eine Goldmedaille möglich ist." Bereits im Vorlauf zwei Tage zuvor war Ayhan ihren Konkurrentinnen siegessicher davongelaufen und hatte sich locker als Erste qualifiziert. Zuletzt war die türkische Läuferin bei den Weltmeisterschaften in Edmonton in Erscheinung getreten, wo sie auch ihren Vorlauf gewann und im Finale den achten Platz belegte. "Ich bin dieses Jahr viel stärker als noch in Edmonton, weil ich mich besser vorbereiten konnte." Endgültig überwunden ist ihre Oberschenkelverletzung, die sie sich letztes Jahr zuzog und ihr bis Januar zu schaffen machte. Die diplomierte Sportlehrerin, die kürzlich ihr Studium an der Universität Kahraman Maras in Anatolien abgeschlossen hat, konnte die letzten sechs Monate intensiv und frei von Beschwerden trainieren und führt ihre sensationelle Form darauf zurück.Neue Volksheldin
Ob sie daran denke, dass ihre Medaille die erste goldene und die zweite überhaupt – nach Bronze im Dreisprung 1950 – für die Türkei sei, wurde sie immer wieder von stolzen türkischen Journalisten gefragt. Diese historische Bedeutung sei ihr nicht so sehr bewusst, dass sie nun sehr berühmt sei, schon eher. Nach ihrer Rückkehr in die Türkei wird sie mit Geschenken überhäuft werden, darunter auch 300 Goldstücke als Prämie vom Sportministerium. Idole hat sie keine, die religiöse Athletin will lieber selbst Vorbildfunktion übernehmen. Das wird sie nun vor allem für die türkischen Frauen sein und löst vielleicht einen ähnlichen Laufboom aus wie seinerzeit Said Aouita in Marokko. Leichtathletik ist nicht unpopulär in der Türkei, rangiert aber hinter König Fußball, Ringen, Basketball und Volleyball.
Gefragt wie noch nie
Nach der Pressekonferenz in München rissen sich alle um die 24-jährige. Neben den zahlreichen Journalisten, die dankbar über Übersetzer ins Englische oder Deutsche waren, meldete sich auch gleich Jos Hermens, Top-Manager der weltweiten Leichtathletikszene. Er wollte sich mit ihr "gerne über eine Zusammenarbeit" unterhalten. Das Handy stand auch nicht still. Mehmet Yurdadön gratulierte, vor kurzem als Präsident des türkischen Leichtathletikverbandes zurückgetreten, weil er sich fortan ganz auf seine politische Karriere als Kandidat der Republikanischen Volkspartei konzentrieren möchte. Noch mehr Politprominenz liess fernmündlich herzliche Glückwünsche ausrichten, etwa Deniz Baykal, Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei oder Fikret Ünlü, der Sportminister.
Was kommt danach?
Sureyyas Pläne für den nächsten Monat? "Ich möchte nun unbedingt bei einigen Meetings der Golden League rennen." Ob sie über ihre Teilnahme mit oder ohne Jos Hermens verhandelt, dürfte nur für die Veranstalter einen Unterschied machen, denn die Zuschauer können sich in beiden Fällen auf spannende Rennen mit ihr freuen.
Ulrike Philipp