Enschede - Ein Marathon ohne Grenzen
Der Twente-Marathon kennt keine Grenzen. Nach der gelungenen Premiere vor drei Jahren, als der Lauf erstmals durch deutsches Gebiet führte, gibt es am Sonntag eine Neuauflage. Im Mai 2000 wurde dieser traditionsreiche Marathon, der Älteste in Westeuropa, noch wegen der fürchterlichen Feuerwerkskatastrophe komplett abgesagt. Zwölf Monate später sorgte die Maul- und Klauenseuche, als die Grenzübergänge wochenlang geschlossen waren, für eine kurzfristig abgeänderte Pendelstrecke nur auf holländischem Boden. Aber am Sonntag rennen die Läufer auch wieder durch Deutschland.
Mustafa Rijad, der Vorjahressieger, ist der große Favorit beim Twente-Marathon (Foto: Hörnemann)
Jos Hermens, der Manager von Haile Gebrselassie, hat ein internationales Feld, angeführt vom marokkanischen Vorjahressieger Mustafa Rijad (2:12:20 h), auf die Beine gestellt. Zugleich ist eine enge Kooperation beschlossen worden mit den FBK-Games, dem alljährlichen Weltklasse-Meeting in der Nachbarstadt Hengelo, das nur eine Woche später am 2. Juni stattfinden wird. Geplant ist eine Leichtathletik-Woche mit Veranstaltungen insbesondere für den Nachwuchs, um für Werbung zu machen für die "Königin" unter den Sportarten.Enschede trägt noch immer Trauer
Auch zwei Jahre nach der fürchterlichen Massenexplosion, als 177 Tonnen Feuerwerkskörper in die Luft flogen und 22 Menschen in den Tod rissen, trägt Enschede noch immer Trauer. Berühmt geworden ist die Industriestadt nahe der deutsch-holländischen Grenze durch die Fernsehbilder, die damals um die Welt gingen. Roombeek, ein ganzes Stadtviertel, wurde durch das Inferno auf dem Gelände der Firma Fireworks" in Schutt und Asche gelegt. Der Twente-Marathon, der nur eine Woche später stattfinden sollte, wurde sofort abgesagt", erinnerte sich der damalige Renndirektor Wim Verhoorn, diesmal wollen wir vor allem an die Opfer dieser grauenhaften Katastrophe erinnern." 2133 Teilnehmer, darunter 150 Deutsche, erreichten schließlich das Ziel bei diesem Klassiker, der 1947 seine Premiere erlebte und nach Kosice der zweitälteste Marathon in Europa ist.
Mit Rotterdam und Amsterdam will sich Enschede nicht messen. Die haben finanziell ganz andere Möglichkeiten", erklärte Verhoorn, dennoch haben wir uns in diesem Konkurrenzkampf stets gut behaupten können." Denn Enschede hat vor allem eins: Tradition.
Gerard Kraemer hat den Klassiker einst ins Leben gerufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich der Vorsitzende des Distrikts Twente in der Königlich Niederländischen Leichtathletik-Union (KNAU) so engagiert, bis seine zündende Idee in die Tat umgesetzt wurde: Ein Marathon in Enschede, sagte Kraemer jedem, der es hören wollte, das wäre eine tolle Sache."
1947 erster Startschuss zum Twente-Marathon
Schon 1946 hatte Kraemer, ein gelernter Journalist, anlässlich der Europameisterschaft in Oslo das Gespräch gesucht mit Vojtek Bukovsky, dem Organisator von Kosice, dem ältesten Marathon in Europa, und dann ließ er nicht mehr locker, bis schlussendlich am 12. Juli 1947 um vier Uhr nachmittags der Start ertönte zum Twente-Marathon.
Die Tageszeitung Tubantia" kündigte das sportliche Großereignis, das im Rahmen des Länderkampfes Holland gegen die Tschechoslowakei stattfand, in dicken Lettern an: Premiere in Enschede". Emil Zatopek, die Lokomotive, war live dabei, als Eero Riikonen, ein Schützling von Paavo Nurmi, als Erster von 51 Läufern ins G.J. van Heekpark-Stadion einbog, Zatopek gewann damals die 5.000 Meter in 14:38 Minuten, Riikonen die 42,195 Kilometer in 2:44:13 Stunden. Fanny Blankers-Koen, die holländische Medaillensammlerin, die zwölf Monate später in London vier Mal Gold holte, überreichte dem strahlenden Finnen den Siegerkranz.
Enschede hat klangvollen Ruf
Seither hat sich Enschede einen klangvollen Ruf erworben. Riesig ist die Begeisterung bei diesem Rennen, das zunächst im Zwei-Jahres-Rhythmus und seit 1991 alljährlich angeboten wird. Dicht an dicht säumen die Einheimischen, ohnehin sehr sportinteressiert, den Kurs. Einst haben sie über Gerard Kraemers Ansinnen milde gelächelt, doch wenn man ihnen heute den Marathon wegnähme, würden sie auf die Barrikaden gehen wie weiland Wilhelm von Oranien beim Befreiungskrieg gegen die Spanier.
Ein Duo hat in Enschede ein Stück Marathon-Geschichte geschrieben: Jim Peters und Ron Hill, die beiden Fighter" von der britischen Insel. Peters, Anfang der 50er Jahre einer der Besten seiner Zunft, erreichte 1953 mit 2:19:22 Stunden eine neue Weltbestzeit für eine Wendepunktstrecke. Auf den letzten zehn Kilometern hab ich mich wie daheim gefühlt, denn das Wetter war regnerisch und windig", erinnerte sich Peters, 1997 Ehrengast beim 50. Geburtstag dieser Veranstaltung, mit typisch englischem Humor, an Enschede habe ich nur schöne Erinnerungen." Mit schwarzem Jacket saß er anno 97 auf der Haupttribüne des Diekman-Stadions, beantwortete bereitwillig sämtliche Fragen und präsentierte sich als Gentleman der alten Schule. Damals", strahlte Peters, befand ich mich in absoluter Top-Form." Im Januar 1999 ist er im Alter von 80 Jahren verstorben.
Ron Hills selbst entworfene Shorts
Ron Hill, der mit seinen selbst entworfenen Shorts, die den Union Jack zeigten, für Aufsehen sorgte, müsste eigentlich längst Ehrenbürger von Enschede sein. Vier Mal startete der studierte Chemiker aus Manchester. 1973 gewann er in 2:18:06 Stunden, 1975 in 2:15:59, 1967 wurde er Zweiter in 2:23:43 und 1979 noch mal Neunter in 2:21:21. 1997 zum Jubiläum kehrte Hill zurück, in Begleitung seiner Ehefrau Mae, die ihm fest die Daumen drückte beim Halbmarathon, den der dreimalige Olympia-Teilnehmer und Ex-Europameister in gut anderthalb Stunden bewältigte.
Die weltbesten Marathonläufer sind früher gern gekommen: Jack Holden, Veiko Karvonen, Mamo Wolde, 1968 Olympiasieger in Mexiko, Reinanldo Gorno, 1952 in Helsinki Zweiter hinter Emil Zatopek, oder die beiden Boston-Sieger Bill Rogers und Neil Cusack. Lang, lang ist es her. Die Stars von heute lassen Enschede links liegen, weil hier nicht jene Dollars zu verdienen sind, die anderswo auf der Straße liegen. Deshalb", betonte Wim Verhoorn, verpflichten wir junge, ehrgeizige Läufer, die sich noch einen Namen machen wollen."
Mustafa Rijad, ein Marokkaner, ist so einer! Im Dauerregen machte er die Konkurrenz nass. Taktisch klug versteckte sich der Debütant im vergangenen Jahr zunächst im Windschatten der anfangs 13-köpfigen Spitzengruppe, doch kurz vor Schluss machte er Dampf und triumphierte in 2:12:20 Stunden. Franca Fiacconi, die Vielstarterin aus Italien, die 1998 schon in New York (2:25:17 h) gewonnen hat drückte den Streckenrekord der Engländerin Priscilla Welch (2:36:32) um fast fünf Minuten auf 2:31:41 Stunden und freute sich wie Mustafa Rijad über die Extraprämie von immerhin 25.000 Gulden.