Paradiesische Bedingungen nicht erwünscht
Es war vor vier Jahren in Sydney, als Ronald Weigel den größtmöglichen Triumph als Trainer knapp verpasste. Der frühere Berliner Weltklassegeher, der in seiner Karriere drei olympische Medaillen gewonnen hatte, einmal Weltmeister über die 50-Kilometer-Distanz war und über diese Strecke zwei Weltrekorde aufstellte, arbeitete damals als Nationalcoach der australischen Geher.
Ronald Weigel beweist sich nach Australien auch in Deutschland als Erfolgscoach (Foto: Klaue)
Und in der Endphase des 20-Kilometer-Finales der Frauen führte überraschend eine Australierin. Jane Saville hatte das Stadion und das Gold schon vor Augen, als sie von den Kampfrichtern wegen ihres nicht korrekten Gehstils noch disqualifiziert wurde. Heute vermag Ronald Weigel nicht zu sagen, ob er im Falle eines Olympiasieges vielleicht nicht doch in Australien geblieben wäre. So aber kehrte der inzwischen 45-Jährige trotz eines unbefristeten Vertrages im September 2002 nach Deutschland zurück und übernahm den Posten des Geher-Nationaltrainers beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Für die Funktionäre war das die Ideal-Besetzung. Und so könnte das Pech der Jane Saville das Glück des Andreas Erm gewesen sein. Denn für den einzigen deutschen Weltklassegeher kam Ronald Weigel gerade zur rechten Zeit zurück.
Es war Siegfried Erm, der seinen Sohn Andreas als Trainer in die internationale Spitze geführt hatte. Doch der Vater musste vor knapp zwei Jahren seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen einstellen. Nahtlos funktionierte der Übergang zu Ronald Weigel im Oktober 2002. Nur zehn Monate später feierte Andreas Erm seinen bisher größten Erfolg. Bei den Weltmeisterschaften in Paris im August 2003 gewann er über die 50-Kilometer-Distanz die Bronzemedaille und brach den deutschen Rekord seines Trainers. 1986 hatte Ronald Weigel die Distanz in 3:38:17 Stunden bewältigt, was damals sogar Weltrekord bedeutete. Nun ging Andreas Erm in Paris 3:37:46.
Andreas Erm nur über die Fünfzig
Bei den Spielen in Athen wird der 28-jährige Berliner, der für den SC Potsdam startet, nun einer der wenigen deutschen Leichtathleten sein, die mit Medaillenchancen an den Start gehen. Wie in Paris wird Andreas Erm dabei nur über 50 Kilometer gehen. Lange Zeit hatte er sich die Option auf einen Doppelstart – erst 20 und dann 50 Kilometer innerhalb von einer Woche – offen gehalten. Die extreme Hitze war ein ausschlaggebender Faktor, nur einen Start zu planen.
In den letzten Monaten hatte Andreas Erm zweimal gesundheitliche Probleme, doch Ronald Weigel sagt: "Insgesamt lief die Vorbereitung störungsfreier als im vergangenen Jahr vor der WM." Der Trainer rechnet in Athen mit einem ausgeglichenen Feld, in dem acht bis zehn Athleten Medaillenchancen haben. "Doch Prognosen für Andreas gebe ich nicht ab. Ich weiß aber, dass er das Niveau von der WM drauf hat."
Im Frühjahr, als Olympia noch weiter weg war, hatte Ronald Weigel gesagt: "Ich glaube, dass Andreas schon jetzt ein Leistungsniveau hat, mit dem er über 50 Kilometer in einem optimalen Wettkampf 3:35 Stunden gehen könnte." Der aktuelle Weltrekord des Polen Robert Korzeniowski ist eine Minute langsamer. "Natürlich", fügte der Bundestrainer schon damals hinzu, "kann man so eine Zeit nicht bei einer großen Meisterschaft erwarten. Aber ich glaube, dass man ein Leistungsniveau von 3:36 bis 3:37 Stunden haben muss, um in Athen eine Medaille gewinnen zu können."
Nicht viel verändert
Was hat Ronald Weigel anders gemacht als Siegfried Erm, um dessen Sohn zum Erfolg zu führen? "Sie sind unterschiedliche Menschen, aber es hat sich nicht viel verändert", sagt Andreas Erm, der als 19-Jähriger Junioren-Europameister im 10.000-Meter-Gehen war und dann mehrmals Pech hatte bei großen internationalen Meisterschaften.
"Ronald ist sehr feinfühlig im Umgang mit mir – er hat genau die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt gemacht. Wobei ich damit nicht sagen möchte, dass das bei meinem Vater anders war. In Paris hatte ich auch Glück." Das hatte er früher meistens nicht. Zum Beispiel, als er bei der WM 1997 als 15. ins Ziel über 20 Kilometer gekommen war und danach noch disqualifiziert wurde. Oder als er zwei Jahre später, wieder bei der WM, nach einer Rempelei auf dem Verpflegungstisch landete und dadurch derart den Rhythmus verlor, dass er aufgab.
"Wenn man mit Weltklasseathleten wie Andreas arbeitet, muss man ein bestimmtes Gefühl für sie entwickeln, um richtig auf sie eingehen zu können", sagt Ronald Weigel. Dieser sensible Ansatz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Erfolg im Ausdauersport nur mit sehr hartem Training möglich ist. Nie zuvor hat Andreas Erm, der zur Sportfördergruppe der Bundeswehr gehört und dadurch das Gehen professionell betreiben kann, zum Beispiel in derartig extremen Höhen trainiert wie mit Ronald Weigel.
Kein Paradies vor der Hölle
Höhentraining ist leistungsfördernd für Ausdauersportler, und "Ron" Weigel hat genügend eigene Erfahrung darin. Im Frühjahr waren die beiden im mexikanischen Toluca, wo man in Regionen von bis zu 3.800 Metern trainieren kann. "Das ist sehr hart, dort oben zu gehen", sagt Ronald Weigel.
Dreieinhalb Wochen arbeitete er zuletzt mit Andreas Erm und der Potsdamerin Melanie Seeger, die in Athen im 20-Kilometer-Gehen Chancen auf eine gute Platzierung hat, in Bulgarien. Dieses Höhentrainingslager kennt Ronald Weigel noch aus seinen eigenen Zeiten als Athlet. In der DDR war der Belmekken ein beliebtes Ziel für Läufer und Ausdauerathleten. Der Komfort und das Drumherum halten sich in Bulgarien in Grenzen. "Aber wenn dein Trainingslager wie das Paradies aussieht", sagt Ronald Weigel, "dann kannst du im Wettkampf nicht durch die Hölle gehen."
50 Kilometer Gehen bei den Olympischen Spielen in Athen: Freitag, 27. August.
Olympische Leichtathletik in Athen – Kompakt auf leichtathletik.de...