Familienbande - Die Heinigs
Die Heinigs sind eine lauf-verrückte Familie. Im positiven Sinn. Katrin Dörre-Heinig gehört zu den erfolgreichsten Leichtathletinnen schlechthin, gewann in den Achtziger und Neunziger Jahren einen Marathon nach dem anderen. Ihre Tochter Katharina schickt sich nun an, in ihre Fußstapfen zu treten - auch wenn sie dies zu Beginn gar nicht wollte. Weiterhin ist es der 19-Jährigen wichtig, ihren eigenen Weg zu gehen. Trainer der beiden ist Ehemann und Vater Wolfgang Heinig.
Die Mutter: Katrin Dörre-Heinig, geboren in Leipzig, mittlerweile 47 Jahre alt, die deutsche Marathon-Legende schlechthin. Zu ihren großen Siegen zählen die Hattricks im britischen London (1992 bis 1994) und in Frankfurt (1995 bis 1997), die Bronzemedaille bei Olympia 1988, der dritte Rang bei der WM 1991, die Erfolge in Hamburg (1998, 1999) und in Japans Metropole Tokio (1984, 1985, 1987) sowie der Weltcupsieg 1985 in Hiroshima (Japan); insgesamt 24 Wettkämpfe unter 2:30 Stunden; ihre Bestzeit von 2:24:35 Stunden war vor einem Jahr noch deutscher Rekord.Anfang der Neunziger Jahre zog sie mit ihrem Ehemann und Trainer Wolfgang Heinig nach Erbach in den Odenwald. Katrin Dörre-Heinig - ein Star im Osten („Wir hatten den Zwang, ständig Leistung abzurufen“), ein Star nach der Wende („Der Druck wurde noch größer, weil Laufen zu meinem Beruf wurde“), eine Athletin, von der überliefert ist, sie habe bis zu 350 Kilometer wöchentlich trainiert. Und die bisweilen drei Stunden ohne Pause auf dem Laufband unterwegs war.
Zweiter Start, erster Titel
Die Tochter: Katharina Heinig, geboren 1989, Abiturientin und seit ein paar Tagen Deutsche Juniorenmeisterin für die LG Eintracht Frankfurt über die Halbmarathonstrecke in 1:19:01 Stunden. Es war ihr zweiter Start über diese Distanz - und ihr erster nationaler Einzeltitel.
Katharina Heinig hat bislang 26 hessische Meisterwimpel erlaufen, nach vier Jahren im Frankfurter Sportinternat und auf der Carl-von-Weinberg-Schule, einer Eliteschule des Sports, wird sie sich demnächst dem Eingangstest für die Sportfördergruppe der hessischen Polizei unterziehen, sie möchte Kommissarin werden. Und im August bei der WM in Berlin (15. bis 23. August) als Volunteer dabei sein.
Laufen bestimmt das Familienleben
Trainiert wird sie von ihrem Vater Wolfgang, der einst für die Karriere seiner Frau verantwortlich war, früher auch Marathon-Bundestrainer gewesen und nun im hessischen Verband als Landestrainer Lauf beschäftigt ist. Laufen, laufen, laufen - das war und ist der Kosmos der Heinigs, in diversen Darreichungsformen. Katrin Dörre-Heinig hat vor zwei Jahren sogar ein Buch geschrieben, Titel „Leidenschaft Marathon“.
Die Anfänge: „Vom Laufen wollte sie eigentlich nichts wissen“, sagt Katrin Dörre-Heinig. „Wahrscheinlich wegen mir, das war wie ein rotes Tuch.“ Sollte man sich als Tochter/Sohn extrem prominenter Mütter/Väter überhaupt derselben Sache verschreiben? Die Gefahr des Scheiterns, der ewigen Vergleiche ohnehin, ist turmhoch.
Überredungskunst der Freundin war gefragt
„Katharina hat anfangs immer Nein gesagt“, erzählt Katrin Dörre-Heinig. „Also haben wir sie als Kind nie zu Wettkämpfen angemeldet.“ Erst als Freundinnen die damals 14-Jährige überredeten, an einem 5-Kilometer-Straßenlauf teilzunehmen, machte sie mit. Katharina Heinig blieb dabei, verbesserte sich über 1.500 Meter auf 4:29,13 Minuten (2006), auf 9:32,41 Minuten über 3.000 Meter und 16:48:54 Minuten (5.000 Meter/2007). „Ich weiß, was sie kann“, sagt ihre Mutter. „Und sie kann unheimlich beißen.“
Die Krise: Irgendwann im Sommer letzten Jahres ging (fast) gar nichts mehr. Katharina Heinig wurde langsamer und langsamer, kam bei den Hessischen Meisterschaften über 1.500 Meter erst nach 4:44 Minuten ins Ziel, was auch deshalb bemerkenswert war, weil sie schon als A-Schülerin zehn Sekunden schneller gewesen ist.
Diskussionen um nötige Konsequenz
Ihr erster Freund könnte ein Grund für den Abschwung gewesen sein, ihre Mutter jedenfalls weigerte sich fortan, gemeinsam auf Wettkampfreise zu gehen. Vater Wolfgang beorderte seine Tochter ins heimische Haus und es dürfte ein paar Diskussionen gegeben haben, inwieweit die nötige Konsequenz für den Leistungssport noch vorhanden ist.
Es waren aufreibende Monate, Katrin Dörre-Heinig spricht von einem „versemmelten Jahr“ und davon, dass „sie alles angezweifelt hat, was wir gesagt haben“. Andererseits habe ihre Tochter „alles mitgenommen, was nicht gut war für den Leistungssport“. Und dann kam es wohl soweit, dass Wolfgang Heinig die Bemerkung entfuhr: „Dann lass dich doch gleich von deinem Freund trainieren.“
Tiefpunkt Anfang des Jahres
Der Tiefpunkt: Bei den Hessischen Cross-Meisterschaften Ende Februar 2009 wurde Katharina Heinig nur Fünfte in der Juniorenwertung und war tief enttäuscht. „Was erwartest du?“, fragte ihre Mutter. „Du hast dich heruntergewirtschaftet.“
Der Start zwei Wochen später bei den Deutschen Cross-Meisterschaften wurde gestrichen. Zwölf Monate zuvor war Katharina Heinig noch mit dem Nachwuchsförderpreis der Interessengemeinschaft deutscher Straßenläufe (GRR) ausgezeichnet worden, weil sie die nationalen Jugendbestenlisten 2007 über 3.000 und 5.000 Meter sowie über 10 Kilometer anführte. „Obwohl ich stolz auf meine erfolgreichen Eltern bin, möchte ich mir selbst einen Namen machen“, sagte sie seinerzeit. „Das Talent habe ich von meiner Familie mitbekommen. Aber etwas daraus zu machen, liegt an mir.“
Die Kurve bekommen
Die Perspektive: Katharina Heinig ist 19 Jahre alt, mit ihrer neuen Halbmarathon-Bestzeit hat sie die B-Kader-Norm erfüllt, kann nun wieder mit Unterstützung des deutschen Verbands rechnen. Sie scheint die Kurve bekommen zu haben, „den Bogen“, wie ihre Mutter sagt.
„Die langen Läufe machen ihr Spaß“, sagt Katrin Dörre-Heinig. Und nur noch manchmal denkt sie: „Mein Gott, Mädel, wie weit du schon sein könntest.“ Ihre Tochter müsse aber weiterhin eine „gesunde Ernährung“ im Blick haben, „abends früher ins Bett gehen“ und noch ein paar Kilogramm abnehmen.
Marathon in naher Zukunft?
Mitte Juli finden die U23-Europameisterschaften statt, eine Chance hat Katharina Heinig, obwohl die Norm über 10.000 Meter bei erstaunlichen 34:45 Minuten festgesetzt wurde.
Und wie sieht es mit einem kompletten Marathon aus? „Ich bin meinen ersten mit 20 gelaufen“, sagt Katrin Dörre-Heinig. Am 2. Mai 1982 in Karl-Marx-Stadt in 2:45:54 Stunden. Ihre Tochter plane wohl in „dieselbe Richtung“ - aber genau festlegen mag sie sich die Mutter nicht. „Kata profitiert von meinen Erfahrungen, nimmt aber auch wenig an.“
Es gibt sie oft, die erfolgreichen Geschwister und Familien in der deutschen Leichtathletik. Sie sind zahlreicher als man vielleicht anfangs vermutet. Verstärkt die gemeinsam verbrachte Zeit noch das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl? Ist das Konkurrenzdenken innerhalb einer Familie aufgehoben? leichtathletik.de geht diesen Fragen in einer Serie nach.