Familienbande - Die Onnens
Ein Leben ohne Leichtathletik? Es gibt Familien, in denen ist das undenkbar. Die Onnens von der LG Hannover sind so eine Familie. Die Mutter war in den Siebzigern Deutsche Fünfkampf-Meisterin, Sohn Eike ist zurzeit absolute deutsche Spitze, zwei von vier weiteren Kindern sind regelmäßig bei Deutschen Meisterschaften dabei.
Eike Onnen ist momentan das prominenteste Gesicht einer Leichtathletik-Familie (Foto: Chai)
Eines haben die drei aktiven Kinder gemeinsam: Ihnen hat es das Springen angetan. Eike Onnen liebt den Hochsprung, die A-Jugendliche Maie Onnen den Weitsprung und der B-Jugendliche Bruder Kjell den Dreisprung.Eike Onnen ist zurzeit das Aushängeschild der Familie. Der Hochspringer ist in Deutschland das Maß aller Dinge, hat in diesem Winter schon 2,30 Meter überquert und wird die deutschen Farben bei der Hallen-Europameisterschaft im englischen Birmingham (2. bis 4. März) vertreten. Schwester Maie belegte bei den Deutschen Hallen-Jugendmeisterschaften in Sindelfingen vor zwei Wochen im Weitsprung den vierten Platz (6,02 m), Kjell Onnen landete gegen die bis zu zwei Jahre ältere Konkurrenz im Dreisprung auf Platz zehn (13,56 m).
Mutter Astrid Fredebold-Onnen hat ihre Kinder nie gedrängt, die von ihr so geliebte Sportart auch auszuüben. Aber für die Kinder war es Alltag, dass ihre Mutter als Trainerin die Nachmittage oder die Abende auf dem Sportplatz verbrachte. "Das war für uns immer normal", sagt Eike Onnen. "Wir haben es nie anders kennen gelernt."
Rückschläge gehören dazu
Der Weg von Eike Onnen an die deutsche Spitze verlief wenig gradlinig. Mutter Astrid erinnert sich noch gut an jenen schrecklichen Tag im Winter 2004 in Dortmund. Es war der Tag der Deutschen Hallen-Meisterschaften, Sohn Eike war in Topform. Dann der Schock beim letzten Versuch über 2,25 Meter. "Ich war wohl ein bisschen übermotiviert", gibt Eike Onnen zu.
Er drehte den Fuß zu weit um, knickte um, blieb auf der Matte liegen. "Ich habe nichts mehr wahrgenommen", erinnert sich der Hochspringer. "Ich habe auch keine Schmerzen gefühlt." Mutter und Trainerin Astrid Fredebold-Onnen und Disziplintrainer Wolfgang Killing schauten sich an und dachten beide ähnliches: "Das könnte es gewesen sein."
Aber der junge Hannoveraner bewies nach dem Fußbruch Durchhaltewillen. Selbst als der Arzt ihm sagte, er hätte nur eine 50-prozentige Chance, überhaupt wieder Sport zu machen. Doch wider Erwarten vollzog sich die Genesung deutlich schneller, und Eike Onnen war nicht zu bremsen. Astrid Fredebold-Onnen gefiel dies erst gar nicht: "Ich konnte ein halbes Jahr lang bei keinem Sprung zusehen."
Dauerhafte Einschränkungen
Mit Rückschlägen hatte auch Schwester Maie schon zu kämpfen gehabt, der Rücken oder der Fuß wollten zwischenzeitlich nicht mehr mitmachen: "Mittlerweile habe ich es in den Griff bekommen." Der Platz vier in Sindelfingen war ihr zweiter vierter Platz auf nationaler Ebene.
Während bei der jüngeren Schwester alles wieder in Ordnung ist, muss sich Eike Onnen wohl für den Rest seiner sportlichen Karriere auf Einschränkungen einstellen. Die Erinnerungen an den Unfall halten die bis heute vorhandenen Schmerzen wach. Besonders im Winter merkt Eike Onnen seine Verletzung noch: "Die Narben sind extrem fest, wenn es kalt ist."
Eike Onnen arbeitet daran, sich auf den aufmuckenden Fuß einzustellen. Die Konzentration bei jedem Anlauf ist riesengroß. Da jeder Sprung eine Einschränkung nach sich ziehen könnte, ist Eike ganz auf den ersten Versuch fixiert, pokert und lässt viele Höhen aus. "Er wird nie bei vielen Meetings springen können", sagt Astrid Fredebold-Onnen bedauernd. "Er braucht nach einem Wettkampf fast eine Woche zur Regeneration."
Namensgebung
Bisher war nur von Mutter Onnen und den Kinder die Rede, bei der Namensgebung kommt Vater Hillrich Onnen ins Spiel: Eike, Lasse, Maie, Kjell und Imke heißen die fünf Sprösslinge - wenn das nicht mal alles extrem nordisch klingt. Hillrich Onnen kommt von der ostfriesischen Insel Juist und die Eltern ließen sich von dieser Gegend inspirieren.
Die Begeisterung für diese Landschaft hat der Vater auf seine Kinder übertragen: "Da ist alles ruhiger, gelassener. Es ist einfach eine geniale Gegend", schwärmt Maie. Begeisterter Leichtathlet ist auch der Vater. Doch berufliche Verpflichtungen und kirchliches Engagement lassen eine ebenso ausdauernde Beschäftigung mit dem Thema Leichtathletik nicht mehr so zu wie noch vor einigen Jahren.
Liebevoller Umgang miteinander
Die Familie entscheidet viele Dinge zusammen. Bei einem Umzug beispielsweise wird demokratisch abgestimmt. Astrid fuhr die Kinder regelmäßig von Wunstorf nach Hannover. "Mir reicht's", dachte sie und die Frage stand im Raum, ob es nicht sinnvoller wäre, das Haus in Wunstorf zu verkaufen und nach Hannover zu ziehen. Der Familienrat tagte, es stand sechs zu eins für Hannover und ab ging es 2002 in die Stadt. Der sportlichen Leistung der Kinder hat es genützt.
Gespräche über das Thema Leichtathletik lassen sich auch am Küchentisch nicht vermeiden. "Dieser Sport bestimmt ja einen großen Teil unseres Leben", sagt Maie. Neidisch auf den Erfolg ihres Bruders ist die A-Jugendliche nie gewesen: "Im Gegenteil. Der Erfolg spornt mich noch mehr an. Das beflügelt einen richtig. Es ist toll, die jüngere Schwester von Eike zu sein."
Der so von seiner Schwester gelobte ältere Bruder trainiert regelmäßig bei seiner Mutter. Probleme gibt es meistens nicht. "Es gab mal Zeiten, da war es nicht so einfach", erinnert sich Astrid Onnen. Doch das ist vorbei. "Es ist jetzt eher das Problem, dass ich sie mehr als Trainerin denn als Mutter sehe", sagt der 1,96 Meter große Athlet. Außerhalb des Stadions und des Küchentischs sehen sich die einzelnen Familienmitglieder eher selten. Astrid Onnen arbeitet als hauptamtliche Landestrainerin und studiert in Köln mit dem Studienziel Diplomtrainerin. Die Brüder Lasse und Eike wohnen zwar im selben Haus, haben dort aber eine eigene Wohnung.
Ziele bei der EM
Maie Onnen lobt nicht nur den eigenen Bruder, sie setzt auch großes Vertrauen in ihn: "Er wird in Birmingham die 2,30 Meter springen. Da bin ich mir ganz sicher, denn er lässt sich von einem tollen Publikum unglaublich motivieren." Die Weitspringerin und Hürdenläuferin bedauert es nur, dass sie nicht dabei sein kann: "Die Karten waren schon unglaublich früh vergriffen." Deswegen wird nur die Mutter vor Ort sein. Was sie ihm zutraut? "Ich traue ihm alles zu." Sie scheint ihre klaren Vorstellungen zu haben, genauer preisgeben will sie diese aber nicht.
Dem Sohn ist absolut klar, was er erreichen will: "Ich will in den Endkampf. Und dann hoffe ich, dass ich meine Leistung dort noch einmal abrufen kann." Was die Höhe angeht, hat Eike Onnen sein Ziel für dieses Jahr schon erreicht: "Ich hatte mir 2,30 Meter vorgenommen." Gesprungen ist er die schon jetzt, doch nach oben korrigiert er seine Ziele deswegen nicht: "Ich will im Sommer mit zur Weltmeisterschaft nach Osaka. Aber ich sage auf keinen Fall, dass ich in diesem Jahr 2,35 Metern springen will."
Auch Maie Onnen hat so ihre eigenen Ziele und Träume. Ihre Bestleistung im Weitsprung steht bei 6,25 Metern, doch das soll auf keinen Fall ihr letztes Wort sein: "Irgendwann will ich über 6,50 Meter springen." In diesem Jahr will sie sich bei Weiten knapp über sechs Meter stabilisieren. Ebenso wäre ihre Freude über einen Platz unter den ersten Drei bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften im Sommer groß. Und dann gibt es da auch den großen Traum im Hinterkopf, den wahrscheinlich jeder Sportler hat: "Einmal bei Olympia dabei sein."
Leben außerhalb des Sports
Auch wenn das Training einen wichtigen Teil in Eike Onnens Leben einnimmt, zurzeit ist sein Leben nicht optimal auf die Leichtathletik ausgerichtet. Er holt sein Abitur an der Abendschule nach, kommt meistens erst gegen 22 Uhr nach Hause. An Schlaf ist da vor Mitternacht nicht zu denken.
Doch Eike Onnen lässt sich davon nicht beirren. Schließlich hat er ein Ziel vor Augen: "Ich will anschließend Medizin studieren." Die Arbeit im Krankenhaus bei den Sportmedizinern hat er schon ausgiebig kennen gelernt, nach dem Realschulabschluss war er dort für Ergometertests mit zuständig und hatte mit zahlreichen Sportlern zusammengearbeitet. So wie die anderen Mitglieder der sympathischen Familie auch, denkt Eike Onnen ganz realistisch und bodenständig über die Zeit nach dem Sport nach. Auf die Unterstützung seiner Familie wird er immer zählen können.
Es gibt sie oft, die erfolgreichen Geschwister und Familien in der deutschen Leichtathletik. Sie sind zahlreicher als man vielleicht anfangs vermutet. Verstärkt die gemeinsam verbrachte Zeit nach das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl? Ist das Konkurrenzdenken innerhalb einer Familie aufgehoben? leichtathletik.de geht im Jahr 2007 diesen Fragen in einer Serie nach.
Familienbande - Die Wellers