Familienbande - Die Schemberas
Faulheit. Es ist die Eigenschaft, die Robin Schembera (TSV Bayer 04 Leverkusen) spontan einfällt, wenn er sich selbst beschreiben soll. Nach längerem Nachdenken kommt er auf zwei Charakterzüge, die die Erstgenannte dann wieder ausgleichen: "Ich bin talentiert und ich bin ein Wettkampftyp. Im Wettkampf kann ich über meine Schmerzgrenze hinausgehen."

Robin Schembera überzeugte nicht erst im letzten Winter (Foto: Gantenberg)
Robin Schembera ist Inhaber der Jugend-Hallenbestleistung über 800 Meter und Sohn der WM-Achten Antje Schembera, die 1983 bei ihrem Erfolg über die selbe Distanz unter ihrem Mädchennamen Schröder für die DDR antrat.Robin Schembera hat das Talent von seiner Mutter geerbt. Ihre Bestzeit über 800 Meter steht bei 1:57,57 Minuten. Sie war es nicht, die ihren Sohn in der sachsen-anhaltinischen Heimatstadt Halle/Saale zur Leichtathletik brachte. Die junge Mutter wusste, wie viel Anstrengung von Nöten ist, um erfolgreich zu sein. "Das ist ja schon eine ziemliche Qual", sagt sie rückblickend.
Ein Nachbarsjunge überredete Robin, doch zum Training mitzukommen. Der 10-Jährige sagte erst nur widerwillig zu ("Ich war schon immer bewegungsfaul"), erprobte sich in allen Disziplinen. Mutter Schembera wollte eigentlich nur, dass ihr Sohn überhaupt etwas macht: "Er hat sich nicht bewegt. Ein sportlicher Tiefflieger." Doch dass ihr Sohn Läufer wird, war nicht geplant. "Sie hat eine solche Karriere mit all ihren Höhen und Tiefen schließlich mitgemacht", betont der Sohn.
Der Mittelstreckler ist der absolute "Sonnyboy", lacht viel, verbringt Zeit mit Freunden oder seiner Freundin. Der Schalk sitzt ihm im Nacken. Wenn es eines gibt, was er hasst, dann sind das lange Dauerläufe. Die Faulheit siegte dort auch schon einmal über das schlechte Gewissen, wenn diese langweiligen langen Läufe auf dem Trainingsplan standen. Robin Schembera spazierte durch irgendwelche Läden, oder er ging ganz dreist mit Freunden Eis essen. Regelmäßig. Von 2004 bis 2006. Mittlerweile hat er seine Drückebergereien seinem Leverkusener Coach Adi Zaar, bei dem er seit 2002 trainiert, gebeichtet und Besserung gelobt.
Wettkampftyp
Doch wer ihn im Wettkampf erlebt, der sieht einen komplett verwandelten Robin Schembera. Wenn er an der Startlinie steht, dann erwacht in ihm ein riesiger Ehrgeiz und ein riesiger Wille, jetzt alles aus sich herauszuholen – und noch mehr. Über die Schmerzgrenze kann er hinausgehen. Kein Problem für ihn, es gehört zu seinen Genen. Das hat er von Mutter Antje geerbt, ebenso wie das Aussehen und nun ja: ihr Talent.
Wenn Adi Zaar seinen erfolgreichen Athleten charakterisiert, fällt ihm spontan zuerst ein: "Robin ist eine absolut ehrliche Haut." Doch der Trainer benennt auch noch andere Eigenschaften, wenn er an seinen Athleten denkt. "Er ist äußerst selbstbewusst und hat sich sportlich und menschlich hier in Leverkusen in den vergangenen vier Jahren zu einer Persönlichkeit entwickelt."
Zur Selbständigkeit erzogen
Seit seinem 14. Lebensjahr trainiert der Mittelstreckler bei Adi Zaar in Leverkusen, für ein Jahr lebte er dort mit seiner Mutter zusammen. Als sie zurück nach Halle/Saale ging, blieb er als gerade 15-Jähriger alleine. Für ihn war es kein Problem, den Haushalt zu führen - mit allem, was dazugehört. Seine Mutter hatte ihn früh zur Selbständigkeit erzogen. "Manchmal fühlt man sich ein bisschen alleine", gibt der Deutsche Jugend-Hallenmeister zu. "Aber die meiste Zeit bin ich ja sowieso nicht zu Hause."
Zurzeit besucht er die elfte Klasse eines Sportgymnasiums, ist froh, dass er als Leistungskurs Sport wählen muss oder, bei ihm besser gesagt, darf. Dazu kommt der Biologie-Leistungskurs. "Das wird schwer", sagt er und seufzt. Denn auch in der Schule packt ihn nicht der allergrößte Fleiß. Seine Freundin bekommt da schon mal so Aussprüche zu hören wie: "Lern nicht so viel, das ist schlecht. Lass es doch einfach bleiben – so wie ich."
Bequemlichkeit gehört dazu
Es ist eine Persönlichkeit, zu der die Faulheit einfach dazugehört. Seine Mutter hatte es ihm anfangs nicht erzählt, aber sie hatte genauso versucht, sich um einige harte Einheiten zu drücken. Sie behielt es für sich, wollte kein schlechtes Beispiel für ihren Jungen sein. Doch der verhielt sich - auch ohne die Geheimnisse der Mutter zu kennen - ähnlich. Robin Schembera ist genauso wie seine Mutter das Gegenteil von einem Trainingstier oder Trainingsweltmeister. Robin Schembera gibt zu, sich regelmäßig nur schwer motivieren zu können. Sein Trainer weiß das nur zu gut, die beiden haben die Umfänge in den sechs Trainingseinheiten etwas nach unten geschraubt.
Stattdessen haben sie in diesem Winter mehr auf Schnelligkeit denn auf Kondition gesetzt. Der Erfolg gab ihnen Recht. In Düsseldorf lief Robin Schembera beim "PSD Bank Meeting" am 6. Februar jenen "Jugendrekord" von 1:47,56 Minuten. Dabei hatte er sich das ganze Wintertraining über nicht so fit gefühlt. "Dann begannen die Wettkämpfe und es ging doch leicht von der Hand", hatte sich der Mittelstreckler ein wenig selbst gewundert, hat aber auch eine Erklärung parat: "Wir hatten im Training auf mehr Sprints umgestellt. Ich glaube, ich habe mich deswegen schlapp gefühlt."
Ziele für 2007
Von Verletzungen blieb der Leverkusener bisher verschont. Es gab nur einen kleinen Zwischenfall im Jahr 2004. Schnell wie der Blitz zum klingelnden Telefon, dabei hatte er die Unnachgiebigkeit der Tür etwas unterschätzt. Der Zeh war gebrochen, eine gute Woche vor den Deutschen Jugendmeisterschaften in Jena.
Trainer, Athlet und Mutter haben ähnliche Vorstellungen von den Zeiten, die er im Sommer erreichen könnte. "Eine kleine 1:46 ist machbar", betonen sie unisono. Robin Schembera hat mit der U20-Europameisterschaft im niederländischen Hengelo (19. bis 22. Juli) für sich ein weiteres wichtiges Ziel fest ins Auge gefasst. Eine Medaille sollte es schon werden, der Trainer geht ein kleines Stück weiter und wird noch ein wenig konkreter. "Robin kann um den EM-Titel mitlaufen", sagt Adi Zaar.
Doch ob es wirklich die 800 Meter werden oder doch die 1.500 Meter, Robin Schembera weiß es noch nicht. "Ich werde im Sommer auf jeden Fall mal die 1.500 Meter antesten. Mal schauen, ob meine Dauerläufe für diese Strecke ausreichen." Wenn er solche Sätze sagt, sieht man auch ohne ihn anzuschauen förmlich sein dickes Grinsen auf dem Gesicht. Er kokettiert mit seiner ersten Eigenschaft.
Vorbilder? Fehlanzeige
Seine Mutter ist froh, dass er sich diese Lockerheit behalten hat. "Er ist doch noch jung. Wenn sich der Erfolg einstellen soll, dann stellt er sich auch ein", sagt sie im Brustton der Überzeugung. Antje Schembera telefoniert oft mit ihrem Sohn. Über das Verhalten im Wettkampf tauschen sie sich häufig aus, sie hat ihm viele wertvolle Tipps gegeben.
Sportliche Vorbilder hat Robin Schembera keine, auch seine Mutter nicht. Sie hat ihm viel beigebracht, hat ihn taktisch nach vorne bringen können, aber: "Ich will mehr erreichen", sagt der Sohn. Bevor er nach Leverkusen kam, wurde Robin Schembera von seiner Mutter trainiert, 2002 gab sie ihn in "fremde Hände". Antje Schembera hatte sich zuvor über Trainer Adi Zaar erkundigt, hatte nur Gutes gehört und ist jetzt absolut von ihm angetan. "In diese Hände konnte ich Robin getrost geben. Das ist schon sensationell, was Adi macht."
Unterschiede im Training
Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland empfindet der junge Athlet als gewaltig. Das Training sei im Westen lockerer, mit geringeren Umfängen und Intensitäten. Die ganze Situation sei im Osten etwas angespannter gewesen. "Das Verhältnis von Trainer und Athlet war meistens von mehr Abstand geprägt", hat der Mittelstreckler beobachtet.
Die Pläne für die Zeit nach dem Abitur hat er schon gemacht, auch wenn es bis dahin noch Zeit ist. Er würde gerne zur Bundespolizei gehen und sich somit auch die Chance bewahren, Sport und Berufsausbildung gut unter einen Hut zu bekommen. Doch bis es soweit ist, werden gute zwei Jahre vergehen. Zwei Jahre, in denen sich Robin Schembera auf den Sport konzentrieren kann.
Es gibt sie oft, die erfolgreichen Geschwister und Familien in der deutschen Leichtathletik. Sie sind zahlreicher als man vielleicht anfangs vermutet. Verstärkt die gemeinsam verbrachte Zeit nach das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl? Ist das Konkurrenzdenken innerhalb einer Familie aufgehoben? leichtathletik.de geht im Jahr 2007 diesen Fragen in einer Serie nach.