Familienbande - Die Udelhovens
Erfolgreich sein füllt das Leben nicht aus. Die Familiengeschichte der Udelhovens ist zwar auch eine Geschichte über Siege, Titel und Triumphe. Sie ist aber vor allem eine Geschichte über kreative Querdenker, über Menschen, die zu ihrer Naturverbundenheit stehen, die sich dem skandinavischen Flair verbunden fühlen.
Die Udelhovens haben Titel gesammelt, verteilt auf die unterschiedlichen Köpfe der Großfamilie: Dazu zählen Siege und vordere Platzierungen auf allen Ebenen und in allen Altersklassen: bei Deutschen Meisterschaften, bei Europameisterschaften, bei Deutschen Jugend-Meisterschaften oder bei Senioren-Europameisterschaften.Dennoch definieren sie sich nicht über Leistungen. Stattdessen stehen sie stellvertretend für Familien, bei denen Bewegung den Stellenwert des Selbstverständlichen hat. „Wir haben immer großen Wert auf Ganzheitlichkeit gelegt“, sagt der 64-jährige Peter Udelhoven. Dieses Stichwort zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Lebens- und Sportphilosophie. Sie haben in zahlreichen Ländern gelebt. Das hat ihren Blick geweitet, hat sie Abstand zum Leben gewinnen lassen und hat viele Lebenssituationen relativiert.
Am Anfang war die Natur
Die Udelhovens: Das sind Peter Udelhoven und die aus erster Ehe stammenden vier Kinder Jussi, Lukas, Elisabeth und Katharina sowie die aus zweiter Ehe stammenden Tilia und Luna, die derzeit mit Erfolgen für den LAV Bad Godesberg in der B-Jugend und in der Klasse W 15 auf sich aufmerksam machen, und der kleine dreijährige Nachzügler Joël.
Zur Leichtathletik kam Peter Udelhoven zwar erst spät mit 17 Jahren, dafür gingen andere Dinge danach ganz schnell: Mit 21 Jahren heiratete er die drei Jahre ältere Ingrid Schlundt, Deutsche Meisterin über 80 Meter Hürden und EM-Teilnehmerin. Das Ehepaar wanderte nach Finnland aus.
Über Berlin nach Belgien
Die nordische Einöde gefiel ihnen zwar, doch die Kinder sollten dann doch in der Mitte von Europa aufwachsen. So zog es sie über Berlin nach Belgien, allerdings wieder abseits vom städtischen Trubel auf einen Hof. Die Erfahrungen hat der Journalist und Romanautor in der Veröffentlichung „Unser Leben auf dem Lande“ verarbeitet.
In dieser Zeit ging auch der Stern von Jussi Udelhoven über 800 Meter auf: 1984 Deutscher Jugendmeister, 1985 Vize-Junioren-Europameister, seine Bestzeit steht bei 1:45,68 Minuten (1992). Bei den Trainingsmethoden hatten er und sein Vater ihre ganz eigenen Vorstellungen. Jussi Udelhoven trainierte vor allem im Wald, es war ein sehr unspezifisches Training, in dem die Hügellandschaft eine große Rolle spielte: „Das war und ist das Erfolgsgeheimnis“, ist der Vater bis heute überzeugt.
Einer trat in die Fußstapfen
Als Trainer, als Vertreter des gleichen Konzepts und als Fan des Nordens hat der zweitälteste Sohn Lukas Udelhoven die Vision des Vaters übernommen. Die Natur, die Weite der Landschaft, das Gefühl des Menschseins in Skandinavien hat die tiefe Sehnsucht in ihm so stark verankert, dass er wieder zurück wollte. Erst arbeitete er in Norwegen als Naturguide, wo Kajak fahren, Klettern und Wandern auf seinem Arbeitsplan standen.
Die Verbindung von Natur und Sport war genau das, was er sich gewünscht hatte. Lukas Udelhoven steht für eine Outdoor-Kultur, die Lebensfreude mit Aktivitäten unter freiem Himmel verbindet; etwas, was in den nordischen Ländern durchaus zur nationalen Identität gehört.
Glücksfall gelandet
Dann landete ein Glücksfall vor seinen Füßen und trug einen Namen: Ida Marcussen, damals Handballspielerin und bei der Leichtathletik nur, um an ihrer Schnelligkeit und Sprungkraft zu feilen. Lukas Udelhoven erkannte das Talent, erkannte die Aufgeschlossenheit der Norwegerin für neue Ideen.
Er führte sie 2006 im Siebenkampf zur Silbermedaille bei der Junioren-Weltmeisterschaft, später zur Teilnahme an den Weltmeisterschaften nach Osaka (Japan) und zu den Olympischen Spielen nach Peking (China). „Es passt alles zusammen“, sagt Lukas Udelhoven. „Wir sind beide bereit, experimentell zu arbeiten.“
An Rückschlägen hochziehen
Seit 2006 hat er andere Tätigkeiten beim norwegischen Verband und die Betreuung anderer Athleten abgegeben und ist nun Ida Marcussens persönlicher Coach. Mit ihr hat er einen Zehn-Jahres-Plan ausgearbeitet. Pläne haben, Visionen besitzen, sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, nicht auf Koryphäen achten, auch wenn so mancher den Kopf schüttelt, und das Leben auf sich zukommen lassen zählt zu seiner Philosophie.
2012 soll die jetzt 21-jährige Ida Marcussen nach zehn Jahren kontinuierlicher Arbeit auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit sein. Eine Medaille bei den Olympischen Spielen in London (Großbritannien) ist das Ziel: „Jeden Tag passieren auf dem Weg zu diesem Ziel wichtige Dinge. Und das Schöne ist: Wir haben Zeit“, sagt Lukas Udelhoven.
"Schule des Lebens"
Und wenn es mal auf dem Weg zu 2012 in einem Jahr nicht klappt? „Das ist die Schule des Lebens. Im Leben gibt es doch auch immer wieder emotionale Hoch- und Tiefpunkte. Aber man wächst gerade in harten Zeiten.“ Zeit und Geduld nennt er als Voraussetzung für den Aufbau einer langfristig erfolgreichen Athletin. Der Leistungsdruck in Deutschland sei enorm: „In Norwegen ticken die Uhren zum Glück etwas langsamer.“
Der telefonische Austausch mit dem Vater ist eng und regelmäßig, die beiden geben sich Tipps. Denn während Lukas Udelhoven in seiner aktiven Zeit im Mehrkampf zu Hause war, ist das Steckenpferd des Vater der Hürdenlauf: „Eine gute Ergänzung“, findet Lukas Udelhoven. Doch der Kontakt wird meistens auf das Telefon beschränkt bleiben, denn seine Heimat ist der Norden. Dort will er mit seiner Ehefrau Elke und den vierjährigen Zwillinge Levi und Anna, die nun zweisprachig aufwachsen, wohnen bleiben.
Nichts zu hoch hängen
Tilia und ihre jüngere Schwester Luna sind nicht die einzigen aktiven Familienmitglieder. Aber im Gegensatz zu ihnen will Peter Udelhoven aber eigentlich nicht darüber reden. 2002 gewann er Silber über 110 Meter Hürden bei der Senioren-EM, etwas länger liegt der Senioren-Europameisterschaftstitel über 400 Meter zurück (1990): „Ich bin zur EM hingefahren und habe auch gewonnen, weil ich das nicht ernst nehme“, sagt der 64-Jährige.
Und auch bei den Erfolgen der Kinder tritt er auf die Bremse. Luna (LAV Bad Godesberg) führte zwar 2008 die DLV-Bestenliste in der W14 über 800 Meter mit 2:13,75 Minuten an, lag auf Platz 12 im Siebenkampf (3.533 Punkte) und Platz 16 im Weitsprung (5,35 m). Der einzige Kommentar vom Trainer und Vater lautet aber nur: „Das sollte man nicht überbewerten.“
Von Individualität redet der Vater, und von Ganzheitlichkeit. Auch davon, dass ihm Tilia, die Deutsche B-Jugend Hallenmeisterin im Fünfkampf, fast zu perfektionistisch an den Sport herangeht: „Sie könnte den Sport entspannter betrachten.“ Der Sportler soll als Mensch weiterkommen. Deswegen legt der Vater Wert darauf, dass keine Eindimensionalität entsteht und der Nachwuchs neben dem Sport beispielsweise auch musikalisch aktiv ist.
Thema Doping führt zu „Rage“
Das naturverbundene Leben hat Peter Udelhoven auch beim Umgang mit dem eigenen Körper sensibilisiert und hat das Thema Doping früh zu einem Bereich werden lassen, worüber er sich in Rage reden kann. Hochsensibel registriert er alles, was dies angeht. Auch wenn er sagt, dass der Umgang mit Ex-Dopern in seinem eigenen Empfinden entspannter geworden sei.
Doch vor vielen Jahren, da hatte er das noch ganz anders gesehen. In den Achtziger Jahren, als sein Sohn Jussi noch aktiv war, wollte er eine Dokumentation zur Dopingproblematik publizieren. Dass er selber das fertige Manuskript letztlich verwarf, macht ihn heute nachdenklich „ Vielleicht habe ich seinerzeit sehr viel Rücksicht auf Einzelschicksale genommen.“
Offensive Aufklärung
Vater Peter Udelhoven betrieb statt dessen in den von ihm geleiteten medizinischen Fachzeitschriften , also in der Ärzteschaft, offensiv Aufklärung über die Gepflogenheiten, Tricks und Spezialrezepte der Doper-Szene. „Das Know-How der Doper ist dem Wissensstand eines praktischen Arztes normalerweise meilenweit überlegen. Ja, selbst die Doping-Polizei hinkt größtenteils hinterher“, ist er sich sicher.
Passagen der für die Dokumentation gedachten Informationen sind wiederzufinden in seinem Roman, der mit dem Titel „Rage“ für Gesprächsstoff sorgte. Ausgangspunkt war, so Peter Udelhoven, das Schicksal von Rudi Hars, ehemaliger Wurftrainer in Leverkusen, der sich 1996 das Leben nahm.
Unbequemer Gesprächspartner
Ein waches Auge wirft er auch weiterhin auf die unlauteren Mittel und ihre Verteiler. Er schüttelte den Kopf, als er im Ostertrainingslager Thomas Springstein, der vor drei Jahren rechtskräftig wegen Dopings einer Minderjährigen verurteilt wurde und in der deutschen Leichathletik als "persona-non-grata" gilt, im Nationaltrainingsanzug von Litauen sah, ärgerte sich über geänderte Dopingkontrollpraktiken in Spanien, sagt aber auch: „Ich verspüre keine Resignation. Wir versuchen zu belegen, dass es auch anders geht.“
Und dann fallen wieder die Worte von unspezifischem Training, von aufwändiger Verletzungs- und Krankheitsprophylaxe. Von dem, was seine Trainingsphilosophie ausmacht. Von der skandinavischen Prägung, sich an der Bewegung zu erfreuen, die Natur als Verbündeten zu betrachten. Querdenken ist eine seiner Charaktereigenschaften und auch die Fähigkeit, kritische und unbequeme Fragen zu stellen. Die Fähigkeit, sich gegen das zu wehren, was anscheinend der Lauf der Dinge ist.
Das macht ihn auch manchmal zu einem unbequemen Gesprächspartner für Verantwortliche in den Verbänden. Er zählt zu denen, die hinterfragen, zum Beispiel die Kadereinteilung und fragt: „Was soll denn eine 14-Jährige im Dreisprungkader?“ Peter Udelhoven hat die verschiedenen Kaderzuteilungen bei seiner Tochter Tilia erlebt: „Vom Dreisprungkader vor drei Jahren über den Mehrkampfkader in den Langhürdenkader.“ Er meint: „Da profitiert doch keiner davon.“
Familientreffen in Ratingen
Doch abseits der Sportpolitik sind die Wettkämpfe eine Möglichkeit, zumindest für Teile der Großfamilie, sich zu treffen. So wird es auch in Ratingen am 20. und 21. Juni beim ERDGAS Mehrkampf-Meeting geschehen.
Ida Marcussen ist aus alter Verbundenheit zu dem Meeting mit ihrem Trainer Lukas Udelhoven dabei, Tilia wird um ein Ticket für die U18-WM im italienischen Brixen (8. bis 12. Juli) kämpfen und mit ein wenig Ehrfurcht auf ihr Vorbild Ida blicken. Lukas Udelhoven gibt seiner Halbschwester und auch seiner Athletin mit auf den Weg: „Seid nicht verbissen. Ihr macht das für Euch.“
Unterschiedliche Wege
Was aus den anderen Udelhovens geworden ist? Die Naturnähe haben sie sich bewahrt, die älteste Tochter arbeitet als Försterin in Belgien. Jussi Udelhoven nahm die norwegische Staatsbürgerschaft an, ließ die Leichtathletik nach seinem Karriereende hinter sich und arbeitet als Autor philosophischer und historischer Bücher.
Und Joël, der jüngste Sohn von Peter Udelhoven? Der ist ungefähr im Alter der Zwillinge von Lukas Udelhoven. Wird in der breit aufgestellten Udelhoven-Familie in naher Zukunft noch ein Kind geboren, dann könnte es in einigen Jahren ein besonderes sportliches Highlight geben: Eine Udelhoven-Staffel, zusammengesetzt aus Onkel, Neffen und Nichten. Die alle fast gleich alt sind.
Tilia mit Vater und Trainer Peter Udelhoven (Foto: Schröder)
Familienbande - Die Udelhovens (Foto: Schröder)
Es gibt sie oft, die erfolgreichen Geschwister und Familien in der deutschen Leichtathletik. Sie sind zahlreicher als man vielleicht anfangs vermutet. Verstärkt die gemeinsam verbrachte Zeit nach das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl? Ist das Konkurrenzdenken innerhalb einer Familie aufgehoben? leichtathletik.de geht diesen Fragen in einer Serie nach.