EM-Internet-Team - Wir machen das Licht aus...
Es herrscht eine gespenstische Stimmung im verwaisten Münchner Olympiastadion. Wo noch vor zwei Stunden 48.500 die deutsche 4x400-Meter-Staffel der Frauen zu Gold schrieen, taucht nun das Flutlicht die grellgrünen Sitze in ein schummriges Licht. Lediglich Block Y ist noch mit ein paar Journalisten besetzt. Doch auch wir packen unsere Laptops ein und machen uns zum letzten Mal auf den Weg ins Pressezentrum. Zeit genug also, die vergangenen Tage aus unserer Sicht noch einmal Revue passieren zu lassen.
Sebastian Gatzka, Annelie Schrader und Larissa Kleinmann starteten durch...
44 Nationalhymnen ist es her, dass der Projektleiter Internet des DLV in seinem Fuchsbau acht Journalistenfrischlinge, einen schnellen Stimmensammler, einen Internet-Pionier, einen rasenden Fotoreporter und eine amerikanische Leichtathletiklegende um sich sammelte. Voller Enthusiasmus und Naivität machten wir uns ans Werk, besuchten italienische, finnische und albanische Pressekonferenzen, quälten uns über die ISPO und fragten uns nach zwei Arbeitstagen, an denen noch nicht einmal ein Startschuss gefallen war, wie wir das Kommende wohl durchstehen sollten.Neun lassen alle zehn fliegen
Jedweder Zweifel, jedwede Schwäche war jedoch verflogen, als wir erstmals unsere Plätze auf der Pressetribüne einnahmen. Mit Beginn der Wettkämpfe lassen Neun ihre zehn (bei manchen auch nur zwei) Finger über die Tastatur fliegen, eine jubelt und eine anderer lässt seinen Blick ergriffen über die beeindruckende Kulisse schweifen. So manch eine war sogar so euphorisch, dass sie prompt DLV-Pressechef, Peter Schmitt, nass machte (durchaus nicht im übertragenen Sinn zu verstehen). Doch trotz der berauschenden Atmosphäre, war uns in Ermangelung von konstruktiven Forenbeiträgen, Selbstkritik nicht fremd.
Unsere Jehova-Frage war beispielsweise, wer das denn alles lesen soll? Bevor der User einen unserer von Tag zu Tag kryptischer werdenden Texte (oder verstehen Sie, warum sich Grit Breuer nach ihrem Wettkampf über die Stimmung in der Olympiahalle freute) lesen konnte, stellten wir schon zwei neue online. „Für wen also legten wir uns dann so ins Zeug?“ fragen wir uns und rechnen schon einmal aus, bei wie vielen Menschen im Schnitt der Fernseher ausfällt. Solch destruktivem Gedankengut widmeten wir uns vor allem in den Pausen. Zum Glück hatten wir von denen nur wenige. Schließlich stand immer irgendein eminent wichtiger Vorlauf, eine weitere Disziplin im Mehrkampf oder eine Pressekonferenz an. Ganz abdecken konnten wir dieses Großereignis trotzdem nicht – oder hat doch noch jemand eine Stimme von Paul Brizzel eingefangen?
Brezen, Pudding und Paella
Natürlich nicht. Schließlich lief der nach seinem einsamen Vorlauf über 200-Meter schnurstracks aus dem Stadion. Wir folgen ihm und holen ihn erst am Eingang zu den olympischen Kegelbahnen wieder ein. Dort wird der Sprinter von zwei zu allem entschlossenen Sicherheitsbeamtinnen überwältigt. „Marke, die Marke“, krächzt die eine, während die andere wie von Sinnen auf den Unterarm des Iren eindrischt. Wir passieren unbeeindruckt, nehmen freilich nur ein Getränk und laben uns an Brezen, Pudding und Paella.
Frisch gestärkt kehren wir zurück in die Gegenwart. "Bitte beachten Sie, dass das Pressezentrum in einer Viertelstunde schließt", schnarrt eine müde Frauenstimme über die Lautsprecher des Medienzentrums. Aber leichtathletik.de-Mitarbeiter haben dafür nur noch ein müdes Lächeln übrig. Für unser Büro haben wir schließlich einen eigenen Schlüssel, zwischen uns und dem Nachtportier herrscht eine stillschweigende Verbundenheit. Bis wir jedoch abschließen können, müssen die Stimmen des Tages noch einmal aufbereitet, Tageszusammenfassungen und –vorschauen formuliert und so manch peinlicher Fehler korrigiert werden (Heike Drechsler ist natürlich öfter als zweimal Europameisterin geworden, selbst wir wissen das inzwischen).
Um zwei Uhr nachts gibt es keine "Duden-arguments" mehr
Je weiter sich der große Zeiger wieder von der Zwölf entfernt, desto eigenartiger wird unsere Stimmung. Konstruktive Gespräche werden eingestellt (selbst die tagsüber so beliebten „Duden-arguments“ motivieren keinen mehr zu einer gepflegten Konversation), hin und wieder kichert einer wie wahnsinnig vor dem flackernden Bildschirm und wird von allen Anwesenden ignoriert. Es wird Zeit, dass wir auf Speichern drücken. Der Letzte macht das Licht aus. Klar, dass das auch am Schlusstag wieder wir sind. Müde sagen wir ,Servus’, bis zum nächsten Mal in diesem Theater.