Frank Hensel - "Dramatische Umbruchphase"
Die Pressekonferenz im "Steigenberger Hotel" in Dortmund war gestern gerade beendet, Frank Hensel beantwortete im persönlichen Gespräch noch Fragen von Journalisten, DLV-Pressechef Peter Schmitt reichte ihm sein Handy herüber. Am anderen Ende war Gerd Holzbach vom Sportinformationsdienst (sid). In der Hotel-Lobby warteten bereits einige Trainer, um mit Frank Hensel zu sprechen. Hektik pur. Dennoch nahm sich der Generalsekretär und Sportdirektor des DLV die Zeit, mit Peter Middel für leichtathletik.de ein Interview zu führen.
Frank Hensel: "Wir haben Veränderungen eingeleitet" (Foto: Birkenstock)
leichtathletik.de:Herr Hensel, Stress hoch fünf. In den letzten Wochen hätte für Sie der Tag 48 Stunden haben können, und dieser zeitliche Umfang hätte für Sie wahrscheinlich immer noch nicht gereicht - wie man auch hier in Dortmund sieht. Welche Aufgaben mussten Sie vornehmlich bewältigen?
Frank Hensel:
Ich war in letzter Zeit in vielen Bereichen tätig. Zum einen musste die WM-Bewerbung vorbereitet werden, zudem mussten zahlreiche Gespräche mit dem DSB und seinen Partnern im Hinblick auf unsere konzeptionellen Veränderungen geführt werden. Sehr viel Zeit nahmen auch die Vorbereitungen auf unsere verschiedenen Gremiensitzungen in Anspruch. Es gab für mich auch noch eine Reihe von anderen Terminen wie Gutachterausschuss-Sitzungen und Gespräche mit der Sporthilfe. Darüber hinaus musste ich das, was wir konzeptionell vorhaben, vielerorts auch persönlich erläutern, so unter anderem bei unseren Trainern, Ärzten, Physiotherapeuten und natürlich auch im Verbandsrat. Der DLV befindet sich momentan in einer dramatischen Umbruchphase. Da ist es wichtig, miteinander zu kommunizieren.
leichtathletik.de:
Können Sie nach Ihren zahlreichen Gesprächen bereits absehen, welche Probleme sich kurzfristig lösen lassen?
Frank Hensel:
Da erinnere ich an Prof. Dr. Helmut Digel, der bei seiner Abschiedsrede auf dem letzten DLV-Verbandstag in Wunsiedel sagte, dass die Probleme von 2001 identisch seien mit denen von 1993. Grundsätzlich neigen wir dazu, Probleme als Probleme zu definieren, die fast systemimmanent sind. So soll nach einem schlechten sportlichen Jahr immer ein gutes folgen. Jahr für Jahr haben wir Finanzfragen zu klären, Sponsoren zu finden und viele andere Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Es gibt bei uns nichts Konstantes und Stetiges über einen längeren Zeitraum. Aber zurück zur Frage. Wir sind dabei, im Bereich des Spitzensports Vertrauen, Respekt und auch Leistungsfähigkeit wieder zurückgewinnen. Ich halte nichts von dem Gerede, dass sich die Leichtathletik in einer Krise befinde. Auch nach Athen ist sie eine der beliebtesten Sportarten, ist kulturell stark verankert, hat Mitgliederzuwächse und ist im Bereich des Breitensports und der Laufbewegung hervorragend aufgestellt. Wir positionieren uns gerade im Schulsport neu und haben den WM-Zuschlag erhalten, um den uns viele beneiden. Auf der wirtschaftlichen Seite ist es uns gelungen, mit unserem neuen Partner Nike neue Impulse zu setzen.
leichtathletik.de:
Mit welchen Schwierigkeiten wird der DLV langfristig zu kämpfen haben?
Frank Hensel:
Es gibt eine Reihe von Dingen, die gut laufen, aber synonym für die Leichtathletik ist das Abschneiden der Nationalmannschaft, vor allem in der Wirkung und der Wahrnehmung nach außen. Hier müssen wir schnell wieder dort hinkommen, wo wir auch hingehören, nämlich zu den fünf in der Leichtathletik führenden Nationen der Welt. Das Problem ist nur: Wir können uns nicht wie im Fußball eine Mannschaft zusammenkaufen. Die Nationalmannschaft ist für uns in den kommenden Jahren die Herausforderung schlechthin, weil an der Nationalmannschaft für unseren Verband sehr viel hängt. Für unsere Sponsoren und das Fernsehen ist in erster Linie der Spitzensportbereich interessant.
leichtathletik.de:
Birgit Rockmeier hat vor kurzem in einer Agenturmeldung erklärt, dass einzelne Sprinterinnen für keine DLV-Staffeln mehr starten wollen? Wie gehen Sie mit diesen Äußerungen um?
Frank Hensel:
Marion Wagner und der USC Mainz haben sich heftig dagegen verwahrt, im Zusammenhang mit irgendwelchen Boykottdrohungen genannt zu werden. Ich habe Verständnis dafür, dass Athletinnen, die keinem Kader mehr angehören, enttäuscht sind. Die Aussagen werden sicherlich alle noch einmal überdenken, denn Hochleistungssport bedeutet letztlich auch Nationalmannschaft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sportlerinnen und Sportler trainieren und anschließend sagen, dass sie nicht mehr in der Nationalmannschaft starten wollen.
leichtathletik.de:
Der DLV hat die WM 2009 übertragen bekommen. Welche Impulse für den DLV erwarten Sie von der WM?
Frank Hensel:
In der Verhangenheit konnte man immer wieder beobachten, dass dort, wo Weltmeisterschaften stattfanden, auch zusätzliche Kräfte frei wurden. Das ganze Umfeld ist motiviert. Wir möchten auch diese Plattform nutzen. Den ersten Effekt haben wir bereits gehabt. Der DLV war nach der erfolgreichen WM-Bewerbung wieder in den positiven Schlagzeilen. Grundsätzlich bewirbt man sich für solch ein Großereignis nicht als Selbstzweck. Die Fragen von wirtschaftlichen Möglichkeiten und Chancen im Zusammenhang mit der WM müssen wir jetzt klären. Diejenigen, die bei der WM-Bewerbung als Partner dabei waren, werden sich bereits im Januar zusammensetzen und werden erste Grundüberlegungen auf der Basis unserer bisherigen Erfahrungen bei der WM in Stuttgart und bei der EM in München entwickeln. Die WM können wir nicht in unserer Geschäftsstelle in Darmstadt vorbereiten. Hier wird es einen hauptamtlichen Mitarbeiterstab in Berlin geben.
leichtathletik.de:
Soll der Weltcup 2006, für den sich der DLV mit Stuttgart bewerben will, eine Art erster Probelauf für die WM 2009 werden?
Frank Hensel:
Nein. Da ergibt sich kein Zusammenhang. Mit dem Weltcup wollen wir eine attraktive Leichtathletik-Veranstaltung nach Deutschland holen, damit die Städte, die weiterhin ein großes Leichtathletik-Stadion betreiben, auch deren Unterhalt legitimieren können. Allerdings haben wir den Weltcup noch nicht übertragen bekommen. Nachdem Los Angeles diese Veranstaltung zurückgeben hat, zeigt der DLV Interesse. Die vollständige Abgabe der Bewerbungsunterlagen muss bis zum 15. Februar 2005 erfolgen. Die endgültige Entscheidung fällt dann im April im Rahmen der IAAF-Council-Sitzung in Doha. Wir haben eine Beschlusslage unseres Verbandsrates, dass, nachdem Berlin die WM übertragen bekam und München die EM hatte, Stuttgart dieses Mal wieder an der Reihe sei. Allerdings gibt es hinsichtlich der ökonomischen Rahmenbedingungen noch ein paar Dinge zu klären, denn damit geht der Bewerber ja auch Verpflichtungen gegenüber der IAAF ein.
leichtathletik.de:
Der DLV steht nach den Olympischen Spielen in Athen unter enormem Erfolgsdruck. Wie gehen Sie persönlich damit um?
Frank Hensel:
Ich persönlich verstehe meine Doppelfunktion beim DLV als große Herausforderung. Allerdings bin ich auch kein Übermensch. Wenn man in der operativen Verantwortung dem Spitzensportbereich gerecht werden möchte, ist das Ganze nur durch strukturelle Veränderungen leistbar. Diese Veränderungen haben wir eingeleitet. Das, was ich in den letzten Monaten gemacht habe, kann kein Dauerzustand sein. Allen möchte ich jedoch versichern: Ich komme aus dem Hochleistungsbereich und setze mir immer hohe Ziele. Dafür kämpfe ich mit größtem Einsatz. Was ich von Athleten und Trainern verlange, kann ich auch von mir verlangen.
leichtathletik.de:
Werden Sie über Weihnachten wenigstens für einige Tage Ruhe finden?
Frank Hensel:
Ab Heiligabend schalte ich mein Handy aus und bin bis zum 10. Januar für niemanden mehr erreichbar. Wenn ich im Laufe des Jahres über hundert Tage im Hotel verbringe, bin ich froh, wenn ich einmal zu Hause bin und innerfamiliär das nachholen kann, wozu ich zeitlich sonst nicht in der Lage bin.
leichtathletik.de:
Vielen Dank für das Gespräch.